Liturgiewissenschaftler Guido Fuchs über Genuss und Verzicht

"Fasten verleiht Flügel"

Veröffentlicht am 07.03.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Fastenzeit

Bonn ‐ In der Fastenzeit verzichten viele Christen auf lieb gewordene Gewohnheiten - auch auf üppige Mahlzeiten. Doch woher kommt diese Tradition? Was erfahren wir in der Bibel über das Fasten? Und warum haben wir beim Genuss oft ein schlechtes Gewissen? Auf diese und andere Fragen antwortet der Liturgiewissenschaftler Guido Fuchs im katholisch.de-Interview. Der Autor zahlreicher Bücher leitet das Institut für Liturgie- und Alltagskultur mit der "Forschungsstelle für Kulinaristik und Religion" .

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Frage: Professor Fuchs, in unserer christlich geprägten Gesellschaft ist es üblich, freitags auf Fleisch zu verzichten. Was steckt dahinter?

Fuchs: Neben dem Freitag war früher auch der Mittwoch ein Fasttag. Das Fasten an beiden Tagen wurde mit Ereignissen wie der Passion Jesu begründet. Vielen Christen ist heute gar nicht mehr bewusst, dass hinter dem Fleischverzicht am Freitag das Gedenken an das Kreuzesopfer Jesu steht. Früher war der Fleischverzicht darüber hinaus noch viel umfangreicher. In der Bibel sucht man jedoch vergeblich nach entsprechenden Hinweisen. Weder im Alten noch im Neuen Testament lassen sich Belege für den Verzicht auf Fleisch in der Fastenzeit anführen. Der Ursprung des Fleischverzichts liegt vielmehr bei den Asketen und Mönchen des frühen Christentums. Sie verzichteten nicht nur auf Fleisch, sondern auch auf Eier, Milch, Käse und Wein. Zum Teil übernahm die Kirche die Askese der Mönche, vor allem das Verbot der Fleischspeisen. Der Verzicht darauf gehörte insbesondere für die Klöster zur Fasten- und Bußzeit dazu.

Frage: Wie kam es zum Fisch am Freitag und an anderen Festtagen?

Fuchs: Fleisch galt als förderlich für "fleischliche" Leidenschaften und damit vor allem im mönchischen Verständnis als bedrohlich für das angestrebte engelgleiche Leben. Das war die große Stunde des Fisches. Doch Fisch war nicht von Anfang an eine Abstinenzspeise, sondern - vor allem im Mittelmeerraum - eine Festspeise und wurde daher an Fastentagen als üppiges und beliebtes Festessen gemieden. Bei der Umwandlung von der Fest- zur Fastenspeise wurde damit argumentiert, dass Fisch aufgrund seiner Art der Fortpflanzung nicht die Fleischeslust errege. Isidor von Sevilla verwies auf das Beispiel des Herrn, der nach seiner Auferstehung Fisch verlangt und ihn gegessen habe (Lukas 24,41-43).

Frage: Welche Beweggründe für das Fasten hatten die ersten Christen?

Fuchs: Die Trauer darüber, dass Jesus - der Bräutigam - ihnen durch den Tod am Kreuz genommen war, ließ die Gläubigen an den Tagen vor Ostern fasten. Einen Hinweis darauf liefert das Matthäus-Evangelium: "Da kamen die Jünger des Johannes zu ihm und sagten: Warum fasten deine Jünger nicht, während wir und die Pharisäer fasten? Jesus antwortete ihnen: Können denn die Hochzeitsgäste trauern, solange der Bräutigam bei ihnen ist? Es werden aber Tage kommen, da wird ihnen der Bräutigam genommen sein; dann werden sie fasten." (Matthäus 9,14-15)

Frage: Wie kam es denn dann zur Fastenzeit von Aschermittwoch bis Ostern?

Fuchs: Die Verbindung mit der Vorbereitung auf die Taufe in den Wochen vor Ostern, dem alten Tauftermin, brachte über das Trauerfasten hinaus die vierzig Tage der Fastenzeit hervor. Schon Jesus fastete vierzig Tage in der Wüste, ebenso viele Tage war der Prophet Elija zum Gottesberg Horeb unterwegs. Die Fastenzeit wurde so zu einer geistlichen Wegstrecke, die es zurückzulegen galt.

Guido Fuchs ist Liturgiewissenschaftler und Autor zahlreicher Bücher.
Bild: ©Universität Würzburg

Guido Fuchs ist Liturgiewissenschaftler und Autor zahlreicher Bücher.

Frage: Gilt das Fleischverbot am Freitag auch heute noch in der Kirche?

