Wenn die Glaubensfreude fehlt
Frage: Herr Müller, Sie beobachten im Recollectio-Haus zunehmend eine fehlende "Grundidentität" kirchlicher Mitarbeiter mit der Kirche. Woran machen Sie das fest?
Müller: In der letzten Zeit begegne ich nicht nur in unserem Haus, sondern auch bei Vorträgen immer mehr kirchlichen Mitarbeitern - Pastoralreferenten, Priester, Religionslehrer - , bei denen ich das feststelle: Das, was sie nach außen vertreten müssen, ist oft nicht das, von dem sie selbst überzeugt sind. Das tangiert Fragen wie das Leben nach dem Tod oder die Haltung der Kirche zur Sexualität.
Frage: Was beobachten Sie noch?
Müller: Auch die persönliche Lebensgestaltung passt mitunter nicht zur Lehre der Kirche. In manchen Diözesen sollen, so wird mir berichtet, die vermeintlichen Ausnahmen bezüglich der Lebenssituation - wie wilde Ehe, in Beziehungen lebende Priester oder homosexuelle Beziehungen von kirchlichen Mitarbeitern - eher die Regel als die Ausnahme sein. Das zieht bei den Betroffenen natürlich Spannungen und Identitätsprobleme mit sich. Ein weiteres Problem ist der Klerikalismus - das von oben nach unten Bestimmen - und der wenig christliche Umgang mit Untergebenen. Dies steht in starkem Kontrast zum Verständnis eines wahrhaft priesterlichen Umgangs miteinander, bei dem man sich auf einer Ebene begegnet.
Frage: Gerade im "Jahr des Glaubens" ist das doch eine sehr alarmierende Beobachtung, wenn selbst manche Kirchenmitarbeiter fast schon vom Glauben abzufallen scheinen...
Müller: In gewisser Weise schon. Es ist interessant, das Phänomen in den Kontext des Glaubensjahres zu stellen. Glauben kommt ja von dem lateinischen Wort credere, "cor dare", das Herz geben. Das "Jahr des Glaubens" hat mit Blick auf kirchliche Mitarbeiter sehr viel damit zu tun, sein Herz zu geben. Die eben genannten Aspekte tragen aber dazu bei, dass die kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer weniger ihr Herzblut geben können und innerlich emigrieren. Dadurch können auch sie nicht mehr überzeugend vom Glauben sprechen und Glaubensfreude ausstrahlen.
Frage: Die Glaubenskrise in der Gesellschaft spiegelt sich also auch in der Mitte der Kirche wider?
Müller: Durchaus. Es wird oft übersehen, dass diese kirchlichen Mitarbeiter ein Teil der Gesellschaft sind, von ihnen aber natürlich eine größere Loyalität gegenüber ihrer Kirche erwartet wird als vom normal Gläubigen. Sie bemühen sich, loyal gegenüber ihrer Kirche zu sein, spüren zugleich aber immer mehr und immer öfters, dass sie damit sich selbst, ihren Überzeugungen, ihrer Seele gegenüber illoyal werden. Wenn sie ehrlich sind, spüren sie in ihrem Herzen, dass sie längst woanders stehen, etwas anderes denken und fühlen.
Frage: Was kann ein Priester tun, wenn er merkt, dass er nicht mehr hinter dem steht, was er seiner Gemeinde predigt?
Müller: Zunächst sollte er innerlich dazu stehen und diese Diskrepanz spüren. Vielleicht kann er seine Sichtweise auf die Kirche verändern, um damit leben zu können. Wenn der Betroffene aber spürt, dass er seine Seele verkaufen würde, dann sollte er tatsächlich seinen Beruf aufgeben. Einige machen in dieser Situation auch nur noch Dienst nach Vorschrift, ohne Herz und innere Beteiligung. Das ist natürlich etwas, was sich auf Dauer nicht rechnet. Wenn ich nicht der sein kann, der ich tief in meinem Inneren bin, dann gerate ich in eine Krise, bis hin zur Verzweiflung.
Frage: Wissen katholische Dienstgeber eigentlich um das Dilemma, in dem sich manche ihrer Mitarbeiter befinden?
Müller: Die sensiblen unter ihnen, die Bischöfe und auch Personalreferenten, wissen es - sie sind vielleicht selbst davon betroffen. Die eher unsensiblen, klerikalen Typen, die mehr an äußeren Formen hängen, wissen es entweder nicht, oder sie verdrängen es.
Frage: Sind die Dienstgeber auch selbst ein Stück mitschuldig an der Situation?
Müller: Durchaus, wobei die Anzahl der Verantwortlichen, die das Problem sehen, zugenommen hat. Sie legen den Mitarbeitern nahe, eine Auszeit zu nehmen. Doch auch sie werden immer wieder eingeholt von dem, was von Rom, vom Bischof und von der Lehre vorgegeben wird. Sensible Dienstgeber versuchen, die eine oder andere Klippe zu umschiffen, indem sie eine gewisse Großzügigkeit an den Tag legen. Andere Dienstgeber sind einfach stur, sie fahren die harte Linie und setzen die Leute unter Druck.
Frage: So erschütternd Ihre Beobachtungen aus binnenkirchlicher Sicht auch sein mögen - mit ihren Zweifeln könnten sich Kirchenmitarbeiter doch Kirchenfernen ganz anders, auf Augenhöhe, begegnen. Wäre das nicht viel ehrlicher und authentischer, als die Augen davor zu verschließen?
Müller: Natürlich. Denn die Kirche hat ja nur dann einen Sinn, wenn sie Menschen hilft, in ihrem Glauben zu wachsen und die Freude des Glaubens zu erfahren. Aber wenn die Kirche aufgrund ihrer Strukturen dazu beiträgt, dass das selbst den hauptamtlichen kirchlichen Mitarbeitern schwerfällt, dann ist das in der Tat ein Dilemma. Denn die große und befreiende Kraft des Glaubens wird dann einfach abgewürgt.
Frage: Was müsste sich ändern, damit sich diese fatale Situation zum Guten wenden kann?
Müller: Eine Möglichkeit ist, dass kirchliche Mitarbeiter zu ihren Glaubenszweifeln stehen und die Spannung zulassen. Auch könnten sich kirchliche Mitarbeiter mehr untereinander solidarisieren, sich austauschen und diese Durststrecke auch mit Hilfe des Glaubens durchstehen. Bei all den genannten Problemen dürfen wir aber auch nicht vergessen, dass es auch Ressourcen gibt: Aus dieser Spannung heraus - solange sie einen nicht umbringt - kann neue Kraft erwachsen. Die Gnade vollzieht sich in dieser Spannung, nicht in der Lösung! Wir sollten - ohne etwas schön zu reden - versuchen, die Spannung fruchtbar zu machen.
Das Interview führte Angelika Prauß (KNA)