Wandelndes Lexikon, Vordenker und Menschenfreund
Zahlreiche Kirchen- und Religionsführer sowie Politiker haben das gesellschaftliche Engagement des verstorbenen Kardinals Karl Lehmann ebenso wie sein Wirken für die Verständigung zwischen den christlichen Konfessionen gewürdigt. Führende Vertreter der Politik nannten ihn einen wichtigen Ansprechpartner, Kompass und Vordenker. Lehmann starb am Sonntagmorgen im Alter von 81 Jahren in seinem Haus in Mainz.
Mit Betroffenheit und Trauer nahm die Deutsche Bischofskonferenz die Nachricht vom Tod ihres langjährigen Vorsitzenden (1987-2008) auf. "Ein großer Theologe, Bischof und Menschenfreund geht von uns", sagte der Vorsitzende Kardinal Reinhard Marx. Mit Lehmann gehe ein warmherziger und menschlicher Bischof von großer Sprachkraft. "Die Kirche in Deutschland verneigt sich vor einer Persönlichkeit, die die katholische Kirche weltweit wesentlich mit geprägt hat." Lehmann sei ein katholischer Weltbürger und überzeugter Europäer gewesen, so der Erzbischof von Münschen und Freising. "Es ging ihm immer wieder um die Frage, wie eine menschendienliche und zugleich traditionsverpflichtete Kirche beschaffen sein sollte."
"Das Bistum Mainz trauert um einen weit über die Kirche hinaus hoch anerkannten Theologen und Seelsorger, einen leidenschaftlichen Brückenbauer zwischen den Konfessionen und einen Zeugen des Glaubens inmitten der Gesellschaft", erklärte der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf. Mit Lehmann "verlieren wir wirklich eine große Persönlichkeit, einen großen liebenswerten Menschen", sagte Kohlgraf vor Journalisten. Die Reaktionen in der vergangenen Woche, als das Bistum über den kritischen Gesundheitszustand Lehmanns berichtet hatte, seien "überwältigend" gewesen. Viele Menschen trauerten nun.
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Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki würdigte Lehmann als einen exzellenten theologischen Denker: "Durch seine besondere Gabe, auch komplexe theologische Fragen einfach darstellen zu können, hat er immer wieder den Austausch mit allen Menschen gleich welcher Weltanschauung gefördert." Besonders als ein den Menschen zugewandter Seelsorger, der den Dialog befördert, werde Lehmann noch lange als Vorbild in Erinnerung bleiben, erklärte Woelki.
Erzbischof Koch würdigt Lehmanns Verdienste für Einheit
Der Berliner Erzbischof Heiner Koch ging auf die Verdienste Kardinal Lehmanns um die Einheit der Kirche in Deutschland ein. "Ich bin Kardinal Lehmann besonders dankbar, dass er als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz mit großer Ruhe, Besonnenheit und Entschiedenheit die katholische Kirche in Deutschland durch bewegte Zeiten geführt und sich stets für deren Einheit eingesetzt hat", erklärte Koch in Berlin. "Ich verneige mich vor einem großen Bischof und Theologen, der mir immer ein Vorbild war."
Der Bischof von Münster, Felix Genn, zog eine Verbindung zu einem anderen verstorbenen Kardinal: "Nach dem Tod von Joachim Kardinal Meisner im vergangenen Jahr markiert der Tod von Karl Kardinal Lehmann ebenfalls das Ende einer kirchengeschichtlichen Ära, die er ganz wesentlich mitgestaltet und geprägt hat." Die beiden seien "zwei unterschiedliche Bischofsgestalten, die bisweilen auch wie Antipoden gewirkt haben". Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck erklärte mit Blick darauf, dass Lehmann das Zweite Vatikanische Konzil erlebt habe: "Er war zweifellos ein wandelndes und kommentierendes Lexikon dieses Konzils."
Die katholischen Bischöfe in Baden-Württemberg – Lehmann stammte aus Sigmaringen – haben den Kardinal als herausragenden Theologen und Brückenbauer zwischen Staat und Kirche gewürdigt. Lehmann habe als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz "richtungsweisend" in Politik, Kultur und Kirche hinein gesprochen, sagte der Rottenburg-Stuttgarter Bischof Gebhard Fürst. Im Dialog habe er immer auf die Kraft des Arguments gesetzt. Der Freiburger Erzbischof Stephan Burger erinnerte an Lehmanns Verdienste um das ökumenische Miteinander der verschiedenen Konfessionen in Deutschland. Die Katholiken im Südwesten trauerten um eine außergewöhnliche Persönlichkeit mit herausragender theologischer Begabung.
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Weihbischof Ulrich Boom, Diözesanadministrator im Nachbarbistum Würzburg, erinnerte an Lehmanns Bischofswort "Steht fest im Glauben", das dieser als Theologe und Seelsorger eingelöst habe. "Möge ihm Gott jetzt seinen Einsatz und sein Mühen für die Kirche in Mainz und in Deutschland sowie für die ganze Weltkirche vergelten." Sein Leben und Werk seien Lehmanns bischöflichen Wahlspruch "prägnant zusammengefasst", sagte auch der Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann.