Fuchs: Ja, bis heute ist dieser Tag nach katholischem Verständnis ein Buß- und Abstinenztag, der aber insofern relativiert ist, als auch andere Verzichtsübungen geleistet werden können. In der Frage nach einem oder besser noch mehr fleischfreien Tagen in der Woche sollte aber nicht nur auf ein individuelles "heilbringendes Opfer" geschaut werden. Andere Gründe, die es nahelegen, öfter auf Fleisch zu verzichten - soziale, gesundheitliche, ökologische, ethische - müssen mitbedacht werden. Auch der Gedanke an die Verantwortung gegenüber der Schöpfung stellt eine religiöse Motivation dar. In dem Zusammenhang ist der "Veggie-Day" in vielen Städten und Institutionen eine gute Einführung, die Nachahmung verdient.

Frage: Fasten wird oft mit einer mühsamen Wegstrecke verglichen. Passt dieser Vergleich?

Fuchs: Ja, Fasten über längere Zeit hinweg gleicht durchaus einer mühsamen Wanderung - im geistlichen Sinn einem Pilgern, einer Wallfahrt. Die Entbehrungen, die man dabei auf sich nimmt, dienen einem Ziel: dem Sieg des Geistes über den Körper und seine Begierden. Schon Paulus vergleicht sein geistliches Leben (1 Korinther 9,24-27) mit einem Wettkampf, den er zu gewinnen sucht - auch mit Hilfe der Unterwerfung des Leibes. Das Fasten erscheint so als eine Art Training, als Selbstzucht, die hilft, das gesteckte Ziel zu erreichen. Wer einen langen Weg oder anstrengenden Lauf durchhält, wer abgeschlagen und zugleich hochgestimmt nach langer Zeit am Ziel seines Weges ankommt, der hat bereits eine wunderbare Erfahrung gemacht: dass die Überwindung körperlicher Mühen Flügel verleiht.

Frage: Fördert Verzichten neben einem guten körperlichen Gefühl auch Gemeinschaft und Solidarität?

Fuchs: Ja, es gibt mittlerweile viele Aktionen der christlichen Kirchen, in denen Menschen sich miteinander auf den Weg machen und über ihre Erfahrungen beim Verzichten austauschen. Die Fastenpraxis der Muslime, die im Ramadan vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang auf Essen und Trinken verzichten, beinhaltet das Fastenbrechen am Abend in Gemeinschaft und in fröhlicher Stimmung. Ein gutes Beispiel dafür, dass Fasten Gemeinschaft und Solidarität schaffen kann: Das Fasten macht für jeweils einen Tag alle gleich. Der Arme und der Reiche - beide hungern. Und die fröhliche Gemeinschaft am Abend zeigt: Fastenzeit muss nicht sauertöpfisch sein. Auch Jesus äußerte sich zu diesem Aspekt: "Wenn ihr fastet, macht kein finsteres Gesicht wie die Heuchler" (Matthäus 6,16).

Frage: Was könnte uns dieses Jesuswort zu Beginn der Fastenzeit sagen?

Fuchs: Das Jesuswort stammt aus der Bergpredigt und steht im Zusammenhang des Almosengebens und des Betens. Almosen, Fasten und Gebet: Diese drei Aspekte zeigen, dass Fasten nicht nur den eigenen Körper und Geist betrifft, sondern sinnvollerweise begleitet sein muss von der Beziehung zu Gott im Gebet und zu den anderen Menschen im Wahrnehmen ihrer Not. Wirkliches Fasten ist daher - ähnlich dem Essen - in ein dreidimensionales Beziehungsgefüge eingebunden: Wer fastet, möchte Veränderung, eine Revision nicht nur seiner selbst, sondern auch in Bezug auf Gott und die Menschen.

Das Interview führte Margret Nußbaum

Buchtipp

Guido Fuchs: Gott und Gaumen. Eine kleine Theologie des Essens und Trinkens. 160 Seiten, 19,80 Euro, Claudius Verlag, München 2010. Essen und Trinken sind religiös geprägt - nicht nur im Christentum. Bibel und Kirche kennen lustvolles Essen und berauschenden Weingenuss, die Freuden gemeinsamer Mahlzeiten und das Lob der guten Küche. In zwölf anregenden Kapiteln handelt dieses Buch von Alltag und Fest, Genuss und Sünde, Verzicht und Solidarität, Zerstören und Genießen, Zubereiten und Verwandeln, Dank und Segen, Gastfreundschaft und Gastlichkeit, Brot und Wein, Essen allein und in der Gemeinschaft, Mensch und Mitgeschöpf, Küche und Katechese, Gesundheit und Heil. Dass "Gott und Gaumen" keine Gegensätze sind, sondern das Essen und Trinken eine religiöse Komponente in sich tragen, beschreibt der Autor auf sehr interessante Weise. Seine exzellente Kulturgeschichte des Essens und Trinkens aus theologischer Sicht enthält pro Kapitel ein Rezept und eignet sich hervorragend als Geschenk sowohl für theologisch und kulturwissenschaftlich Interessierte als auch für Menschen, die gern kochen und genießen.