Von Zucker und Salz
Eine grundlegende Neuausrichtung der innerkirchlichen Reformdebatte hat Kurienkardinal Walter Kasper angeregt. Vor rund 700 Priestern, Diakonen und Bischöfen aus ganz Deutschland beklagte er am Freitag "Grabenkämpfe" und "Drahtverhaue" im aktuellen kirchenpolitischen und theologischen Meinungsstreit. Die Kirche brauche dringend einen Themenwechsel; sie müsse die Frage nach Gott und Christus wieder ins Zentrum rücken. Der Rückgang der Mitgliederzahlen müsse die Kirche nicht schrecken, erklärte Kasper. Das Leben in der Krise und als Minderheit gehöre zur Geschichte der Kirche dazu.
Kasper appellierte an die Geistlichen, sich nicht von den Medien auf "Nebenkriegsschauplätze" wie die Fragen nach Diakoninnen oder den Zölibat drängen zu lassen. Er verwies auf die protestantischen Kirchen, die trotz Einführung aller vom Zeitgeist geforderten Neuerungen in der Glaubensvermittlung nicht besser dastünden als die katholische Kirche.
"Diktatur des Relativismus und der political correctness"
Der Kardinal kritisierte eine "Diktatur des Relativismus und der political correctness". Wenn jeder Tabubruch als Fortschritt gelte, werde das Leben "indiskret, taktlos, distanzlos, ehrfurchtslos und letztlich unerträglich". Die Priester rief er auf, die Dimension des Heiligen wieder in den Mittelpunkt ihres Redens und Tuns zu rücken. Es sei dringend erforderlich, neu die Ehrfurcht vor Gott zu lernen und das Erste Gebot ("Du sollst neben mir keine anderen Götter haben"; Ex 20,2–17; Dtn 5,6–21) neu zu buchstabieren.
"Wir brauchen eine theologische Wende in der Theologie und in der Seelsorge!", erklärte der Kardinal und forderte unter anderem eine radikal verbesserte Vorbereitung der Kinder auf die Sakramente und eine Rückkehr zur Beichte. Der Verfall dieses Sakraments der Barmherzigkeit sei eine der "tiefen schmerzenden Wunden am Leib der Kirche". Er berichtete, dass die Beichtpraxis in Rom derzeit spürbar zunehme, weil Papst Franziskus mit seiner Botschaft von der Barmherzigkeit viele Menschen ins Herz treffe.
Mit Blick auf die Missbrauchs-Skandale erklärte Kasper, die Kirche dürfe Missstände nicht vertuschen. Als eine "heilige Kirche von Sündern" müsse sie Verfehlungen eingestehen und sich reinigen. Anders als diese menschengemachten Skandale sei aber der "Grundskandal" der Kirche unvermeidlich, der darin bestehe, dass sie sich von der Welt unterscheide. Christsein sei nur in der Differenz möglich. Nur, wer selbst von etwas überzeugt sei, könne auch andere respektieren und mit ihnen in Dialog treten.
„Die Eucharistie ist so etwas wie eine Bewährungsprobe für unseren Glauben.“
Wie Kasper sieht auch Kardinal Rainer Maria Woelki im Außenseiterdasein von Katholiken keinen Grund zur Entmutigung. "Eigentlich ist im Evangelium schon dargestellt, dass wir nicht Zucker, sondern Salz der Erde sind", sagte der Berliner Erzbischof. Früher seien Kirche und öffentliche Glaubenspraxis gesellschaftlich mehr verankert gewesen. Das habe sich aber im Laufe der Jahre und Jahrzehnte geändert. Es sei historisch gesehen aber nicht ungewöhnlich. "Auch der Herr musste damit leben, dass einige ihn nicht verstanden haben", sagte Woelki.
Für Christen sei es wichtig, sich vorbehaltlos auf die Botschaft Jesu einzulassen - jeden Tag aufs Neue und insbesondere bei der Eucharistie. "Die Eucharistie ist so etwas wie eine Bewährungsprobe für unseren Glauben", sagte der Kardinal. Jeder müsse sich dabei mit Christus dem Vater übergeben. "Billiger geht es leider nicht, wenn wir Eucharistie feiern", so Woelki.
Auf die Frage einer Ordensschwester, warum die katholische Kirche sich so schwer mit wiederverheirateten Geschiedenen tue und sie von der Eucharistie ausschließe, reagierte Woelki verhalten. Es sei ein großes Problem, mit dem sich auch die Deutsche Bischofskonferenz beschäftige, sagte der Kardinal. Aber er habe noch keine Lösung parat.
Arbeitsgruppen beschäftigt sich mit wiederverheirateten Geschiedenen
Der Rottenburg-Stuttgarter Bischof Gebhard Fürst wurde da schon etwas deutlicher, wenn auch ohne konkrete Vorschläge zu benennen. Er fordert einen sensibleren Umgang der katholischen Kirche mit wiederverheirateten Geschiedenen. "Wir müssen Einzelfälle gescheiterter Ehen besser berücksichtigen", sagte er. Mit dem Thema befasse sich eine Arbeitsgruppe der Bischofskonferenz. Er hoffe, dass es auf dieser Ebene zu einer Lösung in dieser Frage komme, so Fürst.
Der Münchner Kardinal Reinhard Marx will die Menschen für das Christentum gewinnen, indem die Kirche niederschwellig über den Glauben aufklärt. So sollten interessierte Nichtgläubige zunächst einmal "entdecken, was die Messe heißt", erklärte Marx. Gottesdienste müssten eine gewisse Anziehungskraft ausstrahlen, damit Besucher die Messe auf keinen Fall verpassen wollen.
Zur Frage nach einem gemeinsamen Abendmahl von Katholiken und Protestanten sagte Marx, dies sei ein großes und schwieriges Thema, das auch direkte Auswirkungen auf die seelsorgliche Praxis habe. Einerseits müsse der katholische Priester vor der Messe deutlich machen, wer an der Eucharistiefeier teilnehmen dürfe und wer nicht. Dadurch wiederum fühlten sich anwesende evangelische Christen oft verletzt, weil sie die Kommunion nicht empfangen dürfen. (bod/KNA)