Theologe fordert Konzept gegen Kirchenabrisse
Der Theologe und Kirchenbauexperte Albert Gerhards hat eine bessere Vernetzung angemahnt, um die Fragen der Nachnutzung von Kirchen nicht dem Zufall oder rein kommerziellen Interessen zu überlassen. Es brauche nationale und internationale Kooperationen über die Grenzen einzelner Konfessionen hinaus, schreibt Gerhards in der "Herder Korrespondenz" (März). Es bestehe eine Verantwortlichkeit der Kirchen für ihre Sakralgebäude, die nicht mit der Entwidmung und dem Verkauf ende.
"Bei der Veräußerung ist in jedem Fall Vorsicht geboten", schreibt Gerhards. Die katholischen Leitlinien für die Umnutzung von Kirchengebäuden sähen zwar vor, dass zunächst das ganze Spektrum einer kirchlichen Weiternutzung geprüft werden müsse, bevor ein Gebäude aus der kirchlichen Trägerschaft entlassen werden könne. "Die Erfahrung lehrt jedoch, dass man das Pferd zuweilen auch von hinten aufzäumt, etwa wenn ein williger Investor Gewehr bei Fuß steht", kritisiert Gerhards. Es sei darauf zu achten, wem man ein Kirchengebäude überlasse und ob die Vertragsgestaltung ein Einspruchsrecht gegen missbräuchliche Nutzung vorsehe. "Besser wäre es freilich, die Gebäude, wenn eben möglich, nicht völlig aus der Hand zu geben."
Der Kirchenbauexperte geht davon aus, dass der Druck auf die Gemeinden in absehbarer Zeit gewaltig zunehmen werde. "Vor allem Diözesen, die bereits eine große Zahl an Kirchen aufgegeben haben, wie etwa das Bistum Essen, werden eine noch größere Zahl zur Disposition stellen müssen. Andere, vor allem süddeutsche und österreichische Bistümer, die die Thematik bislang weitgehend ausgeklammert haben, werden bald damit konfrontiert werden." Gegen eine verbreitete Rückzugsmentalität bräuchten Christen in Europa Aufbruchsimpulse. Dazu könnten die Kirchengebäude beitragen, wenn man sie nicht vorrangig als Last, sondern als "Leuchtturm" der "in der christlichen Heilsbotschaft verkündeten Humanisierung unseres Lebensraums" erfahre und nutze.
Gerhards hatte sich bereits mehrfach gegen voreilige Kirchenverkäufe und -abrisse gewandt. "Wenn sich kein Umdenken einstellt, ist für die kommenden Jahre ein starker Anstieg von Abrissen absehbar", sagte er im vergangenne Oktober im Gespräch mit katholisch.de. Oft würden nicht alle Fragestellungen bedacht und Möglichkeiten ausgereizt. Einer der größten Denkfehler sei, "dass man die Kirchenzahl auf die Priesterzahl umrechnet", so der Liturgiewissenschaftler. Auch könne man den "Wert" einer Kirche nicht mit der klassischen Formel "Grundstückswert minus Abrisskosten" errechnen.
Nach katholisch.de-Recherchen (Stand Oktober 2017) wurden seit dem Jahr 2000 über 500 Kirchen aufgegeben und 140 davon abgerissen. Allein das Bistum Essen schloss 105 Kirchen, 52 davon wurden profaniert und 31 abgerissen. (bod/KNA)