Der neue Wallfahrtsrektor von Kevelaer im Gespräch

Wo die Trostlosen Trost finden

Veröffentlicht am 18.11.2017 um 13:00 Uhr – Lesedauer: 
Wallfahrt

Kevelaer/Bonn ‐ Kevelaer bekommt am Sonntag einen neuen Wallfahrtsrektor. Ein Interview mit Pfarrer Gregor Kauling über seine neue Aufgabe, seine Beziehung zur Gottesmutter und das Einzigartige an Kevelaer.

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Mit etwa 800.000 Pilgern jährlich ist Kevelaer – nach Altötting – der zweitgrößte Marienwallfahrtsort in Deutschland. In diesem Jahr feierte der 28.000-Seelen-Ort am Niederrhein Jubiläum: Seit 1642, also genau 375 Jahre, existiert dort nun schon die traditionsreiche Wallfahrt zum Gnadenbild der "Trösterin der Betrübten". Am Sonntag übernimmt Gregor Kauling (53), bislang Dechant und Pfarrer in Dinslaken, als neuer Wallfahrtsrektor das Ruder in Kevelaer. Mit katholisch.de hat er über seine Pläne für den Wallfahrtsort und die einzigartige Botschaft von Kevelaer gesprochen.

Frage: Pfarrer Kauling, Kevelaer ist einer der bedeutendsten Marienwallfahrtsorte Deutschlands. Welche Rolle spielt die Gottesmutter in Ihrem Leben?

Kauling: Maria hat in meiner Familie immer eine zentrale Rolle gespielt. Meine Großeltern waren große Marienverehrer und auch meine Eltern, die selber regelmäßig nach Kevelaer gepilgert sind und uns Kinder mitgenommen haben. Wallfahrten waren also ein fester Punkt in unserem Familienleben. Später habe ich mich in meinem Studium dann intensiv mit der Gestalt Mariens auseinandergesetzt. Sie beeindruckt mich, denn sie ist immer offen für den Anruf Gottes gewesen. So offen, dass sie schließlich Jesus empfangen und den Menschen geschenkt hat. Für uns ist sie daher nicht nur Fürsprecherin, sondern auch Vorbild. Eine marianische Haltung anzunehmen, das bedeutet für mich, offen zu sein auf Gottes Geist hin und Christus zu den Menschen zu tragen.

Frage: Was macht für Sie den Reiz an Kevelaer aus?

Kauling: Die wichtigste Botschaft, die Kevelaer trägt, ist Maria als "Trösterin der Betrübten": Sie versinnbildlicht, dass wir einen Gott haben, der um die Schmerzen, Grenzen und Brüche des Lebens weiß und mich darin nicht alleine lässt, sondern mich begleitet. Das ist das stärkste Motiv des Trostes, das es geben kann. In der alltäglichen Seelsorge erleben wir oft, dass Menschen in Brüche hineingeraten – etwa durch den Verlust eines geliebten Menschen. Da kann man dann nicht nur auf die Schulter klopfen und sagen "Das wird schon wieder". Denn es wird nichts mehr so sein, wie es mal war. Trost in dieser Situation zu spenden bedeutet für einen Priester, mit den Menschen zu gehen, sie zu begleiten. Und ich glaube, dass auch Kevelaer das schenken kann. Wir berühren dort die Menschen ja nur wie eine Tangente, also in einem winzigen Punkt ihres Lebens. Manche sind nur für wenige Stunden in der Stadt. Aber das ist der Moment, wo wir als Priester die große Chance haben, den Menschen Halt zu geben.

Bild: ©privat

Der neue Wallfahrtsrektor von Kevelaer, Pfarrer Gregor Kauling.

Frage: Was kann mir Kevelaer geben, was zum Beispiel Altötting nicht hat? Was ist das Besondere?

Kauling: Das ist schwer zu sagen, denn jeder Wallfahrtsort hat eine eigene Botschaft, ein eigenes Charisma. Ich glaube tatsächlich, in Kevelaer ist es diese Botschaft des Trostes. Das Gnadenbild ist ja nur ein ganz kleines, alltägliches Schwarz-Weiß-Bildchen. Doch gerade dass es auf den ersten Blick nichts Besonderes ist, macht es reizvoll. Wenn man sich das mal überlegt: Da hat im Dreißigjährigen Krieg ein Mann eine Vision, dass er einen Wallfahrtsort entstehen lassen soll, und bekommt von einem luxemburgischen Soldaten das Bildchen in die Hand gedrückt. Und heute, fast 400 Jahre später, pilgern die Menschen immer noch zu diesem kleinen Bild, auf dem nichts anderes steht, als dass Maria der Trost der Betrübten ist. Das ist doch etwas Faszinierendes und Einzigartiges.

