Pro und Contra: Billigkleidung boykottieren?
Pro: Ausbeuterische Kleiderfirmen boykottieren
Heißt "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" im Umkehrschluss "An die Fernsten musst du gar nicht denken"? Den Eindruck könnte man gewinnen, wenn man sieht, wie gleichgültig es den meisten Deutschen ist, unter welchen Bedingungen ihre Kleidung produziert wird. In Textil-Discountern sind die Arbeitsbedingungen weder für die Verkäufer in Deutschland noch für die Produzenten und Näher gut. Aber Primark boomt und schreibt auf seiner Internetseite: "2018 wird unser Jahr! Sport- und Freizeitkleidung für kleine Profis schon ab 5 €!"
Fünf Euro für Sportkleidung? Kein Wunder, dass viele junge Leute nur noch Kleidung für eine halbe Saison kaufen oder sogar nur einmal tragen. Kritiker werfen den Textil-Discountern vor, solche Preise nur auf Kosten der Arbeitsbedingungen der Zulieferer hinzubekommen. Aber wir in Deutschland horchen nur kurz entsetzt und betroffen auf, wenn mal wieder eine Fabrik in Pakistan oder Bangladesch abbrennt, aus der die Arbeiter sich nicht retten konnten, weil Brandschutztüren und Fenster verriegelt waren.
Für mich bedeutet das: Soweit es geht, will ich auf faire Produktionsbedingungen achten. Also die ganz billigen Ketten meiden und ebenso diejenigen teuren Marken, die unter kaum besseren Bedingungen produzieren. Dafür will ich mehr auf Kleidung aus Deutschland oder Europa setzen und vor allem auf Produkte aus fairem Handel mit den Siegeln "Fair Wear Foundation", "Cotton made in Africa" oder "Fairtrade". Ein T-Shirt kostet da nicht mehr als das aus einer aktuellen Modekollektion, dafür geht es den Produzenten und ihren Familien besser: Sie bekommen mehr Geld, das meist in Bildungsprojekte reinvestiert wird und müssen nicht 16 Stunden am Tag arbeiten.
Die ausbeuterischen Kleiderfirmen zu boykottieren und den fairen Handel zu stärken, möchte ich aber nicht alleine. Gerade als Christen sollten wir uns nicht gleichgültig verhalten und vorschnell sagen, das sei zu aufwendig oder bringe nichts. Ich bin froh über meine Kirche, die von der ersten Stunde an den fairen Handel in Deutschland unterstützt hat und es immer noch tut: Schon der Jugend-Dachverband BDKJ vermittelt, dass fair einzukaufen gar nicht so schwer ist. Die Christliche Initiative Romero informiert über die aktuelle Lage in den Branchen Sportbekleidung, Outdoor und Discounter. Und die von den Kirchen unterstützten Fairhandels-Importeure wie Gepa und Co. bieten mir die Möglichkeit, in ihren Online-Shops zu stöbern und ihre Produkte in meinen Weltladen zu bestellen. Wem das noch zu schwer ist: Inzwischen kann man selbst bei Aldi und Lidl immer wieder fair gehandelte Kleidung kaufen.
Contra: Günstige Kleidung bietet viele Chancen
Der Boykott von günstig hergestellter Kleidung klingt im ersten Moment sinnvoll: Man setzt sich für ausgebeutete Arbeiter ein, zwingt in der Kritik stehende Unternehmen zu einer besseren Bezahlung und macht klar, dass man für Ökologie eintritt. "Fair", "öko" und "bio" – das klingt in den Ohren von vielen Deutschen einfach gut. Auch kirchliche Verbände und Institutionen fordern den Boykott von bestimmten Kleidungsfirmen. Zwar haben die meisten dieser "Gutmenschen" begrüßenswerte moralische Motive, doch sie vergessen, dass die Dinge nicht so einfach liegen, wie sie zunächst scheinen.
Auch wenn wir Mitteleuropäer es uns nicht vorstellen können oder wollen: Die Arbeit in der Textilbranche ist für viele Menschen in Dritte-Welt-Ländern eine gute Möglichkeit, sich den Lebensunterhalt zu finanzieren – besonders, wenn sie über keine Ausbildung verfügen. In vielen dieser Staaten sorgen die Menschen größtenteils durch Eigen-Landwirtschaft für ihr Einkommen. Die Arbeit in Textilfabriken ist da eine attraktivere Alternative, denn Studien belegen, dass der Wohlstand von Fabrikarbeitern meist höher ist, als vom Rest der Bevölkerung. Deshalb können sie oft ihre Kinder zur Schule schicken und ihnen so die Chance auf ein besseres Leben geben.
Außerdem wird bezahlbare Kleidung in Deutschland gebraucht: 15,7 Prozent der Bevölkerung gilt nach dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung aus dem vergangenen Jahr als "arm". Sie müssen mit weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens auskommen. Bei einem alleinerziehenden Elternteil mit Kind sind das weniger als 1.192 Euro netto im Monat. Wer so wenig Geld für zwei Personen zur Verfügung hat, muss auf jeden Cent schauen. Daher ist es ein Segen, dass es moderne Kleidung gibt, die zu einem moderaten Preis angeboten werden kann – eben weil sie günstig produziert wurde. Das sollten auch die Kritiker von Bekleidungsunternehmen im Kopf haben, wenn sie zum Boykott aufrufen.