Pfarrer Norbert Joklitschke über volle und leere Gottesdienste

"Die Zahl der Gläubigen ist nicht entscheidend"

Veröffentlicht am 11.11.2017 um 14:00 Uhr – Lesedauer: 
Kirche

Görlitz ‐ Am Sonntag werden bundesweit die Gottesdienstbesucher gezählt. Pfarrer Norbert Joklitschke erklärt, warum das Bistum Görlitz diese Statistik anführt - und warum er auf "Besucher" eigentlich verzichten kann.

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Frage: Pfarrer Joklitschke, das Bistum Görlitz steht bei der Zahl der Gottesdienstbesucher bundesweit an der Spitze. Laut den offiziellen Zahlen der Deutschen Bischofskonferenz lag der Anteil der Gottesdienstteilnehmer in Ihrer Diözese zuletzt bei fast 20 Prozent und damit etwa doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Warum gehen bei Ihnen so viel mehr Menschen in die Kirche als in anderen Teilen Deutschlands?

Joklitschke: Weil wir heiliger sind (lacht). Aber im Ernst: Ich weiß gar nicht, ob unsere Zahlen wirklich verlässlich sind. In der Stadt Görlitz profitieren wir zum Beispiel von vielen polnischen Katholiken, die zwar regelmäßig in unsere Gottesdienste kommen, teilweise hier aber gar nicht gemeldet sind. Es kann also sein, dass die Gläubigen aus Polen die Zahl unserer Gottesdienstteilnehmer in die Höhe treiben, obwohl sie offiziell gar nicht zu unserem Bistum gehören.

Frage: Sie meinen also, Sie profitieren von einem "Polen-Effekt"?

Joklitschke: Ich vermute das – allerdings gilt das nur für die grenznahen Gemeinden. In anderen Regionen des Bistums ist die Gruppe der polnischen Gläubigen deutlich geringer. Dort ist es wahrscheinlich eher die Diaspora-Situation, die für gute Zahlen bei der Gottesdienstteilnahme sorgt.

Frage: Warum das?

Joklitschke: Das hat sicher auch noch mit der DDR-Vergangenheit zu tun. Diejenigen, die sich in der DDR zur katholischen Kirche bekannten, taten dies in der Regel aus voller Überzeugung und gegen große staatliche Widerstände. Die Bindung zum christlichen Glauben, die Loyalität gegenüber der Kirche war dadurch unter den Gläubigen hier in der Region immer sehr stark. Hinzu kommt: Die Katholiken befinden sich fast in ganz Ostdeutschland in einer Minderheitensituation. Das bringt viele Herausforderungen mit sich, stärkt andererseits aber auch den Zusammenhalt in den Gemeinden. Das zeigt sich eben auch am hohen Anteil derjenigen, die sonntags in die Kirche gehen.

Linktipp: Die Kirche zählt (auf) Sie!

Gläubige, die an diesem Sonntag an der heiligen Messe teilnehmen, werden Teil der kirchlichen Jahresstatistik. Am sogenannten Zählsonnntag werden bundesweit die Gottesdienstbesucher gezählt.

Frage: Weil der Gottesdienst in der Pfarrkirche einer der wenige Orte in der Diaspora ist, an denen man seinen Glauben mit anderen leben kann?

Joklitschke: Genau, das spielt eine ganz wichtige Rolle bei der Motivation, am Gottesdienst teilzunehmen. In diesem Sinne ermutige ich die Gläubigen auch sehr, möglichst regelmäßig in die Kirche zu kommen, weil man den eigenen Glauben in der Diaspora sonst kaum bewahren, geschweige denn weitergeben kann.

Frage: Welche Rolle spielt es denn für Sie als Pfarrer, ob ein Gottesdienst gut besucht ist?

Joklitschke: Mir geht es nicht um die Zahl der Besucher, zumal ich dieses Wort im Zusammenhang mit einem Gottesdienst nicht sonderlich mag. Ich möchte im Gottesdienst keine Besucher haben, die sich nur berieseln lassen, sondern ich möchte Menschen erleben, die den Gottesdienst gemeinsam mit mir feiern. Das setzt eine aktive Teilnahme der Gläubigen voraus – und ist unabhängig von der Zahl derjenigen, die in der Kirche vor mir sitzen. Ich möchte den Menschen nichts vorzelebrieren, sondern jeder soll sich mit seinen Talenten in den Gottesdienst einbringen.

Frage: Werfen Sie trotzdem manchmal vor dem Gottesdienst einen Blick in die Kirche, um zu sehen, wie viele Gläubige da sind?

Joklitschke: Nein, dass manche ich normalerweise nicht. Es sei denn, ich benötige noch einen Lektor oder andere Unterstützung für den Gottesdienst. Dann gehe ich kurz in die Kirche und spreche einzelne Personen an. Ansonsten aber komme ich erst mit Beginn der Messe aus der Sakristei in die Kirche und sehe dann, wie viele Gläubige da sind.

Bild: ©Markus Kremser

Norbert Joklitschke ist Pfarrer in Görlitz.

Frage: Sie lassen sich also überraschen...

Joklitschke: Ja, und das kann natürlich positiv oder negativ sein. Es kann ja auch sein, dass die Kirche entgegen den Erwartungen sehr voll ist. Das kommt bei uns durchaus vor, weil wir viele junge Familien mit Kindern in der Gemeinde haben, die teilweise unregelmäßig zur Messe kommen. Das kann dann eine echte Herausforderung sein – wenn nämlich plötzlich viele Kinder im Gottesdienst sind, ich aber eine Predigt vorbereitet habe, die sich eher nicht an Kinder richtet.

Frage: Wie ist es denn im anderen Fall – also dann, wenn kaum Gläubige am Gottesdienst teilnehmen? Birgt das nicht hohes Frust-Potential für Sie als Priester?

Joklitschke: Diesen Fall habe ich so extrem noch nie erlebt. Ich denke, wenn tatsächlich einmal – aus welchen Gründen auch immer – nur wenige Gläubige im Gottesdienst säßen, wüsste ich das vorher. Meist schwankt die Zahl der Gläubigen in der Messe von Sonntag zu Sonntag nicht so sehr. Wenn es trotzdem einmal so seien sollte, dass nur eine Handvoll Menschen im Gottesdienst sind, muss man sich als Priester darauf einstellen. Dann muss man die Menschen sicher ganz anders ansprechen und einbinden. Aber noch einmal: Für mich ist nicht entscheidend, wie viele Menschen vor mir sitzen, sondern wie diejenigen, die da sind, sich in die Messe einbringen und innerlich und äußerlich mitfeiern.

Frage: Welche Bedeutung hat für Sie vor diesem Hintergrund der Zählsonntag? Ist Ihnen die Zählung der Gottesdienstteilnehmer egal oder haben Sie den sportlichen Ehrgeiz, dass Görlitz bei dieser Statistik auch künftig der Spitze der deutschen Bistümer bleibt?

Joklitschke: Ach, ich gehe da ganz entspannt mit um (lacht). Ich denke, die Zählsonntage dienen vor allem dazu, dass die Bischöfe eine ungefähre Vorstellung davon bekommen, wie viele Menschen sonntags in Deutschland überhaupt in die Kirche gehen. Für unsere Gemeinde ist die Frage des Wettbewerbs nicht so relevant. Uns muss es vor allem darum gehen, den Pfarreialltag unabhängig von der Zahl der Gläubigen attraktiv zu gestalten.

Von Steffen Zimmermann