Gleichberechtigung ja, aber bitte keine "Sit-ins"
Die US-Bischofskonferenz hat den Bürgerrechtler Martin Luther King zu dessen 50. Todestag als "Inspiration für die Idee von gewaltfreiem Widerstand schlechthin" gewürdigt. Aus heutiger Sicht erscheint das geradezu selbstverständlich. Doch zu seinen Lebzeiten konnte der schwarze Baptistenpastor, der am 4. April 1968 in Memphis von einem weißen Rassisten und Kleinkriminellen erschossen wurde, keineswegs auf die einhellige und uneingeschränkte Unterstützung der Bischöfe zählen.
Kaum Kontakte zur katholischen Kirche
Wie schwierig es war, Katholiken für die praktische Zusammenarbeit zu gewinnen, erlebte King in St. Augustine in Florida. Diese Provinzstadt hatte die Bürgerrechtsbewegung 1963 für eine großangelegte Protestkampagne gegen die Rassentrennung ausgesucht. Hier war zum einen der Rassismus besonders ausgeprägt. Außerdem versprach St. Augustine wegen der bevorstehenden Feierlichkeiten zum 400. Gründungstag im Jahr 1965 mediale Aufmerksamkeit.
St. Augustine war aber auch die einzige Stadt Floridas und eine der wenigen Städte in den Südstaaten überhaupt mit einer katholischen Bevölkerungsmehrheit. Deshalb bemühten sich King und die Bürgerrechtsbewegung von Anfang an um eine möglichst umfassende Einbindung der katholischen Kirche in ihre Kampagne.
Linktipp: "Erzähl ihnen von dem Traum, Martin!"
Heute gilt er als einer der Gründungsväter der Nation. Das "Time-Magazin" nennt ihn einen der Architekten der Vereinigten Staaten im 21. Jahrhundert. Vor 50 Jahren hörten Martin Luther King mehr als 250.000 Menschen zu. Dennoch war er damals für viele nur ein Nigger. Heute sind seine Schuhabdrücke in die Stufen zum Lincoln-Memorial eingelassen, genau dort, wo er damals stand.Bis dahin hatte es kaum Kontakte zur katholischen Kirche gegeben. Das lag nicht zuletzt daran, dass die katholische Kirche 1950 aus dem "Nationalen Kirchenrat" der USA ausgetreten war. Dieses Gremium, dem protestantische, orthodoxe und andere christliche Kirche angehörten, war der Hauptansprechpartner der Bürgerrechtsbewegung auf religiöser Ebene. Erst im Dezember 1963 kehrte die katholische Kirche in dieses Gremium zurück – jedoch nur mit Beobachterstatus.
Das Verhältnis zwischen der Bürgerrechtsbewegung und den führenden Repräsentanten der katholischen Kirche in den USA war insgesamt nicht einfach. Nicht, wenn es um die Theorie ging. Die amerikanischen Bischöfe hatten den Rassismus 1958 in aller Deutlichkeit verurteilt. Es handele sich um einen "moralischen Teufel, der menschlichen Personen die Würde als Kinder Gottes abspricht", hieß es in einer aufsehenerregenden Erklärung der Bischöfe. Aber in der Praxis, wenn es darum ging, mit welchen Mitteln man diesen Zustand erreichen kann, ob etwa "Sit-ins" erlaubt sind, gingen die Meinungen auseinander. Hinzu kam eine Kluft zwischen den offiziellen Verlautbarungen der Bischöfe und den Katholiken vor Ort, die den Kampf gegen die Diskriminierung der Schwarzen nicht immer als vordringliche christliche Aufgabe sahen. Im Vergleich zu den meisten protestantischen Freikirchen war die Rassentrennung in der katholischen Kirche jedoch trotz allem seit langem weniger streng.
King: Erklärung der Bischöfe kommt nicht an der Basis an
King selbst sprach mit Blick auf den Rassismus von einem unausgesprochenen Schisma innerhalb der katholischen Kirche, zwischen der katholischen Theologie einerseits, und dem sozialen Engagement in den Gemeinden andererseits. Die Erklärung der Bischöfe von 1958 nannte er "bewundernswert", aber die Botschaft sei noch nicht bei der Basis angekommen.
Diese Erfahrung musste King auch in St. Augustine machen. Dort beauftragte er seinen persönlichen Assistenten Andrew Young mit der Kontaktaufnahme zum örtlichen Erzbischof Joseph Patrick Hurley. Young bat die "National Catholic Conference for Interracial Justice" (NCCIJ) in Chicago um Hilfe. Dieses von katholischen Laien getragene Gremium setzte sich für eine Abschaffung der Rassendiskriminierung in Kirche und Gesellschaft ein. Doch die NCCIJ, die keine offizielle Einrichtung der katholischen Kirche war und nicht die volle Unterstützung der Bischöfe hatte, gelang es nicht, Erzbischof Hurley für die Sache Kings zu gewinnen.