Das Bistum Erfurt trauere "um einen großen Mann der katholischen Kirche in Deutschland, der immer auch ein waches Gespür für die Besonderheiten der Katholiken in der ostdeutschen Diaspora hatte", sagte Bischof Ulrich Neymeyr, der selbst aus dem Bistum Mainz stammt.
Bedford-Strohm: Lehmann hat Ökumene entscheidend vorangebracht
Das Bistum Limburg würdigte vor allem den Einsatz des Verstorbenen für die Ökumene. "Die katholische Kirche in Deutschland verliert mit ihm einen ganz großen Brückenbauer. Die Brücken, die er geschlagen hat, sind solide und können weiter gefestigt werden", erklärte Bischof Georg Bätzing. "Wenn wir heute sagen, uns verbindet viel mehr als uns trennt, dann ist das nicht zuletzt Frucht des jahrzehntelangen ökumenischen Dialogs, für den sich Kardinal Lehmann kontinuierlich im Gesprächskreis von katholischen und evangelischen Theologen einsetzte."
Auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, ging auf Lehmann als Wegbereiter für die Annäherung beider Kirchen ein. "Für die evangelische Kirche war er in den vergangenen Jahrzehnten ein ganz wichtiger Ansprechpartner und Mitstreiter für das ökumenische Miteinander", schrieb er in einem Brief an Lehmanns Nachfolger Kohlgraf. Er habe ein "weltweit beachtetes Zeichen für die Verständigung der beiden großen Konfessionen" gesetzt. "Es ging ihm immer darum, Christus neu zu entdecken", schrieb Bedford-Storm. Durch seine "herausragende theologische Kompetenz, gepaart mit einem weiten Herzen", habe er die Ökumene entscheidend vorangebracht. "Wir werden ihn alle sehr vermissen. Ich vertraue darauf, dass er in Gottes Hand geborgen ist und jetzt schauen darf, woran er geglaubt hat."
In großer Trauer nehme die Evangelische Kirche der Pfalz Abschied von Lehmann, teilte Kirchenpräsident Christian Schad mit. "Indem wir Gott für sein erfülltes Leben danken, gedenken wir seiner in Hochachtung und Respekt angesichts seines Wirkens für unsere Kirchen. Persönlich verliere ich einen väterlichen Freund, den ich am vorvergangen Samstag noch auf seiner letzten Reise begleiten durfte." Es habe umgetrieben, dass konfessionsverschiedene Ehepaare häufig von ihren Kirchen alleine gelassen würden. "Umso mehr hat ihn der jüngste Beschluss der Deutschen Bischofskonferenz gefreut, wonach konfessionsverschiedene Paare in besonderen Fällen gemeinsam an der Eucharistie teilnehmen können," so Schad.
Der Zentralrat der Juden in Deutschland erinnerte an den Beitrag Lehmanns zur Versöhnung zwischen Juden und Christen. "Mit hoher Sensibilität und Klugheit hat sich Kardinal Lehmann stets für ein gutes Verhältnis von Christen und Juden eingesetzt", erklärte die Vertretung der jüdischen Gemeinden in Berlin. "Dabei gelang es ihm auch, Missverständnisse oder Unstimmigkeiten auszuräumen." Der Zentralrat würdigte insbesondere, dass die Deutsche Bischofskonferenz unter seiner Leitung eine deutliche Absage an die Judenmission formuliert habe. "Lehmann gehörte zu jenen Vertretern der katholischen Kirche, die einen besonders wichtigen Beitrag zur Versöhnung leisteten und fest an der Seite der jüdischen Gemeinschaft standen."
Politik würdigt Kardinal Lehmann als Ratgeber und Vordenker
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) reagierte mit Trauer auf den Tod des Mainzers. "Ich bin sehr traurig über den Tod von Karl Kardinal Lehmann", ließ sie am Sonntag mitteilen. "Ich denke heute mit tiefer Dankbarkeit an unsere guten Gespräche und Begegnungen über viele Jahre. Er hat mich mit seiner intellektuellen und theologischen Kraft begeistert und war dabei immer auch ein Mensch voll bodenständiger Lebensfreude", sagte sie. Kardinal Lehmann sei ein "begnadeter Vermittler, zwischen den deutschen Katholiken und Rom, im Geist der Ökumene zwischen den christlichen Kirchen, genauso aber zwischen Christen und den Gläubigen anderer Religionen" gewesen, so Merkel.
