Was die Fastenzeit mit Erniedrigung und Umkehr zu tun hat

Fastet wie im Alten Testament!

Veröffentlicht am 24.02.2018 um 13:01 Uhr – Lesedauer: 
Fastenzeit

Jerusalem ‐ Fasten ist derzeit in aller Munde. Aber was tun wir Christen eigentlich, wenn wir in der österlichen Bußzeit fasten? Ein Blick in das Alte Testament hilft bei der Klärung dieser Frage.

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Der Codex Iuris Canonici, das Gesetzbuch des Kirchenrechts der römisch-katholischen Kirche, definiert die 40-tägige sogenannte Fastenzeit als Bußzeit, in der am Aschermittwoch und Karfreitag Fasten einzuhalten ist (Canon 1251). Gemäß den Vorgaben der Deutschen Bischofskonferenz bedeutet dies, dass an diesen beiden Tagen nur eine sättigende Mahlzeit eingenommen (Fasten) und auf Fleischspeisen verzichtet (Abstinenz) werden soll. In der österlichen Bußzeit soll die Umkehr der Gläubigen zu Gott im Mittelpunkt stehen: "Denn er [Jesus] hat in der Wüste vierzig Tage gefastet und durch sein Beispiel diese Zeit der Buße geheiligt", so heißt es in der Eröffnung des Hochgebets des Ersten Fastensonntags.

Im Matthäusevangelium wird berichtet, dass Jesus 40 Tage und 40 Nächte in der Wüste gefastet hat. (Mt 4,2, vgl. Lk 4,2) Aber der Text erklärt nicht, warum oder wozu Jesus auf Nahrung verzichtet hat. Nach der Taufe durch Johannes verkündete die göttliche Stimme aus dem Himmel die Gottessohnschaft Jesu und der Geist Gottes legte sich auf ihn. Von ihm wurde Jesus dann in die Wüste geführt, wo er vom Teufel versucht werden sollte. Aber zuerst berichtet Matthäus, dass Jesus fastete – also weder aß noch trank.

Fastenzeit: 40 Tage Vorbereitung

Am Aschermittwoch beginnt die Fastenzeit. 40 Tage lang bereiten sich Christen dann auf Ostern vor. Die Fastenzeit als Bußzeit ist verbunden mit vielen Ritualen. Katholisch.de erklärt wichtige Begriffe rund um diese Zeit.

Der Verweis auf die 40 Tage und die 40 Nächte lenkt den Leser ins Alte Testament. Als Mose ein zweites Mal auf den Berg Sinai steigt, um die Bundestafeln zu empfangen, heißt es: "Mose blieb dort beim HERRN vierzig Tage und vierzig Nächte. Er aß kein Brot und trank kein Wasser. Er schrieb auf die Tafeln die Worte des Bundes, die zehn Worte." (Ex 34,28; vgl. Dtn 9,9) In der Gegenwart Gottes ist Mose den weltlichen Bedürfnissen entzogen. Ebenso ergeht es Jesus, nachdem der Geist Gottes auf ihn gekommen ist und ihn in die Wüste geführt hat. Es handelt sich um ein besonderes Fasten, dass durch Gottes Gegenwart ermöglicht ist. Jesu Fasten dient weder der Buße, noch ist es überhaupt ein dem Menschen – ohne die Hilfe Gottes – möglicher Verzicht auf Speise und Trank.

Altes Testament: Fasten nicht als Bußhandlung missverstehen

Das Alte Testament warnt davor, Fasten als Bußhandlung misszuverstehen. Zwar kennt auch der alttestamentliche Autor Jesus Sirach den Verzicht auf Nahrung als Bußakt für Sünden, aber er betont deutlich, dass Buße ohne innere Umkehr bedeutungslos ist: "Wer ein Tauchbad nach der Berührung mit einem Toten nimmt und ihn wieder anfasst – was hat ihm das Waschen genützt? So ist ein Mensch, der wegen seiner Sünde fastet, zurückkehrt und sie wieder begeht. Wer wird sein Gebet erhören? Was nützt es ihm, dass er sich gedemütigt hat?" (Sir 34,30) Im hebräischen Alten Testament bedeutet Fasten (Hebräisch: צום) gemeinhin den vollständigen Verzicht auf Nahrung bis zum Abend. (vgl. 2 Sam 1,12) Es dient der körperlichen Erniedrigung, damit Gott sich dem Schicksal des Betenden annimmt, nachdem eine innerliche Umkehr stattgefunden hat.

Dieser Zusammenhang wird im Buch Joel in einer in der Deutung besonders umstrittenen Stelle erkennbar. In der revidierten Einheitsübersetzung wird Joel 2,12-13a folgendermaßen wiedergegeben: "Auch jetzt noch – Spruch des HERRN: Kehrt um zu mir von ganzem Herzen mit Fasten, Weinen und Klagen! Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider, und kehrt um zum HERRN, eurem Gott!" (Joel 2,12-13a) Gemäß dieser Übersetzung ist das Fasten integraler Bestandteil der Umkehr zu Gott. Im hebräischen Text jedoch sind die Trauerriten (Fasten, Weinen und Klagen) Symbolhandlungen, die der Umkehr folgen und die Buße sichtbar werden lassen: "[...] Kehrt um mit ganzem Herzen und mit Fasten, und mit Weinen und mit Klagen!“ (Joel 2,12) Fasten ist in diesem Fall der Schrei nach Gnade, der nur eine Berechtigung hat, wenn der Klagende zu Gott umgekehrt ist – wenn das Herz nicht zu Gott umgekehrt ist, ist jede andere Form der Buße sinnlos (siehe Jer 14,10-12). Das Buch Jesaja geht sogar noch einen Schritt weiter: Die Selbsterniedrigung durch Fasten darf kein leeres Ritual sein, sondern muss einhergehen mit der mitfühlenden Identifikation mit den elenden und armen Erniedrigten (siehe Jes 58). Aus dieser Perspektive betrachtet ist Fasten Teil eines Dreiklangs: gute Werke (Almosen), Fasten, Gebet.