Ein NCCIJ-Vertreter warb bei dem Erzbischof von St. Augustine vergeblich dafür, ein Bündnis von Führungspersönlichkeiten aus Gesellschaft, Wirtschaft und Politik zu schmieden, das sich für eine Gleichberechtigung von Schwarzen in Hotels, Restaurants und städtischen Einrichtungen von St. Augustine einsetzt. Erzbischof Hurley erwiderte, in allen katholischen Einrichtungen seines Bistums sei die Rassentrennung von Schwarzen und Weißen bereits aufgehoben. Seine Priester rief Hurley dazu auf, nicht mit der Bürgerrechtsbewegung zusammenzuarbeiten, die er für eine "trouble-making organization" hielt. Sein Misstrauen gegenüber den Bürgerrechtlern und ihren Methoden rührte nach Einschätzung des amerikanischen Historikers Charles R. Gallagher auch daher, dass Hurley einer der kämpferischsten Antikommunisten in der Bischofskonferenz war. Ihre Protestformen hätten den schwarzen Bürgerrechtlern bei Hurley in den Verdacht gebracht, mit dem Kommunismus zu sympathisieren, so der Historiker. Seine Mitarbeiter wies der Erzbischof an, King und seinen Leuten mitzuteilen, dass ihr Bistum einen langfristigen Plan zur Aufhebung der Rassentrennung habe und "geräuschlos hinter den Kulissen" für einen Wandel zu arbeiten wünsche. Auch eine Vermittlerrolle zwischen der Bürgerrechtsbewegung und den lokalen Behörden lehnte der Erzbischof ab.
Und so begannen die Proteste in Saint Augustine am 18. Juli 1963, gut einen Monat bevor dem berühmten Marsch auf Washington und Kings "I have a dream"-Rede mit Sit-ins und Streiks – ohne offizielle katholische Unterstützung. Allerdings blieben auch die meisten protestantischen Pastoren den Protesten fern. Die Kampagne, die sich über ein Jahr hinzog, sollte zu einer der blutigsten in der Geschichte der Bürgerrechtsbewegung werden. Anhänger des Ku-Klux-Clans und andere weiße Rassisten prügelten und traten auf schwarze Demonstranten ein. King beschrieb Saint Augustine später als die "gesetzloseste Stadt", in der er je gewesen sei.
Am 11. Juni 1964 wurde King selbst schließlich in St. Augustine festgenommen. Als er sich wenig später in einem Schreiben direkt an Erzbischof Hurley wandte und ihn bat, seinen Einfluss als Mitglied des Geburtstags-Komitees der Stadt geltend zu machen, um "eine gerechte Lösung für den Rassenkonflikt herbeizuführen", stieß er auf Ablehnung. Das Ansehen der lokalen katholischen Kirche vertrage sich nicht mit dem gesetzlosen Verhalten Kings, lautete der Tenor seines Antwortschreibens.
Priester und Katholiken blieben den Protesten fern
Derweil bemühte sich Kings Assistent darum, katholische Priester von auswärts zur Beteiligung an den Protesten in St. Augustine zu gewinnen. Sie sollten Kollarhemd und Priesterkragen tragen, um als katholische Geistliche erkennbar zu sein. Doch Young unterschätzte offenbar die Schwierigkeiten. Er nahm an, man könne katholische Priester wie evangelische Pastoren einfach in einen Bus setzen und zu den Protesten transportieren. Dabei hatte er seine Rechnung jedoch ohne das Kirchenrecht gemacht. Es schrieb vor, dass Priester, die in ein anderes Bistum reisen, sich nach damaligem Kirchenrecht erst beim dortigen Bischof vorstellen mussten, wenn sie als Priester öffentlich in Erscheinung treten wollen. Außerdem war es Priestern untersagt, die öffentliche Ordnung zu stören. Die Protestmärsche der Bürgerrechtler galten aus Hurleys Sicht als solche Störung. So kam es, dass die Mobilisierung katholischer Priester scheiterte.
Nicht nur Priester blieben den Protesten fern, auch viele einfache Katholiken blieben zu Hause. So wie es ihnen ihr Bischof geraten hatte. Am 25. Juni 1964 ließ der Erzbischof Hurley in den Gottesdiensten von allen Kanzeln einen Brief verlesen, in dem er allen Katholiken empfahl, von allen Handlungen fernzubleiben, die Anlass gäben, die Unordnung oder Gesetzlosigkeit zu vergrößern. Im Klartext hieß das: Katholiken sollten den Protesten der Bürgerrechtler fernbleiben.
„Der Tag wird kommen wird, an dem Weiße zurückblicken und sich inständig wünschen, sie hätten die Sache Martin Luther Kings vertreten.“
Nicht alle Bischöfe dachten damals wie Hurley. Paul J. Halliman, Erzbischof im benachbarten Atlanta, etwa unterstützte Kings Taktik. "Wir haben Ihnen zu danken" für ihr christliches Zeugnis, ihren Mut und ihre Größe". Doch Bischöfe wie Halliman, die Kings Vorgehen unterstützten, waren in der Minderheit. Halliman selbst schrieb 1963, er sei fast verstoßen worden, als er gesagt habe, "dass der Tag kommen wird, an dem Weiße zurückblicken und sich inständig wünschen, sie hätten die Sache Martin Luther Kings vertreten". Kings berühmten Marsch auf Washington im August 1963 unterstützte die Bischofkonferenz im Gegensatz zu einigen Freikirchen nicht offiziell. Lediglich den Kardinälen von New York und Boston, Francis Spellmann und Richard Cushing und dankte King in seiner Rede für ihre Unterstützung.
Es geht auch anders
Richtlinien der Bischofskonferenz zum Verhalten angesichts von Protesten schwarzer Bürgerrechtler gab es nicht. Die Bischofskonferenz überließ es den einzelnen Bischöfen, über eine katholische Beteiligung an Demonstrationen oder anderen Protestformen zu entscheiden.
Dass St. Augustine nicht für den gesamten Katholizismus in den USA stand, zeigte sich im März 1965 an den Protestmärschen der Bürgerrechtsbewegung in Selma im Bundesstaat Alabama. Die Bilder von katholischen Priestern und Nonnen, die Seite an Seite mit Afroamerikanern gegen eine fortwährende Diskriminierung von Schwarzen demonstrierten, gingen um die Welt.