Weihnachten im Watt
"Im Winter musst du dich schon warm anziehen für die Fahrt auf der offenen Lore", sagt der evangelische Geistliche schmunzelnd. Die Uhrzeit des Gottesdienstes richtet sich nach den Gezeiten. Und wenn ihm eine andere Lore auf dem einspurigen Gleis begegnet? "Da gibt's klare Regeln: Die Mitte der Strecke ist markiert, wer die passiert hat, hat gewonnen." Der "Verlierer" muss dann zurückfahren.
Nach dem Gottesdienst auf Oland geht's schnell zurück nach Langeneß. In seiner Kirche dort wird dann ebenfalls die Geburt Jesu gefeiert. Die selbst geschnitzte Krippe ist ein Geschenk. Auf der Hallig Gröde mit acht Bewohnern kann Krämer an Heiligabend keinen Gottesdienst feiern. Normalerweise fährt er auf dem Boot von Postschiffer Fiede Nissen nach Gröde mit, aber das ist Heiligabend nicht möglich: Denn die Flut kommt erst abends in der Dunkelheit, und das Boot hat kein Radar.
Gröde gehört ebenfalls zu Krämers Gemeinde, auf Hallig Hooge arbeitet Pastor Martin Witte. "Dass wir auf den nordfriesischen Halligen zwei Pastoren haben, ist schon ein gewisser Luxus", sagt Krämer. "Aber wer hier zur Kirche gehen will, hat keine andere Gelegenheit." Bis zu 30 Mal im Jahr ist Langeneß "Land unter", überflutet von der Nordsee - bis auf die 18 Warften, künstliche Erdhügel, auf denen die gut 100 Einwohner in ihren Häusern leben.
"Als Pastor teilst du hier das Leben mit den Menschen"
Jüngst hatte der Orkan "Xaver" der Hallig mächtig zugesetzt. Über manche Warften schlugen Nordseewellen, aber größere Schäden blieben aus. Bei der Sturmflut 1962 war der Eingangsbereich des Gotteshauses eingestürzt, seitdem wurde die Kirchwarft wie viele anderen auf der Hallig erhöht. Zuletzt überflutete die Nordsee 1990 die Kirchwarft.
"Als Pastor teilst du hier das Leben mit den Menschen, das ist anders als auf dem Festland", sagt der Theologe. "Hier kann ich jeden zum Geburtstag besuchen." Wenn jemand stirbt, geht das Krämer "schon sehr, sehr nah, weil man ja eine lange gemeinsame Geschichte hat". Neben Taufen (selten) und Konfirmationen (zwei) hält Krämer auch zwei bis vier Hochzeitsgottesdienste im Jahr: "Da kommen manche Paare extra vom Festland, um sich auf einer Hallig zu trauen."
"Die Winter sind hier lang und dunkel", sagt Krämer. Doch die von Wasser und Wind geprägte Natur der Halligen und der Menschenschlag sind ihm ans Herz gewachsen. "Es sind hier sehr offene Menschen, die aber nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen." Etwa 90 Prozent der Bewohner sind evangelisch, im Jahresdurchschnitt kommen - Urlauber mitgerechnet - durchschnittlich 30 Menschen zu den Gottesdiensten.
Krämer stammt aus Wentorf im Kreis Herzogtum Lauenburg; er hat dann 25 Jahre in Hamburg-Altona gelebt, bevor er 1994 nach Langeneß kam. Drei Kinder haben Krämer und seine Frau Manina, die ebenfalls Theologin ist und gerade einen Magister in Geschichte gemacht hat.
Bibelgeschichten von Sturm und Fluten
"Unser Singkreis fällt bei 'Land unter' buchstäblich ins Wasser", berichtet der Pastor. Zum Repertoire gehören neben Adventsliedern und Barockmusik auch Schlager. Auf der Kirchwarft befindet sich neben der Kirche, dem Friedhof und seinem Wohnhaus auch die Schule. 18 Kinder lernen derzeit dort, unterrichtet von zwei Lehrern in zwei Klassen. Krämer gibt den Religionsunterricht.
"Alle Schülerinnen und Schüler nehmen teil, das ist nicht selbstverständlich", sagt Krämer ein wenig stolz. Gern macht er Bibelgeschichten zum Thema, die Bezug zum Leben der Kinder auf der Hallig haben: Wie Jesus auf dem See Genezareth den Sturm bändigte und so seine Jünger im gemeinsamen Boot beruhigte. Oder auch die alttestamentarische Überlieferung von der Flucht der Israeliten aus Ägypten durchs Rote Meer, dessen Fluten Moses dafür teilte. "An diesen biblischen Geschichten sind die Kinder auf der Hallig sehr viel näher dran als in der Stadt."
Trotz Sparzwängen steht die Nordkirche zur Seelsorge auf den Halligen. "Unsere Gemeindemitglieder sollen das Wort verkündigt bekommen, dies gilt auch für die Halligen", betont Kirchensprecher Frank Zabel. "Kirche muss dort sein, wo die Menschen sind."
Von Matthias Hoenig (dpa)