Albtraum des Jahres: Ebola
Sie reichten vom plötzlichen Auftauchen ausländischer Helfer in futuristischen Schutzanzügen über notdürftig improvisierte Quarantänestationen bis hin zu Massenfluchten panischer Patienten, die bisher nur die Kräutertranks traditioneller Heiler kannten.
Forscher nehmen rückblickend an, dass ein kleiner Junge in Guinea das erste Opfer der Ebola-Epidemie in Westafrika gewesen sein könnte. Er starb im Dezember 2013, also vor einem Jahr. Erst im vergangenen März wurde die Epidemie öffentlich bekannt.
Ebola wurde maßlos unterschätzt
Da die Krankheit zunächst in abgelegenen Regionen auftrat, weit weg von Europa und Amerika, wurde sie maßlos unterschätzt. Die Folge: Als die Weltgemeinschaft aufwachte, war es schon zu spät, um den unsichtbaren Gegner unter Kontrolle zu bringen. Und so stürzt er immer mehr Familien in Trauer und Verzweiflung. Tausende Männer, Frauen und Kinder sind schon qualvoll gestorben.
"Ein früheres Eingreifen wäre nötig und möglich gewesen", sagt Frank Dörner, der medizinische Koordinator von "Ärzte ohne Grenzen" (MSF) in Sierra Leone. "Und damit meine ich nicht nur die Bereitstellung von Geldern, sondern vor allem die Entsendung von geeignetem Personal, das in der Lage gewesen wäre, die Patienten zu behandeln und weitere Ansteckungen zu verhindern." Aber sich über die Verfehlungen der Vergangenheit zu beklagen, sei müßig, so der Experte: "Die Situation bleibt besorgniserregend, auch wenn es in Liberia einen Rückgang bei den Neuansteckungen gibt", erläutert Dörner. "In Sierra Leone nimmt die Zahl weiter zu, und wir kommen mit der Versorgung einfach nicht nach. Die Betten sind voll." Es werde noch immer zu viel geredet und zu wenig getan, warnt er. "Pläne, die nur auf dem Papier existieren, helfen einem Infizierten nicht - ebenso wenig wie ineffektive Sitzungen."
Auch Landwirtschaft, Handel und Märkte betroffen
Die Auswirkungen des Virus sind mittlerweile überall zu spüren, nicht nur in den Krankenstationen. "Die Ebola-Epidemie schadet bereits sehr der Landwirtschaft, dem Handel und den Märkten. In Sierra Leone sind lokale Märkte sogar verboten worden wegen der Ansteckungsgefahr", erklärt der Leiter des Berliner Büros des Welternährungsprogramms (WFP), Ralf Südhoff.
Durch die brachliegenden Volkswirtschaften seien zudem die Einkommen vieler Menschen eingebrochen. "Wir müssen daher davon ausgehen, dass bereits 1,7 Millionen Menschen in den drei Ländern vom Hunger bedroht sind." Wenn die Seuche jetzt nicht eingedämmt werde, dann sei zudem die nächste Ernte bedroht. Selbst die optimistischsten Schätzungen des WFP gehen derzeit von mindestens 2,3 Millionen vom Hunger bedrohten Menschen bis Januar aus - womöglich sogar drei Millionen.
Auch die UN-Wirtschaftskommission für Afrika (UNECA) hat sich in einem neuen Bericht mit den weitreichenden Folgen der Epidemie befasst: Negativ habe sich die Seuche unter anderem auf das Erziehungswesen ausgewirkt, da zahlreiche Schulen geschlossen wurden, sowie auf die Arbeitslosenquoten und die Nahrungsmittelsicherheit. "In Liberia schließen jede Woche zehn Firmen - und die Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sind für alle drei Länder nach unten revidiert worden", hieß es. Am schlimmsten trifft es hier dem Report zufolge Liberia, wo eine Wachstumsprognose von 5,9 Prozent für 2014 auf ein Prozent gestürzt ist. Für 2015 werden dem Land 0 Prozent Wachstum vorhergesagt.
Gesundheitssysteme in Westafrika stärken
Wichtig sei es jetzt, die Gesundheitssysteme in Westafrika zu stärken, betont Katherine Mueller, die Sprecherin des Roten Kreuzes in Afrika. "Auf lange Sicht sind massive Investitionen in diese Systeme nötig, denn sie waren schon vor dem Ebola-Ausbruch schwach und sind nun völlig kollabiert." So gebe es kaum noch Mittel und Möglichkeiten, andere Krankheiten wie Malaria, Cholera oder Knochenbrüche zu behandeln. "Momentan könnte es gut sein, dass in den drei Ländern mehr Menschen an anderen Krankheiten sterben als an Ebola", erklärt Mueller.
Anerkennung gebührt den Helfern, die sich aus allen Teilen der Erde in die Ebola-Gebiete aufgemacht haben, ihr eigenes Leben riskieren und gleichzeitig täglich mit der entsetzlichen Realität konfrontiert sind. "Es ist schwer, so viele Menschen sterben zu sehen", sagt MSF-Koordinator Dörner. Besonders schlimm sei es, wenn ganze Familien von dem Virus ausgelöscht würden und Waisenkinder allein zurückblieben. WFP-Chef Südhoff fügt hinzu: "Wohl selten ist in einer Krise so deutlich geworden, dass die Menschen sich kaum selbst helfen können. Sie brauchen Unterstützung an allen Fronten."
Von Carola Frentzen (dpa)