Er habe gemäß seinem Wahlspruch als Bischof "Steht fest im Glauben" gelebt und gewirkt. "Möge er nun die verdiente Ruhe finden. Ich verneige mich vor seinem Lebenswerk und werde ihn in dankbarer Erinnerung behalten." Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erklärte, der Kardinal sei "ein Mann klarer Worte gewesen, der bei aller Nachdenklichkeit und Konzilianz auch die politische Kontroverse nicht scheute". Dass Lehmann nicht nur den eigenen Kräften vertraut hat, "sondern auch mit der Gnade Gottes rechnete, merkten die Menschen, die ihm begegneten", so Steinmeier.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker würdigte Lehmann als "treuen Freund" Europas. "Als moralischer Kompass hat er uns den Weg gewiesen und an die Werte erinnert, die Europa zu etwas Besonderem machen", erklärte der Kommissionspräsident in Brüssel. In der Flüchtlingsfrage habe der Kardinal dazu aufgerufen, "sich auf die europäische Kraft des Gemeinsamen zu besinnen und im Sinne der Menschlichkeit zu reagieren", sagte Juncker.
„Ich habe an ihm vor allem seinen weiten theologischen Horizont und seine menschliche Wärme geschätzt.“
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hob Lehmann als ermutigendes Beispiel für ein weltoffenes, lebensbejahendes Christentum hervor. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) erklärte, Lehmann sei ein "großartiger Mensch und ein großer und streitbarer Theologe" gewesen, der "keine Angst vor neuen Themen und Denkverboten, keine Berührungsängste mit Menschen hatte und stets für klare Worte und Taten stand". Die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles, sagte, Deutschland verliere einen weltoffenen Geistlichen und Universalgelehrten. "Kardinal Lehmann war ein großer Menschenfreund und Reformer, der in der Gesellschaft breite Akzeptanz und durch sein Wirken und seine Sprache Gehör gefunden hat."
Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) erklärte, der Kardinal habe für klare Worte und Taten gestanden. Er habe keine Angst vor neuen Themen und Denkverboten und auch keine Berührungsängste gehabt. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) bezeichnete Lehmann als einen guten Ratgeber, der "uns bei vielen kritischen Themen weitergeholfen hat. Seine Anregungen und seine Mahnungen haben zu guten Lösungen in vielen ethischen Fragen beigetragen."
Reaktionen aus Rheinland-Pfalz
CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte, Deutschland habe Lehmann viel zu verdanken. Er sei von einer beeindruckenden Gelehrsamkeit gewesen, "die immer den einzelnen Menschen zum Ausgangs- und Zielpunkt des Denkens machte. Damit gelang es ihm auf unvergleichliche Weise, die Botschaft seines Glaubens erfahrbar zu machen." Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt erklärte, Lehmann sei eine Persönlichkeit gewesen, die "in einer Gesellschaft, die immer mehr auseinanderläuft, die Menschen zusammenbringen konnte". Immer wieder habe er auch daran erinnert, dass zur Bewahrung der Schöpfung der Einsatz für Mitmenschen, Umwelt und Klima gehöre.
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sagte, Lehmann habe "Maßstäbe für einen weltoffenen Katholizismus gesetzt". Dabei nannte sie das Engagement des Kardinals für die Aufnahme von Flüchtlingen und zum kirchlichen Beistand für schwangere Frauen in Gewissenskonflikten. Als gütigen, lebensfrohen und über die Landesgrenzen hinaus beliebten Theologen und Bischof würdigte die rheinland-pfälzische CDU-Chefin Julia Klöckner den Verstorbenen. "Wir verlieren eine bedeutende Persönlichkeit, ein Stück Geschichte, einen wahren Zeugen des Glaubens, einen herausragenden Wissenschaftler und Philosophen", so Klöckner. Der frühere rheinland-pfälzische Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) sagte, Lehmann habe "zwei Leben in einer Person verwirklicht: Er war ein herausragender Wissenschaftler und gleichzeitig eine den deutschen Katholizismus 40 Jahre prägende Figur". Lehmann sei "in jeder Hinsicht bemerkenswert" gewesen, sagte Vogel der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). "Mit ihm führte ich über Jahrzehnte die interessantesten und inhaltsreichsten Gespräche."
Katholische Verbände – Jugend trauert
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) erklärte, Lehmann habe die Kirche stets als Gemeinschaft verstanden. "Immer suchte er den Konsens im fairen Dialog", sagte Präsident Thomas Sternberg. Mit seiner Offenheit und auf Verständigung zielenden Persönlichkeit sei es ihm gelungen, die Kirche in schweren Zeiten zusammenzuhalten und gelegentlich auch problematische römische Entscheidungen für alle Gläubigen zu übersetzen.
Als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz war Lehmann "immer wieder Ohr und Stimme für die Anliegen junger Menschen", erklärte der Bundesvorsitzendende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), Thomas Andonie. Kardinal Karl Lehmann sei für den BDKJ stets ein interessierter und engagierter Gesprächspartner gewesen. "Mit seiner vermittelnden Art war er ein Mensch, der immer wieder Brücken schlagen konnte. Junge Menschen schätzten an ihm seine glaubwürdige, authentische Art. Wir werden sein Andenken bewahren", so Andonie weiter.
Auch zwei Hilfswerke trauern um einen "großen Förderer": Das Kindermissionswerk "Die Sternsinger" und missio Aachen teilten mit, dass die Weltkirche "einen großen Theologen und Seelsorger" verliere. (mit Material von KNA und dpa)