Wo der Erzbischof die Betten macht
Elisabeth Strauch ist begeistert: "Die sehen ja aus wie neu", sagt die 94-Jährige mit Blick auf ihre Füße. Die sind gerade gewaschen, getrocknet und gecremt worden – und zwar von niemandem Geringeren als dem Berliner Erzbischof Heiner Koch. Der ist an diesem Dienstagvormittag gemeinsam mit der Berliner Caritasdirektorin Ulrike Kostka in das Caritas-Seniorenzentrum St. Konrad in Berlin-Oberschöneweide gekommen, um ein Pflegepraktikum zu absolvieren – und die Fußpflege bei Elisabeth Strauch ist Teil des Programms, das Koch und Kostka auf Station 3 des Altenheims durchlaufen.
Angeleitet von professionellen Pflegekräften erledigen die beiden "Praktikanten" fast vier Stunden lang typische Aufgaben, die im Pflegealltag anfallen. Während Koch dabei zumindest im Zimmer von Elisabeth Strauch auf seine Erfahrung als Erzbischof zurückgreifen kann – "mit der Fußwaschung kenne ich mich dank Gründonnerstag aus" –, warten auf ihn und Kostka auf der Station noch zahlreiche andere Herausforderungen.
"Dr. Heiner Koch, Erzbischof, Praktikant"
Betten machen, Frühstück servieren, Müll sortieren – die Mitarbeiter des Heims schonen Koch und Kostka nicht. Sogar das Rasiermesser muss der Erzbischof schwingen, denn bei einem bettlägerigen Bewohner steht an diesem Morgen die Nassrasur an. Gekonnt rasiert Koch das Gesicht des alten Mannes – und redet ihm dabei gut zu: "So eine Rasur macht frisch und tut gut", sagt der 63-Jährige, der für sein Praktikum vom Heim extra ein weißes Poloshirt mit rotem Caritas-Emblem und Namensschild ("Dr. Heiner Koch, Erzbischof, Praktikant") bekommen hat.
Wer Koch und Kostka an diesem Vormittag begleitet, merkt schnell, dass es ihnen mit ihrem Praktikum durchaus ernst ist. Konzentriert und mit hohem Engagement erledigen sie alle Aufgaben, die das Pflegepersonal ihnen stellt. Klar ist: Dieses Praktikum ist mehr als ein PR-Termin; der Erzbischof und die Caritasdirektorin wollen vor allem einen möglichst realistischen Blick auf den Alltag in einer Altenpflegeeinrichtung bekommen.
"Ich will praktisch erleben, wie Pflege heute geht", beschreibt Koch seine Motivation. Zugleich wolle er den Mitarbeitern des Seniorenzentrums durch seinen Besuch ein Zeichen der Wertschätzung geben. Doch diese Wertschätzung bekommen von Koch auch die Bewohner des Heims entgegengebracht. Immer wieder sucht der Erzbischof das Gespräch mit den alten Menschen. "Wie geht es Ihnen? Gefällt es Ihnen hier?", lädt Koch in vielen Zimmern zu einem Gespräch ein – und erntet von den Senioren meist ein Lächeln. "Wie schön, dass Sie Zeit für mich haben", freut sich eine alte Dame.
Begleitet werden Koch und Kostka bei ihrem Praktikum von Matthias Bauerkamp. Gemeinsam mit ein paar Kolleginnen teilt der Pfleger den beiden Kurzzeit-Praktikanten die Aufgaben zu und erklärt, was jeweils zu tun ist. Zwischendurch – auch das ist Koch und Kostka wichtig – bleibt immer wieder Zeit für Gespräche. Dabei äußern die Mitarbeiter eine hohe Zufriedenheit mit ihrem Beruf; die Arbeit mit den alten Menschen und das Miteinander auf der Station machten Spaß, so der einhellige Tenor. Doch auch die Probleme werden in den Gesprächen mit dem Erzbischof und der Caritasdirektorin nicht verschwiegen: Der notorische Personalmangel, der anstrengende Schichtdienst oder die schlechte Bezahlung – alles kommt auf den Tisch.
Für Koch ist nach diesen Gesprächen und seiner Arbeit auf der Station klar: "Wir müssen in Sachen Pflege noch viel lernen und das Bewusstsein in der Gesellschaft ändern." Die Pflege alter Menschen sei eine Frage der Menschenwürde. "Wie viel sind uns die alten Menschen wert?", fragt der Erzbischof und gibt gleich selbst eine Antwort. Eine stärkere Finanzierung der Pflege durch die gesamte Gesellschaft sei notwendig, etwa aus Steuereinnahmen. "Kostensteigerungen dürfen nicht allein an Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen hängen bleiben", warnt Koch.
Koch: Fußwaschung war eindrucksvollster Moment
Ähnlich äußert sich auch Kostka – und nutzt das Praktikum ebenfalls für politische Forderungen. Ein Ziel müsse es sein, die Ausbildungszahlen in der Altenpflege zu verdoppeln, betont die Caritasdirektorin. "Um dieses Ziel zu erreichen, müssen vorhandene Pflegehilfskräfte dabei unterstützt werden, eine Altenpflegeausbildung zu machen", so Kostka. Zugleich betont sie auch die große Bedeutung des Faktors "Zeit". "Die Arbeit mit alten Menschen ist mehr als nur Windeln wechseln", sagt sie. Vielmehr sei die Pflege echte Beziehungsarbeit – und für die brauche man Zeit. "Ich würde mir wünschen, dass wir den Pflegekräften mehr Zeit zur Verfügung stellen, damit sie sich noch besser und intensiver um die ihnen anvertrauten Menschen kümmern können", sagt Kostka.
Doch am Ende dieses Vormittags sind es nicht zuerst die politischen Forderungen, die Koch und Kostka nach ihrem Praktikum in Erinnerung bleiben. Er sei tief bewegt von dem, was er auf Station 3 erlebt habe, betont Koch – und nennt als Beispiel die Fußwaschung bei Elisabeth Strauch. "Das war für mich der eindrucksvollste Moment", sagt der Erzbischof. Es gehe bei der Pflege um alte Menschen und die Frage, wie sie ihr Leben in Würde und Wertschätzung beenden könnten. "Die Pflege darf kein gewinnbringendes Geschäft sein", appelliert Koch.