"Am liebsten würde ich einen Orden gründen"
Es ist ein denkwürdiger Dialog: Als Schwester Augustina Schumacher im Jahr 1923 bei ihrer Arbeit im Dresdner Kolpinghaus den Meißener Bischof Christian Schreiber trifft, erkundigt sich der Oberhirte nach dem Namen der 36-Jährigen und fragt: "Was machen Sie hier?" Schumacher antwortet: "Am liebsten würde ich einen Orden gründen." Daraufhin sagt der Bischof: "Also gründen Sie einen!"
Die überlieferte Unterhaltung zwischen der Ordensfrau und dem Bischof klingt kurios, sie ist jedoch der Beginn der Geschichte der Nazarethschwestern vom heiligen Franziskus. Tatsächlich gründet Augustina Schumacher kurz nach der Begegnung mit Bischof Schreiber die neue Ordensgemeinschaft, deren feierliche Bestätigung als Bischöfliche Diözesankongregation heute vor 90 Jahren, am 15. Juni 1928, erfolgte. Die Nazarethschwestern sind damit die einzige Ordensgemeinschaft, die in Sachsen gegründet wurde und dort bis heute ihr Mutterhaus hat.
"Was ist meine Berufung? Wo will Gott mich haben?"
Augustina Schumacher wird 1887 in der Nähe von Koblenz als Clara Schumacher in einfache Verhältnisse hineingeboren. Da ihr das Lernen in der Schule leicht fällt, träumt sie als Jugendliche davon, Lehrerin zu werden. Als ihr Vater das verbietet, absolviert sie stattdessen eine kaufmännische Ausbildung. Mehr und mehr wächst in Clara in dieser Zeit jedoch der Wunsch, ihr Leben ganz auf Gott auszurichten. Immer wieder fragt sie sich: "Was ist meine Berufung? Wo will Gott mich haben?" Die Antwort auf diese Fragen scheint sie gefunden zu haben, als sie sich 1909 den Schwestern vom Heiligen Geist in Koblenz anschließt. Doch ihr Glück währt nur kurz: Eine schwere Lungenerkrankung zwingt sie 1913, noch vor Ablegung der ewigen Gelübde, die Gemeinschaft wieder zu verlassen.
Nach ihrer Genesung tritt Clara 1914 in den Dritten Orden des heiligen Franziskus ein und erhält den selbstgewählten Namen Schwester Augustina. Gemeinsam mit ihren Mitschwestern setzt sie sich in den folgenden Jahren für die Opfer des Ersten Weltkriegs ein. Ganz im Sinne ihres Ordensvaters, des heiligen Franz von Assisi, kümmern sie sich um Hilfsbedürftige und bauen die Hauspflege für Kranke und die Familiencaritas auf.
1923 hört Augustina Schumacher in einer Predigt in Koblenz zufällig von der schwierigen Situation der Kirche im erst zwei Jahre zuvor errichteten Bistum Meißen. Für sie ist danach klar: Es ist Gottes Wille, dass sie nach Sachsen geht; der Herr ruft sie in die Diaspora und treu ihrem Leitspruch "Wille Gottes über alles" fügt sie sich diesem Ruf. Gemeinsam mit einer Mitschwester reist sie deshalb nach Dresden und hilft dort zunächst bei der Bewirtschaftung des Kolpinghauses, wo es schon bald darauf zu der denkwürdigen Begegnung mit Bischof Schreiber kommt.
Eine Ordensgemeinschaft für Familien in Not
Nach der Ermutigung durch den Oberhirten gründet Schwester Augustina am 8. Dezember 1923, dem Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria, die Ordensgemeinschaft der Nazarethschwestern. Zunächst kümmern sich die Nonnen vor allem um Familien, in denen die Mutter erkrankt ist oder nicht zu Hause sein kann. Außerdem pflegen und betreuen sie Sterbende.
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Weitere Informationen zu den Nazarethschwestern vom heiligen Franziskus finden Sie auf der Internetseite der Ordensgemeinschaft.Nach kurzer Zeit schon wachsen jedoch die Aufgaben der jungen Gemeinschaft. Bald schon betreiben sie auch eine Suppenküche für Bedürftige, bieten Unterkünfte für alleinstehende, erwerbstätige Frauen und betreuen Kleinkinder – und das von Anfang an überkonfessionell.
33 Schwestern und 13 Postulantinnen
Das Geld ist in diesen ersten Jahren knapp, doch die Aufgaben der Schwestern verlangen schnell nach mehr Platz. Deshalb kauft Schwester Augustina bald ein Anwesen in der südlich von Dresden gelegenen Gemeinde Goppeln. Hierhin ziehen die Schwestern am 18. Oktober 1925 mit ihren Schützlingen, und hier beginnt Augustina Regeln für das Leben der jungen Gemeinschaft aufzustellen. Als der Heilige Stuhl diese Regeln fünf Jahre später billigt, erfolgt am 15. Juni 1928, dem Herz-Jesu-Fest, durch Bischof Schreiber die feierliche Bestätigung der "Kongregation der Nazarethschwestern vom heiligen Franziskus". Augustina wird die erste Generaloberin der Gemeinschaft, der zu diesem Zeitpunkt 33 Schwestern und 13 Postulantinnen angehören.
In den folgenden Jahren weiten die Nazarethschwestern ihr Engagement immer mehr aus. Unter anderem bauen sie eine Scheune ihres Goppelner Anwesens zu einem Kinderheim um, in dem 120 Kinder untergebracht werden können. 1930 erwirbt die Gemeinschaft darüber hinaus ein weiteres Grundstück in der Nachbarschaft, auf dem ein Altersheim für 18 Personen errichtet wird.
Doch bereits kurz danach brechen für die Schwestern schwere Zeiten an: Die Nationalsozialisten setzen die Nonnen ab 1933 massiv unter Druck und der Zweite Weltkrieg trifft die Gemeinschaft vor allem in seiner Endphase besonders hart. Bei den alliierten Bombenangriffen auf Dresden am 13. und 14. Februar 1945 sterben sechs Schwestern, außerdem werden mehrere Arbeitsstätten der Nazarethschwestern zerstört. Das Haus der Gemeinschaft in Goppeln, in dem viele Menschen Zuflucht gesucht haben, bleibt vom Bombardement jedoch verschont.
Tragischer Tod der Ordensgründerin
Tragisch endet wenige Wochen später das Leben von Mutter Augustina. Als sie am 8. Mai, dem Tag des Kriegsendes, an der Klosterpforte sitzt, taucht plötzlich ein betrunkener russischer Soldat mit Maschinenpistole auf. Er betritt das Kloster und schießt auf die Ordensgründerin als die versucht, ihre Mitschwestern zu warnen. Mutter Augustina bricht vor dem Eingang zum Refektorium der Schwestern blutüberströmt zusammen und stirbt.
Heute, 90 Jahre nach ihrer bischöflichen Bestätigung, gehören der Gemeinschaft 33 Schwestern an. Ihr zentraler Auftrag hat sich seit ihrer Gründung nicht verändert. "Wir wollen Gott und den Menschen dienen – im Geist der Liebe und des Glaubens", schreiben die Schwestern im Internet. Zu ihren Aktivitäten gehören ein Altenpflegeheim mit 84 Plätzen, eine altengerechte Seniorenwohnanlage mit 22 Plätzen und ein Gästehaus mit 25 Betten. Außerdem engagiert sich die Gemeinschaft in der Krankenhausseelsorge und im Gebetsapostolat – und das immer treu dem Leitspruch ihrer Gründerin "Wille Gottes über alles".