Die sieben letzten Worte Jesu
"Da Jesus an dem Kreuze stund, / und ihm sein Leichnam war verwundt / sogar mit bittern Schmerzen, / die sieben Worte, die Jesus sprach, / betracht in deinem Herzen." So rät der Hebraist Johann Böschenstein in seinem Kirchenlied aus dem frühen 16. Jahrhundert. Der Choral greift eine alte Karfreitagstradition der Kirche auf: die Betrachtung der "sieben letzten Worte Jesu".
Diese Tradition stützt sich auf die biblische Überlieferung der Aussagen Jesu von der Kreuzigung bis zu seinem Tod. Es handelt sich dabei um eine sogenannte Evangelienharmonie, also eine Erzählung, die Inhalte aller vier Evangelien zusammenführt. So entstammen den Evangelien nach Lukas und Johannes jeweils drei der Worte, das siebte Wort findet sich sowohl bei Matthäus als auch bei Markus.
Die Sieben: Eine Zahl mit Symbolkraft
Die Siebenzahl, wie sie sich in den "letzten Worten" findet, ist ein klassisches Motiv der christlichen Zahlensymbolik. Daneben kennt die Kirche sieben Tugenden, sieben Todsünden, sieben Werke der Barmherzigkeit und sieben Sakramente. In der Bibel berichtet Matthäus von sieben Gleichnissen, Johannes von sieben Wundern Jesu. Dieser fordert von seinen Jüngern bei Lukas die siebenfache Vergebung gegenüber dem Nächsten (Lk 17,4), bei Matthäus sogar die siebenundsiebzigfache (Mt 18,21f.).
Entsprechend der Chronologie der Passionsgeschichte werden die "sieben letzten Worte" traditionell in einer festgelegten Reihenfolge angeordnet. Sie beginnt mit der Vergebungsbitte Jesu für seine Mörder, wie sie das Lukasevangelium überliefert. Am Schluss steht das ebenfalls von Lukas überlieferte Wort von der Aufgabe des Geistes.
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Neben dem großen theologischen Gehalt der Herrenworte war diese innere Dramaturgie immer wieder Grundlage für künstlerische Rezeptionen der "sieben letzten Worte". So komponierte Heinrich Schütz Mitte des 17. Jahrhunderts ein fünfteiliges Chorwerk rund um die biblische Erzählung. Zu Beginn und Ende übernimmt der Barockmeister Strophen des eingangs zitierten Lieds Böschensteins.
Wohl noch bekannter sind "die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze" von Joseph Haydn. Das im Jahr 1787 ursprünglich als Orchesterstück, später auch als Oratorium gefasste Werk stellt eine monumentale Vertonung der biblischen Überlieferung in neun Sätzen dar. Nach einer Einführung und den sieben getragenen "Worten" folgt, ebenfalls in Anlehnung an die biblische Überlieferung, im finalen Abschnitt ein "Erdbeben" – im Fortissimo.
Komponiert hatte Haydn seine "letzten Worte" als Auftragsarbeit für einen Priester im spanischen Cadiz. Sie dienten ursprünglich als musikalische Untermalung für die "tres horas" (Spanisch für "drei Stunden"). Diese aus Lateinamerika stammende Andachtsform fand Ende des 18. Jahrhunderts auch in Südeuropa Verbreitung. Dabei wurden am Karfreitag zwischen 12 Uhr am Mittag und 15 Uhr, der Todesstunde Jesu, die entsprechenden Bibelstellen der sieben Worte rezitiert, unterbrochen jeweils von musikalischen Interpretationen. Jeder Bibelvers wurde dabei auch in Form einer kurzen Predigt ausgelegt.
Lesen Sie hier die "sieben letzten Worte Jesu" und was sie bedeuten:
„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“
Das traditionell erstgenannte der "sieben letzten Worte" findet sich beim Evangelisten Lukas. In den frühesten Fassungen seines Passionsberichtes ist der Satz allerdings nicht enthalten. Verstanden werden kann die Bitte um Vergebung im Kontext des Gesellschaftsbildes bei Lukas. In seinem Evangelium spielen soziale Konfliktlinien – wie etwa zwischen streng Gesetzestreuen und Barmherzigen – immer wieder eine Rolle. Die Vergebungsbitte Jesu am Kreuz hat zudem eine Parallele in der Bergpredigt, wie sie Matthäus berichtet: "Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen." (Mt 5,44)
„Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“
Alle vier Evangelisten berichten, dass Jesus nicht allein gekreuzigt wurde, sondern dass an seiner Seite noch zwei weitere Verurteilte starben. Allein Lukas widmet den beiden Räubern dabei größere Aufmerksamkeit. Einem von beiden legt er dabei die Verspottung Jesu in den Mund, die in den übrigen Berichten etwa von Schaulustigen oder Soldaten kommen. Der andere Schächer, in der kirchlichen Tradition als Dismas benannt, tut sich hingegen durch ein Messiasbekenntnis hervor. Mit der darauf folgenden Verheißung Jesu setzt Lukas ein Zeichen an diejenigen, die vermeintlich kein gottgefälliges Leben geführt haben: auch die Sünder haben eine Chance auf Erlösung.