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Video: © katholisch.de

Die Zeichentrickserie "Katholisch für Anfänger" erklärt auf einfache und humorvolle Art zentrale Begriffe aus Kirche und Christentum. In dieser Folge geht es um die 40-tägige Fastenzeit.

Fasten ist im Alten Testament zuvorderst ein Trauerritus, in dem sich der Trauernde dem Toten angleicht. Wie Weinen und Totenklage ist es eine Äußerung der Trauer durch Selbstminderung (2 Sam 1,12). Es ist ein symbolischer, von Mitgefühl mit den Toten geleiteter Eintritt in den Bereich von Krankheit und Tod. Als Antizipation des Todes dient das Fasten in der Hebräischen Bibel auch als nonverbale Dimension des Bittgebets für Kranke. Der Beter in Ps 35,13 beklagt die fehlende Sympathie seiner Feinde in seiner Not, während er sich selbst, als sie krank waren, mit ihnen solidarisch verhalten hatte: "Ich aber zog ein Bußkleid [wörtlich: Sacktuch] an, als sie erkrankten, und quälte mich ab mit Fasten. Nun kehre mein Gebet zurück in meine Brust." Seinem Bittgebet, das er sich nun wünscht nicht ausgesprochen zu haben, verlieh er durch eine Selbsterniedrigung in der Form des Fastens Nachdruck. Dahinter steht der Glaube, dass Gott sich den Erniedrigten, die elend und arm sind, zuwendet (siehe Ps 109,21-22). In Verbindung mit einem Gebet hebt das Fasten die Dringlichkeit der Bitte hervor. Sie wird durch das Fasten dramatisiert.

Kein Fastengebot im Alten Testament

Auffallend ist, dass es im Alten Testament kein Fastengebot gibt. In der Vielzahl der Gesetze des Pentateuchs finden sich keine Anweisungen und keine Vorschriften zum Fasten. Das hebräische Wort für Fasten (צום) findet sich überhaupt nicht in den Gesetzessammlungen des Alten Testaments – nur im Kontext des großen Versöhnungstags steht die Aufforderung, sich zu erniedrigen (siehe Lev 16,29), was – wie Ps 35,13 zeigt – eine Kategorie bezeichnet, zu der auch das Fasten gehören kann. Erst in exilisch-nachexilischer Zeit finden sich Verweise auf einzelne jährliche Fasttage. Am Ende des Buches Esther wird zur Erinnerung an die Rettung der Juden in Persien das Purimfest vorgeschrieben, dem ein Fasten vorausgeht (siehe Est 9,31). Im Prophetenbuch Sacharja zeigt sich, dass zur Erinnerung an die Zerstörung des ersten Tempels, an die Zerstörung der Jerusalemer Stadtmauer durch die Babylonier, an die Belagerung Jerusalems und an die Ermordung des Statthalters Gedaljah Fasttage gehalten wurden. Diese Tage dienten der Erinnerung, aber sie waren zugleich auf eine bessere Zukunft ausgerichtet, in der sich die Trauer in Freude wandeln würde: "So spricht der HERR der Heerscharen: Das Fasten des vierten, das Fasten des fünften, das Fasten des siebten und das Fasten des zehnten Monats soll für das Haus Juda zum Jubel und zur Freude und zu frohen Festen werden. Darum liebt die Treue und den Frieden!" (Sach 8,19) Mit dem trauernden Blick auf die Vergangenheit wird im Fasten von Gott eine bessere Zukunft erhofft.

Im Alten Testament liegt allen Dimensionen des Fastens Trauer zugrunde: Trauer über den Tod, Trauer über geschichtliches oder persönliche Leid, Trauer über die eigene Sünde und über die Abkehr Gottes. In dieser Trauer ist das Fasten wie ein Hilfeschrei in der Hilflosigkeit. In seiner Selbsterniedrigung bittet der Gläubige um Gottes rettende Gegenwart und eine bessere Zukunft. Am Aschermittwoch ist das Fasten der Christen der Hilfeschrei gegen die Macht des Todes und am Karfreitag der Hilfeschrei gegen die Kreuzigung Jesu. Beides wandelt sich in der Osternacht zu Jubel und zu Freude in der Gewissheit, dass der Tod besiegt ist. Doch zum Fasten gehört auch die Warnung der alttestamentlichen Propheten: Ohne vorherige Umkehr zu Gott und den sich daraus ergebenden Taten der Barmherzigkeit ist diese Selbsterniedrigung nur eine sinnlose Handlung.

Von Till Magnus Steiner

Der Autor

Till Magnus Steiner ist katholischer Theologe. Sein Forschungsschwerpunkt liegt in der Exegese des Alten Testaments. Er lebt und arbeitet in Jerusalem.