Macht es wie die Eichhörnchen!
Das Eichhörnchen ist mit seinem buschigen Schwanz und putzigen Aussehen vielleicht eines der beliebtesten Tiere überhaupt. Hörnchenliebhaber können sich im Internet stundenlang Videos der kleinen Nager ansehen oder sie im Baum vor dem Fenster in freier Wildbahn beobachten. In den USA ist die Begeisterung für das Eichhörnchen sogar so groß, dass ihm dort am 21. Januar ein eigener Ehrentag gewidmet ist: der "Squirrel Appreciation Day". Ein Besuch in der Kirche Sankt Laurentius in Bonn-Lessenich zeigt eindrücklich, dass das Eichhörnchen sogar eine christliche Botschaft bereithält.
Wer die romanische Kirche betritt, fühlt sich ein bisschen wie in einem Tierpark: Im Innern von Sankt Laurentius sitzen an vielen Fenstern kleine Tiere aus Ton. Meist muss man jedoch genau hinschauen, um die etwa 30 Zentimeter großen Figuren des Künstlers Hein Gernot zu entdecken. So arbeitet etwa an einem Deckenfenster eine schwarze Spinne an ihrem Netz, im rechten Seitenschiff suchen eine Henne und zwei Küken nach Körnern und hoch oben über den Gläubigen hat ein Schmetterling einen Rastplatz gefunden. Im linken Seitenschiff gibt es ein Säugetier zu bestaunen: ein braunes Eichhörnchen, das neben der Statue des heiligen Josef an einer Nuss nagt.
In der Bibel kommen viele Tier vor - aber kein Eichhörnchen
Die Darstellung eines Eichhörnchens in einer Kirche ist nicht selbsterklärend, denn weder in der Bibel noch in der christlichen Theologie gibt es einen Bezug zu dem Tier mit dem buschigen Schwanz. Ganz im Gegensatz zu den anderen in Sankt Laurentius dargestellten Lebewesen. Die Spinne bezieht sich auf das Buch Hiob, in der die Vergänglichkeit der weltlichen Dinge mit dem Bild des Spinnennetzes dargestellt wird: Der Frevler "baut wie die Spinne sein Haus" (Hi 27,18), bevor es ihm genommen wird. Henne und Küken sind eine Anspielung auf das Lukasevangelium, in dem von Gott gesprochen wird, der "so wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel nimmt" (Lk 13,34). Und der Schmetterling steht in der christlichen Symbolik für die Auferstehung, da die Larve in ihrem Kokon wie tot scheint, doch nach einiger Zeit zu einem prachtvollen Falter wird. Das Eichhörnchen ist in der christlichen Kunst jedoch nahezu unbekannt, auch wenn es manchmal mit dem heiligen Franz von Assisi dargestellt wird, den eine besondere Tierliebe auszeichnete.
Dennoch steht die Eichhörnchenfigur nicht ohne Grund in Sankt Laurentius, einer der ältesten Kirchen des Rheinlandes. Denn auf einem Bogen des rechten Seitenschiffs wurde 1962 bei Renovierungsarbeiten eine Wandmalerei aus der Spätgotik entdeckt, die ein eben solches Tierchen zeigt. Es ist mit einem überlangen Schweif auf dem Kopf eines Jägers dargestellt. Dies ist ein Hinweis auf die oft negative Bedeutung, die dem Eichhörnchen in der Kunst zugesprochen wird. Die Aufgabe des adeligen Jägers ist es, das Kleintier zu bekämpfen, da es seinem Auftrag zur Pflege des Waldes im Weg steht. Doch da die Eichhörnchen sehr flinke Wesen sind, ist es schwer, sie zu erlegen.
Eichhörnchen in der nordischen Sagenwelt
Das bekannte Sprichwort "Der Teufel ist ein Eichhörnchen" ist ein weiterer Beleg für die negative Sicht auf das Nagetier. Es steht wohl im Zusammenhang mit der nordischen Mythologie: Die Germanen und Wikinger stellten sich den Kosmos als einen Weltenbaum vor. Die Yggdrasil genannte Weltesche verbindet die Erde nach oben mit der Götterwelt und hinab mit der Unterwelt. Die nordischen Völker glaubten, dass am Stamm dieses Baumes das Eichhörnchen Ratatöskr herauf- und herunterlief, um Botschaften zwischen der Krone und dem Fuß von Yggdrasil zu übermitteln. Es wurde in den germanischen Sagen als linkisch beschrieben. Noch heute ist daher in Skandinavien der Name Ratatöskr eine Bezeichnung für Gerüchte und Geschwätz.
Ganz anders kann jedoch die Eichhörnchenfigur in der Bonner Kirche verstanden werden, erkläte Gemeindemitglied Engelbert Kalkum vor einigen Jahren dem Bonner "General-Anzeiger". Die Figur befindet sich in der Nähe des Tabernakels und stelle damit eine Mahnung an die Gläubigen dar: "Macht es wie das Eichhörnchen, sammelt die reichen Gaben der Kirche, die in den Sakramenten geboten werden, für eure Winterzeit", so Kalkums Interpretation. Wenn sich Christen ein Vorbild an den kleinen Nagern nähmen und sich einen Vorrat an Glaubserfahrungen anlegten, kämen sie auch durch die harten Zeiten des Lebens.