"Königin der Instrumente" ist jetzt Kulturerbe
Orgelbau und Orgelmusik sind Immaterielles Kulturerbes der Menschheit. Das teilte die Weltkulturorganisation Unesco in der Nacht auf Donnerstag mit. Der Zwischenstaatliche Ausschuss berät derzeit über die Aufnahme von 35 Formen des Könnens und Wissens aus aller Welt auf die Internationale Liste des Immateriellen Kulturerbes. Er tagt noch bis Freitag im südkoreanischen Jeju.
Musikwissenschaftler Michael Kaufmann, der am Aufnahmeantrag der Vereinigung der Orgelsachverständigen Deutschlands (VOD) federführend beteiligt war, reagierte mit "großer Freude" auf die Entscheidung. Er habe den positiven Bescheid durchaus erwartet, sagte er der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Bonn. "Die Orgel war schließlich immer ein Hightech-Instrument, das Musiker und Techniker bis heute gemeinsam weiterentwickelt haben."
Er hoffe, dass die Auszeichnung einen Impuls geben werde, so Kaufmann weiter. Derzeit würden vor allem in neue Konzerthäuser, etwa die Hamburger Elbphilharmonie, wieder Orgeln eingebaut. "Es gilt zu beraten, wie wir nachhaltig an der Zukunft bauen können." Die Aufnahme in die Unesco-Liste verdeutliche zudem, dass Orgelmusik kein Luxusgut, sondern Teil der deutschen Identität sei. Dementsprechend müssten die Kirchen ihre finanziellen und personellen Ressourcen für Orgelbau und -musik halten; zudem sei stehe die öffentliche Hand in der Pflicht, das Orgelwesen zu fördern.
Im Südwesten ist die Tradition so allgegenwärtig wie sonst kaum in Deutschland: mit 7.000 bis 8.000 Instrumenten gibt es hier die größte Orgeldichte. Bundesweit sind es etwa 50.000 Orgeln - vor allem in Kirchen und Konzertsälen, die von Zehntausenden von haupt- und nebenamtlichen Organisten gespielt werden. Auch 60 der rund 400 Betriebe haben nach Darstellung der Vereinigung der Orgelsachverständigen Deutschlands ihren Standort in Baden-Württemberg.
Cäcilien-Verband begrüßt Entscheidung ebenfalls
Der Allgemeine Cäcilien-Verband (ACV) für Deutschland begrüßte die Entscheidung ebenfalls. "Das Instrument Orgel, das Hand- und Kunstwerk in einzigartiger Weise miteinander verbindet, weist nicht nur ein großes Erbe, sondern auch eine lebendige und aktuelle Kultur auf", sagte ACV-Präsident Wolfgang Bretschneider in Regensburg.
Weltweit fördert die Unesco seit 2003 den Erhalt von Alltagskulturen und -traditionen. Der Konvention zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes sind mittlerweile mehr als 170 Staaten beigetreten, 2013 auch Deutschland. Das Verfahren für die Aufnahme in die Liste ist mehrstufig. Zunächst muss es eine Tradition ins nationale Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes schaffen. Im nächsten Schritt können dann Vorschläge für die weltweite Unesco-Liste eingereicht werden.
Das deutsche Verzeichnis umfasst bislang 68 kulturelle Ausdrucksformen; auf die Internationale Liste wurden aus Deutschland vor Orgelbau und -musik bereits die Falknerei und die Genossenschaftsidee aufgenommen. Eine finanzielle Förderung umfasst der Titel "Immaterielles Kulturerbe der Menschheit" nicht. (bod/KNA/dpa)
Orgel-Experte Kaufmann: Noch viel zu tun
Der 50 Jahre alte Musikwissenschaftler Michael Kaufmann, geboren in Landau/Pfalz, lehrt unter anderem an der Hochschule für Kirchenmusik der Badischen Landeskirche in Heidelberg. Trotz der Anerkennung des Orgelbaus und der Orgelmusik als Unesco-Kulturerbe gibt es für ihn noch viel zu tun.
Frage: Sie haben bis tief in die Nacht die Unesco-Entscheidung abgewartet. Wie groß ist das Glücksgefühl nach langem Kampf?
Kaufmann: Ja, um kurz nach 2.00 Uhr war es so weit. Es war schon beeindruckend, wie das versammelte Gremium aus Vertretern der 175 Mitgliedstaaten das Thema interessiert verfolgt hat und mit großem Beifall dem Beschluss zur Aufnahme in die Repräsentative Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit zugestimmt hat. Für mich selbst bedeutet der Eintrag bei der Unesco, dass ich wieder eine Zielmarke in meinem Einsatz für die Orgel erreicht habe.
Hinter der Formulierung des Antrags stehen Jahrzehnte der Beschäftigung als Musikwissenschaftler, Organist und Orgelsachverständiger mit dem Instrument, seiner Geschichte und Gegenwart, seiner Technik und seines Klangs. Meine Freude war entsprechend groß, aber auch die Dankbarkeit denen gegenüber, die mich auf diesem Weg unterstützt haben, den zahlreichen Orgelspielern und Orgelbauern, die mich mit Materialien für den Antrag versorgten, und nicht zuletzt dem Stab in der Deutschen Unesco-Kommission wegen der unkomplizierten und kreativen Zusammenarbeit gegenüber. Diese menschliche Seite gehört für mich auch dazu.
Frage: Was bedeutet die Entscheidung für die Orgelszene, wie wichtig ist das?
Kaufmann: Nicht nur das Tun der Kulturschaffenden ist nun von höchster ethischer Instanz bestätigt. Das bedeutet, dass entsprechende personelle und finanzielle Ressourcen für den Erhalt und die Fortschreibung des Instruments und seiner Kultur eröffnet werden müssen. Nicht nur die Kirchengemeinden, die zumeist die Eigentümer von Orgeln sind, tragen dabei Verantwortung.
Es ist auch die öffentliche Hand gefragt. Sie muss zur verstärkten Förderung der Aus- und Fortbildung von Organisten und Orgelbauern sowie von konkreten Projekten beim Neubau oder bei der Restaurierung von Orgeln herangezogen werden. Dafür ist weiterhin Überzeugungsarbeit notwendig. Aber man wird auf der Basis hoffentlich leichter zu Ergebnissen kommen, um in pädagogisch-didaktische Programme und konkrete Instrumente zu investieren.
Frage: Was muss als nächstes passieren?
Kaufmann: Das auf der Auszeichnung beruhende Potenzial muss genutzt werden. Dafür sind vor allem auch die Verbände innerhalb der Orgelszene gefragt. Die Vereinigung der Orgelsachverständigen Deutschlands, in deren Namen ich den nationalen und internationalen Unesco-Antrag formuliert habe, ist hier schon seit Jahren mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit präsent. Der Bund Deutscher Orgelbaumeister und die Vereinigung der Orgelsachverständigen Deutschlands, die beide den Antrag unterstützt haben, haben seit einiger Zeit nachgezogen und sich dieses Themas ebenfalls angenommen.
Die vorhandenen Energien sollten noch stärker gebündelt werden. Insgesamt hat eine Vernetzung und ein Austausch der verschiedenen Organisationen stattgefunden - beispielsweise mit der Bundesfachschule für Orgelbau in Ludwigsburg oder mit verschiedenen Musikhochschulen. Das Thema Orgel ist in der Deutschen Bischofskonferenz und in der Evangelischen Kirche Deutschlands gegenwärtig, ebenso bei Ministerien, die für die Lehr- und Ausbildungskonzepte zuständig sind. (bod/dpa)