„Frau, siehe, dein Sohn! (…) Siehe, deine Mutter!“
Die beiden Worte der Beziehungen richtet Jesus an seine Mutter, Maria, und seinen Lieblingsjünger, der traditionell mit dem Apostel Johannes identifiziert wird. Die Bibelforschung sieht die Historizität der Szene jedoch kritisch; zumindest der Jünger, der ohnehin nur in diesem Evangelium auftaucht, dürfte durch den Autor eingefügt worden sein. Gleichwohl gibt es diverse Deutungsansätze des theologischen Gehalts dieser letzten Verfügung Jesu. Eine stark historisch angelegte Auslegung besagt etwa, dass Jesus seiner Mutter eine ausreichende Versorgung durch die Verpflichtung des Jüngers sichern wollte. In einer anderen Deutung steht Maria stellvertretend für alle Suchenden und Hoffenden, die an den Apostel mit der Frohbotschaft verwiesen werden.
„Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“
Das mittlere der "sieben letzten Worte" wird von den Evangelisten Matthäus und Markus überliefert. Beide schreiben dabei eine leicht unterschiedliche griechische Transkription des gleichen aramäischen Satzes auf. Bekannter ist die Markus-Version, wie sie in der Liturgie des Palmsonntags zu hören ist: "Eloï, Eloï, lema sabachtani?" Es handelt sich um ein Zitat aus dem Psalter. Indem Jesus den ersten Vers des Psalms 22 betet, verweist er auf sein jüdisches Erbe, in dem die Klage eine gängige Form des Gebets darstellt. Obwohl der Satz für sich genommen das Gefühl der Gottverlassenheit transportiert, lässt der Kontext des gesamten Psalms zugleich auf Vertrauen und Glaubenstreue schließen. So heißt es dort in Vers 25: "Denn er hat nicht verachtet, nicht verabscheut das Elend des Armen. Er verbirgt sein Gesicht nicht vor ihm; er hat auf sein Schreien gehört."
„Mich dürstet.“
Alle Evangelisten berichten, dass Jesus in seinem Todeskampf am Kreuz Essig beziehungsweise minderwertigen Wein zu trinken erhält. Nur Johannes erzählt, dass er selbst darum bittet. Eine mögliche Interpretation lautet, dass es Jesus nicht allein darum geht, seinen physischen Durst zu stillen. Im Vers heißt es, Jesu bitte um den Trank, "damit sich die Schrift erfülle". Dies kann etwa in Bezug auf seine Verhaftung verstanden werden. Der Evangelist Johannes berichtet, dass Simon Petrus sich dabei schützend vor seinen Meister stellt, dieser ihn aber zurückruft mit den Worten: "Der Kelch, den mir der Vater gegeben hat – soll ich ihn nicht trinken?" (Joh 18,11)
„Es ist vollbracht!“
Über das tatsächlich allerletzte Wort Jesu vor seinem Tod herrscht unter den Evangelisten keine Einigkeit. Die unterschiedlichen Berichte geben daher die jeweilige theologische Akzentuierung des Gesamtwerks wieder. Auch Johannes legt dabei in den Versen zum Tode Jesu noch einmal sein spezielles Christusbild dar. Darin werden der zeitlich begrenzte Auftrag Jesu und vor allem dessen Vorwissen um den Plan Gottes betont. Die wohl vom Evangelisten selbst formulierte Aussage ist der logische Schlusspunkt zu diesem Programm.
„Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.“
Mit dem letzten Wort legt der Evangelist Lukas Jesus noch einmal ein Psalmwort in den Mund. Der zitierte Psalmvers gibt dabei ein starkes Zeugnis vom Gottvertrauen des Sohnes: "In deine Hände lege ich voll Vertrauen meinen Geist; du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott" (Ps 31,6). Nach langem Todeskampf, der durchaus auch von Angst und Zweifeln geprägt war, gibt Jesus zuletzt wieder ein Vorbild für seine Anhänger.