Frage: Oft wird von einer Glaubensverdunstung gesprochen, die Kirchenbänke werden immer leerer. Wallfahrten und Pilgern scheinen für die Menschen jedoch nach wie vor attraktiv zu sein. Wie erklären Sie sich das?

Kauling: Der Alltag ist heute mehr denn je von Hektik und Betriebsamkeit geprägt. Und Pilgern schenkt uns im wahrsten Sinne des Wortes eine Entschleunigung. Deshalb nehmen sich viele Menschen im Laufe des Jahres Zeit und machen sich auf den Weg. Zwar gibt es auch Bus- oder Fahrradwallfahrten. Beliebt ist aber vor allem das Fußpilgern – auch nach Kevelaer –, denn es hat wirklich den Vorteil, dass ich komplett entschleunigt bin. Und jeder nimmt auf so einen Pilgerweg etwas mit: Die Sorgen und Lasten des Alltags kann ich unterwegs nachdenkend und betend reflektieren und so hinter mir lassen.

Frage: Fühlen Sie sich für Ihre neue Tätigkeit als Wallfahrtsrektor gut gerüstet? Und was fällt alles in Ihren Aufgabenbereich?

Kauling: Tatsächlich habe ich schon berufliche Erfahrungen in Marienwallfahrtsorten sammeln können. In meinem ersten Priesterjahr war ich seelsorglich in Altötting tätig, später als Kaplan und Schulseelsorger in Warendorf, wo das Gnadenbild der Glorreichen Jungfrau verehrt wird. In Kevelaer besteht mein Aufgabenbereich im Grunde genommen aus drei Schwerpunkten. Zunächst einmal bin ich Pastor für die innerstädtische Mariengemeinde, die auch als Pfarrei die Wallfahrt sehr stark trägt. Gleichzeitig bin ich Leiter des "Priesterhauses", einer Tagungsakademie des Bistums Münster. Ein dritter Schwerpunkt ist dann die Arbeit als Wallfahrtsrektor an sich. Dabei ist es meine Aufgabe, die Spiritualität des Ortes zu prägen. Das heißt einerseits, für das Gebets-, Gottesdienst- und Kulturangebot Sorge zu tragen. Wesentlich ist meines Erachtens außerdem, eine Kultur des Empfangs und der Gastfreundschaft zu ermöglichen. Dass die Menschen sich also bei uns angenommen und empfangen fühlen. Und natürlich geht es darum, ihnen die Tradition des Trostes – die Botschaft von Kevelaer – näherzubringen.

Innenansicht der Marienbasilika in Kevelaer.
Bild: ©picture alliance/blickwinkel/S. Ziese

Innenansicht der Marienbasilika in Kevelaer.

Frage: Haben Sie schon konkrete Pläne für Kevelaer? Was möchten Sie als erstes "anpacken"?

Kauling: Zunächst gibt es an Wallfahrtsorten starke Traditionen, die es wert sind, sie zu halten und zu schützen. Das Rad muss also nicht an jeder Stelle neu erfunden werden. Aber klar: Die Menschen ändern sich und auch die Pilger ändern sich. Es gibt wie gesagt mehr und mehr Pilger, die einfach ihr Leben entschleunigen wollen, aber nicht unbedingt regelmäßige Kirchgänger sind. Diejenigen brauchen entsprechend niederschwellige Angebote der Spiritualität, also nicht nur klassische Eucharistiefeiern und Andachten. Kevelaer ist da schon auf einem guten Weg. Jetzt im Jubiläumsjahr gab es zum Beispiel das szenische Musical "Mensch! Maria!". Hier wurde der Kapellenplatz von Kevelaer zu einer großen Bühne und der Zuschauer wurde auf eine Reise durch die Lebensstationen Mariens mitgenommen. Solche niederschwelligen Angebote gilt es künftig noch auszubauen.

Frage: Auf was freuen Sie sich am meisten bei Ihrer neuen Aufgabe?

Kauling: Es gibt ja verschiedene Höhepunkte im Jahr. Ich bin zum Beispiel sehr gespannt auf die traditionelle Wallfahrt der Tamilen oder die große Motorradwallfahrt. Ich freue mich aber auch ganz einfach auf die Begegnung mit vielen unterschiedlichen Menschen über das ganze Jahr hinweg. Das ist schon etwas Schönes: Ich kann jeden Sonntag andere, neue Menschen begrüßen. Einerseits gibt es meine Pfarrei, die Menschen, die in Kevelaer leben. Und andererseits kommen mit den Wallfahrern Woche für Woche andere Gottesdienstteilnehmer. Nicht zuletzt: Ich habe in den letzten Jahren als Leiter einer Großpfarrei in Dinslaken verstärkt Management-Aufgaben übernehmen müssen. Jetzt freue ich mich wieder auf einen stärkeren seelsorglichen Akzent meines priesterlichen Lebens.

Von Tobias Glenz