Overbeck: Wir brauchen "die Präsenz des Militärischen"
Seit sieben Jahren ist der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck als Katholischer Militärbischof für die Seelsorge bei den Angehörigen der Bundeswehr zuständig. Neben pastoralen Fragen beschäftigen ihn auch Friedensethik und Verteidigungspolitik. Mit Sorge blickt er auf die bewaffneten Konflikte in aller Welt - und freut sich deshalb über Zeichen des Friedens.
Frage: Was ist charakteristisch für die Katholische Militärseelsorge?
Overbeck: Die Militärseelsorger begleiten die weiblichen und männlichen Soldaten in ihrem Dienst in den Kasernen wie auch bei Auslandseinsätzen. Darüber hinaus stehen sie bei Bedarf den Familienangehörigen in ihren Sorgen und Nöten zur Seite. Sie erteilen Lebenskundlichen Unterricht zur Förderung und Stärkung der berufsethischen Kompetenz und tragen somit zur Befähigung eines ethisch reflektierten Handelns bei.
Frage: Über muslimische Militärseelsorge wird seit einigen Jahren diskutiert. Sollte sie eingeführt werden?
Overbeck: Das müssen die Muslime und natürlich der Staat beantworten. Ich kann nur für die Katholische Militärseelsorge sprechen. Ich habe immer Wert darauf gelegt zu betonen, wie wichtig die Religionsfreiheit für unser Land und den Frieden bei uns ist. Also gelten die Religionsfreiheit und ihre Gewährung für alle in unserem Land gleich und damit auch bei der Bundeswehr. Wir als Katholische Militärseelsorge sind mit unseren Aufgaben gut aufgestellt und schließen Soldaten anderer Konfessionen oder Konfessionslose natürlich nicht aus. Wir tun unsere Arbeit zudem vielfach in ökumenischer Verbundenheit.
Frage: Wir haben eine angespannte politische Situation in der Welt was den Frieden betrifft. Vor kurzem fand die Internationale Soldatenwallfahrt in Lourdes statt, bei der die Teilnehmer um den Frieden gebetet haben. Welche Botschaft ging von der Pilgerfahrt aus?
Overbeck: Die Internationale Soldatenwallfahrt gibt es bereits seit 60 Jahren und in dieser Zeit hat es immer wieder verschiedene konfliktreiche Situationen gegeben. Beten verbindet und hilft vor allen Dingen. Ich glaube von den dort versammelten Christen ist ein Zeichen ausgegangen, dass wir nicht beim Unfrieden stehen bleiben, sondern uns für den Frieden einsetzen. Das gehört ja auch zu unseren wesentlichen Aufgaben. Daher bin ich froh, dass es solche öffentlichen Zeichen gibt, die zeigen, wofür wir da sind.
Frage: Die Verteidigungsministerin möchte den Wehretat erheblich aufstocken. Wäre es nicht sinnvoller das Geld in die Entwicklungshilfe zu stecken? Wie stehen Sie als Militärbischof, "Adveniat"-Bischof und Sozialbischof der Deutschen Bischofskonferenz dazu?
Overbeck: Das eine kann man nicht gegen das andere ausspielen. Man muss sehr wohl wissen, dass es in den sehr konfliktreichen, gewalttätigen Situationen, in denen wir heute politisch leben, die Präsenz des Militärischen braucht. Dabei muss aber stets die Wahrung des Friedens aller als Vertragsfrieden verfolgt werden. Einige politische Akteure wollen einen mit Gewalt herzustellenden Frieden zugunsten der einen oder anderen Seite. Das darf nicht das Ziel sein. Daher ist es leider menschlich notwendig, dass es die Bundeswehr gibt, die dem Frieden verpflichtet ist. Zusätzlich muss es die Entwicklungshilfe geben. Wobei auch gefragt werden muss: Was heißt Entwicklungshilfe? Natürlich oft zunächst Ersthilfe in Notsituationen, aber echte Entwicklungshilfe hat immer auch etwas mit der Herstellung von Recht zu tun, damit in einem Staat notwendigerweise die Voraussetzungen dafür geschaffen werden können, dass auf Beständigkeit hin Frieden sein kann. Die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse müssen so stabil sein, dass Menschen in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Es braucht einen Gemeinsinn aller, die in Entwicklungshilfeländern oder -regionen leben, dass sie sich vor allen Dingen nicht gegenseitig bekämpfen, sondern eine gemeinsame Perspektive entwickeln. So ausgeweitet hat die Entwicklungshilfe einen tiefen Sinn und ist sehr hilfreich. Ich gehöre aber auf keinen Fall zu denen, die das eine gegen das andere ausspielen.
Frage: Aber Sie können die Kritik an den Forderungen der Verteidigungsministerin verstehen?
Overbeck: Ich nehme die Motive der Kritiker genauso wahr wie die der Unterstützer und weiß, dass man eben alle Perspektiven zusammensehen muss. Die klassische Entwicklungshilfe ist genauso wie eine einfache militärische Präsenz nicht hilfreich für den Frieden, wenn nicht all die sozialen, rechtlichen und gemeinwohlorientierten Perspektiven dazukommen. Das ist eine der großen Aufgaben, die wir in der Politik gemeinsam zu bewältigen haben, angesichts der vielen Konflikte auf der Erde.
Frage: Papst Franziskus spricht von einem Dritten Weltkrieg in kleinen Stücken, der gerade im Gange ist. Wie bringen Sie dieses Wort von Franziskus mit dem langen Frieden in Einklang, den wir nun in Europa haben?
Overbeck: "Pacem in terris", das Motto der diesjährigen Internationalen Soldatenwallfahrt hat deutlich gemacht, dass auch vor 55 Jahren der Frieden angesichts schwieriger Lagen in Gefahr war. Man glaubte, es könne nach dem Bau der Berliner Mauer und der Kuba-Krise ein neuer Weltkrieg ausbrechen. Solche Krisen haben sich wieder verschärft, sie haben neue Formen und Gestalten angenommen. Wir befinden uns wohl erstmalig in der Situation, in der wir alle gleichzeitig Anteil haben an globalisierten Konflikten unvorstellbarer Art. Und die müssen wir eingrenzen, soweit wir es können. Die Beschreibung der Situation ist das eine, die Reaktion darauf zu bestimmen, ist das zweite, und das Herstellen von friedlichen Zusammenhängen das dritte, das wir regeln müssen. Unter diesem Gesichtspunkt ist das Bild, das der Papst gebraucht, sehr aussagekräftig, um die Vielschichtigkeit der zahllosen Konflikte zu beschreiben, die uns derzeit auf fast allen Kontinenten beschäftigen.
Frage: Wünschen Sie sich mehr Engagement von Deutschland in aktuellen Konflikten, wie etwa in der Ostukraine?
Overbeck: Ich wünsche mir mehr Engagement, weiß aber durch meine Aufgaben nur zu gut, wie schwierig die Umsetzung oft ist. Es geht ja auch nicht nur oder vorrangig um militärische Aspekte des Engagements. Die Bundeswehr kann ohnehin so etwas alleine gar nicht tun, sondern nur in ihren Bündnisstrukturen. Es gibt außer militärischen Optionen viele Formen, sich für eine Befriedung des Ostens der Ukraine zu engagieren - sozial, finanziell und entwicklungspolitisch. Auch kirchliches Engagement ist wichtig, da es viele Menschen zusammenbringt. Denken Sie in der Ukraine an die Kontakte zwischen orthodoxer und katholischer Kirche. Wenn das gelingt, kann auf Dauer ein nächster Schritt getan werden.