Papst kündigt Entlassungen wegen Missbrauch in Chile an
Papst Franziskus hat in einem vertraulichen Dokument personelle Konsequenzen nach der Missbrauchskrise in der chilenischen Kirche angekündigt. Es reiche jedoch nicht aus, "nur die konkreten Fälle zu behandeln und die betreffenden Personen zu entfernen", heißt es in dem Schreiben, das der chilenische Sender Canal 13 in der Nacht zum Freitag veröffentlichte. "Das - und das sage ich in aller Deutlichkeit - muss getan werden, aber es ist nicht genug. Es muss noch mehr geschehen", so Franziskus.
Unterdessen haben alle Bischöfe des Landes ihren Rücktritt angeboten. Das teilte die Chilenische Bischofskonferenz während einer Pressekonferenz am Freitag in Rom mit. "Wir alle in Rom anwesenden Bischöfe haben unsere Ämter in die Hände des Heiligen Vaters gelegt, damit er frei über jeden von uns entscheiden kann", schreiben sie in einer gemeinsamen Erklärung. Franziskus könne nun - nach Belieben und ab sofort - den Rücktritt eines Bischofs annehmen oder ihn zurückweisen. Dies sei eine "Geste der Kollegialität und Solidarität". Meldungen über bereits erfolgte Rücktritte einzelner Bischöfe werden mit der Erklärung nicht bestätigt.
Der Papst hatte das Dokument den 34 Bischöfen Chiles am Dienstag zu Beginn eines Treffens im Vatikan zur Aufarbeitung des Skandals in dem südamerikanischen Land übergeben. Die dreitätigen Gespräche gingen am Donnerstagabend zu Ende.
Papst spricht von besorgniserregenden Erkenntnissen
In dem nun bekannt gewordenen, zehn Seiten langen Brief schreibt Franziskus, es gebe eine "schmerzende, offene Wunde". Diese sei bislang mit einer Medizin behandelt worden, die anscheinend mehr geschadet als genutzt habe. "Es wäre ein schweres Versäumnis, die Probleme nicht an der Wurzel zu packen." Der Papst spricht von besorgniserregenden Erkenntnissen, die seine beiden Sonderermittler Erzbischof Charles Scicluna und der Rechtsexperte Jordi Bertomeu im Februar bei ihren Recherchen in Chile zutage gefördert hätten. So seien mehrere Geistliche, die wegen "sittenlosen Verhaltens" entfernt worden seien, wieder in anderen Diözesen aufgenommen worden. Obendrein haben man ihnen Aufgaben mit "einem täglichen und direkten Kontakt zu Minderjährigen" anvertraut.
Die Untersuchung zeige, dass es "grobe Fehler" im Umgang mit Missbrauchsfällen gegeben habe, räumt Franziskus ein. Er empfinde "Scham", weil in etlichen Fällen die Aufklärungsarbeit gezielt behindert worden sei. Der Papst kritisiert zudem eine "elitäre Haltung" einiger Geistlicher, die der Kirche schade, weil sie zu Spaltung und "geschlossenen Zirkeln" führe. Solchen Personen gehe es nur darum, sich besonders zu fühlen - anders als die anderen. Weder für Jesus noch für ihre Mitmenschen interessierten sie sich wirklich. Eine solche Einstellung, so Franziskus, sei eine "Perversion im kirchlichen Dasein".
Zum Abschluss des Treffens am Donnerstag übergab Franziskus jedem der Bischöfe einen weiteren Brief, dessen Wortlaut der Vatikan - anders als den des vorherigen Dokuments - selbst veröffentlichte: In dem Schreiben dankte der Papst für die "uneingeschränkte Bereitschaft", bei allen Veränderungen und Entscheidungen mitzuwirken, die notwendig seien, um Gerechtigkeit und Gemeinschaftssinn innerhalb der Kirche wiederherzustellen.
In den vergangenen Tagen habe man sich mit "schmerzvollen Ereignissen" befasst, so der Papst. Es habe Missbrauch in vielerlei Hinsicht gegeben - mit tragischen Folgen für die Opfer. Nun wolle man den angerichteten Schaden gemeinsam reparieren. Dafür seien kurz-, mittel- und langfristige Schritte erforderlich, kündigte das Kirchenoberhaupt an, ohne konkret zu werden. Für Freitag ist eine Stellungnahme des Sprechers der Bischöfe angekündigt.
Theologe: Treffen hat große Bedeutung für die gesamte Kirche
Zu Beginn der Beratungen am Dienstag hatte Franziskus jedem Teilnehmer einen Text mit einigen Themen zur Meditation übergeben. Anschließend sollten sich die Bischöfe bis zur zweiten Zusammenkunft am Mittwochnachmittag "ausschließlich der Meditation und dem Gebet" widmen. Zwei weitere Treffen fanden am Donnerstag statt. Ob der Papst die Bischöfe darüber hinaus zu Einzelgesprächen bat, ist bisher nicht bekannt.
Nach Ansicht des spanischen Theologen und Sonderermittlers Bertomeu hat das Treffen "eine große Bedeutung für die gesamte Kirche". "Ich glaube, wir schreiben Geschichte", sagte er am Donnerstag. Zusammen mit Erzbischof Scicluna hatte er im Februar 64 chilenische Missbrauchsopfer befragt. Er erwarte demnächst Konsequenzen, so Bertomeu. Im Unterschied zu den Missbrauchsskandalen in den USA und in Irland gehe es in Chile nicht nur um sexuellen Missbrauch, sondern auch um den von Macht.
Der Vatikan hatte das Treffen mit den Bischöfen Chiles als "synodalen Prozess" angekündigt. Ziel sei es, "gemeinsam vor Gott die Verantwortung aller und jedes einzelnen bei diesen verheerenden Verletzungen zu prüfen". Ferner gehe es um die Suche nach "angemessenen und nachhaltigen Veränderungen, um die Wiederholung solcher stets verurteilenswerten Taten zu verhindern". (bod/KNA)
18.05.2018, 11.40 Uhr: ergänzt um die Informationen aus dem vertraulichen Dokument
18.05.2018, 13.40 Uhr: alle chilenischen Bischöfe bieten Rücktritt an