Ohne Nachwirkungen?
Es ist kurz vor Mitternacht am Silvesterabend. Der Jahreswechsel steht unmittelbar bevor. In der Kirche der evangelisch-reformierten Gellertgemeinde in Basel sitzen fast 300 junge Menschen dicht gedrängt auf dem Boden des Gotteshauses. Sie machen etwas für die heutige Zeit Ungewöhnliches: sie schweigen. Es ist so ruhig, dass nur das Prasseln des Regens auf dem Kirchendach und vereinzeltes Husten zu hören ist.
Die jungen Christen aus mehr als zehn Ländern sind zum 40. Europäischen Jugendtreffen der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé nach Basel gereist. Sie alle haben über die Gellertgemeinde eine Gastfamilie gefunden, die ihnen für fünf Tage die Türen ihrer Wohnung geöffnet hat. Auch einige der Gastgeber sind zum Gebet in die Kirche gekommen. In Gesprächen erzählen sie, wie beeindruckt sie von der Freundlichkeit der jungen Menschen sind.
Eine Kirche, die wächst
Dabei ist die Gemeinde im Basler Gellert-Quartier schon an sich sehr offen und lebhaft. "Wir sind eine Kirche, die wächst", sagt Patricia Schneider. Die junge Theologin gehört zum Kernteam der Gemeinde und ist hauptsächlich für Organisation und Verwaltung zuständig; doch auch der Predigtdienst gehört zu ihren Aufgaben. "Wir überlegen von zwei auf drei Sonntagsgottesdienste aufzustocken", erklärt die lebhafte 30-Jährige nicht ohne Stolz. Bislang kämen etwa 700 Gläubige aus Basel und dem Umland zu den Gottesdiensten. "Es werden jedoch immer mehr." Das Erfolgsrezept der Gemeinde ist es, für Menschen in unterschiedlichen Lebensaltern da zu sein: Es gibt Angebote für Kinder, Jugendliche, Familien und Senioren; sowohl klassisch reformiert auf Hochdeutsch, als auch freikirchlich anmutende Lobpreisabende im Schweizer Dialekt. "Das alles geht erstaunlich gut zusammen. Wir sind eine Familie", sagt Schneider und lacht.
Es sei normal, die Kirche so voll zu sehen, wie während des Taizé-Jugendtreffens. Doch etwas Neues bringen die vielen Jugendlichen aus ganz Europa der Gemeinde dennoch: "Wir entdecken als reformierte Christen durch das Taizé-Treffen die Liturgie wieder", sagt Schneider nachdenklich. Bei den etwa seit einem halben Jahr laufenden Vorbereitungen habe es daher Diskussionen in der Gemeinde gegeben. Ob ein liturgischer Ablauf nicht eher etwas Katholisches sei, fragten sich besonders die mit den Freikirchen sympathisierenden Gläubigen. Doch Schneider sieht darin eine Chance: "So können wir unseren Horizont erweitern." Das und die zahlreichen internationalen Begegnungen in den Gastfamilien und in der Gemeinde werden eine Nachwirkung haben, glaubt Schneider.
Die Jugendlichen in der Gellertkirche fragen sich nicht in erster Linie, was ihnen die Fahrt nach Basel bringt. "Ich bin einfach hier, um Spaß mit anderen jungen Leuten zu haben", sagt Alejandro, ein junger Spanier. Und man sieht ihm an, dass er meint, was er sagt. Denn nach dem Ende des Gebets zum Jahreswechsel findet ein "Fest der Nationen" statt, für das alle Nationalitäten etwas vorbereitet haben: Lustige Singspiele, traditionelle Volkstänze oder improvisierte Gesangseinlagen. Bei dieser bis in den Morgen dauernden Party gibt es zwar keinen Sekt zum neuen Jahr, aber die Jugendlichen haben trotzdem viel Spaß am Austausch mit den Gleichaltrigen aus den verschiedenen Ländern. Der laute Gesang Alejandros, der sich beim Singen eines spanischen Lieds wild auf dem Boden wälzt, lässt fast vergessen, dass in der Kirche vor wenigen Momenten noch tiefe Stille geherrscht hat.
Besonders für die jungen Gläubigen aus Osteuropa sind die Treffen zudem eine Gelegenheit, günstig zu reisen und westeuropäische Länder kennenzulernen. Das sagt auch Jane aus der Ukraine: "Ich mag einfach die Gemeinschaft bei den Jugendtreffen. Die Leute in den anderen Ländern sind immer sehr freundlich." Doch auch der religiöse Aspekt ist ihr wichtig. "Mich faszinieren die schönen Lieder", sagt sie und ein kleines Kreuz bewegt sich an der Kette um ihren Hals. "So einfach und schön, wie die Brüder von Taizé reden die Priester in meiner Heimat meist nicht vom Glauben", erzählte Jane.
Sensibilisieren für religiöse und soziale Fragen
Was für die jungen Teilnehmer vom Jugendtreffen in Basel bleibt, ist sicher individuell: Einige werden intensive religiöse Erfahrungen mitnehmen, andere internationale Begegnungen, wieder andere die Erfahrungen einer spannenden Reise. Die Brüder von Taizé organisieren nun schon seit 40 Jahren die jährlich wechselnden Jugendtreffen in jeweils einer anderen europäischen Stadt. Sie versuchen, die jungen Teilnehmer für religiöse und soziale Fragen zu sensibilisieren. Frère Alois Löser, der Leiter der Gemeinschaft, hat den jungen Christen daher vier Vorschläge für das Jahr 2018 mit auf den Weg gegeben. Sie sollen die "Quellen der Freude freilegen", so der erste Vorschlag. Doch auch "Auf den Schrei der Allerärmsten hören", "Freude und Trauer mit anderen teilen" und schließlich "Sich über die Gaben freuen, welche die anderen Christen empfangen haben". In den morgendlichen Gruppen haben die Jugendlichen über diese Ideen des Taizé-Priors diskutiert. Einige sehr ernsthaft, andere beschäftigten sich jedoch lieber mit weniger abstrakten Themen.
Ein Indikator für die Nachwirkungen mag auch ein Blick auf das Morgengebet sein, zu dem die Gellertgemeinde am Neujahrstag um 10 Uhr in das Basler Münster eingeladen hatte. Die Hauptkirche der Stadt sah schon wieder aus, wie vor dem Jugendtreffen: Die alten Bänke standen in der Kirche, es wurden keine Taizé-Lieder gesungen und der Zahl der Gottesdienstbesucher hielt sich im zweistelligen Bereich. Von den jungen Teilnehmern des Taizé-Treffens größtenteils keine Spur.