Der Münsteraner Theologe Metz wird 90

Eine prägende theologische Figur

Veröffentlicht am 05.08.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Metz während eines Vortrages an der Uni Münster.
Bild: © KNA
Porträt

Münster ‐ Johann Baptist Metz gehört zu denen, die in den vergangenen Jahrzehnten die Theologie im intellektuellen Diskurs der Gegenwart mitsprachefähig gemacht haben. Heute feiert er seinen 90. Geburtstag.

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Sein Leben ist untrennbar mit einem tragischen Ereignis verbunden: Als 16-Jähriger kehrt er am Ende des Zweiten Weltkriegs zu seiner Kompanie zurück. Und findet "nur noch Tote, lauter Tote" - überrollt von einem Jagdbomber- und Panzerangriff. "Ich konnte ihnen allen, mit denen ich noch tags zuvor Kinderängste und Jungenlachen geteilt hatte, nur noch ins erloschene tote Antlitz sehen. Ich erinnere nichts als einen lautlosen Schrei."

Es ist diese Grunderfahrung, die Metz bewegt und ihn nach Gott und Gerechtigkeit für die unschuldigen Opfer fragen lässt. Wie überhaupt, so Metz, ist nach der Menschheitskatastrophe von Auschwitz noch eine Rede von Gott, eine Theologie, möglich? Seine eigene Gotteserfahrung beschreibt er als "Erfahrung des Leidens an Gott", wie sie sich nicht zuletzt im Schrei Jesu am Kreuz verdichtet - "der Schrei jenes Gottverlassenen, der seinerseits seinen Gott nie verlassen hatte".

Weil er die Opfer der Geschichte, die Ausgegrenzten und Wehrlosen, nicht vergessen will und kann, entwickelt er seine "Neue Politische Theologie". Neu, weil Carl Schmitt (1888-1985) in der Weimarer Republik glaubte, Totalitätsanspruch und Führerdenken theologisch rechtfertigen zu können. Davon will und muss sich Metz absetzen.

Er suchte die intellektuelle Auseinandersetzung

Wie wenige andere Theologen sucht Metz die intellektuelle Auseinandersetzung. Dazu zählt das Gespräch mit dem Marxismus und den Vertretern der Frankfurter Schule um die Philosophen Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Jürgen Habermas, mit dem er befreundet ist. Ohne Metz wäre es auch 2004 in München nicht zur Diskussion zwischen Habermas und dem damaligen Chef der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, gekommen.

Der Oberpfälzer aus der "erzkatholischen Kleinstadt" Auerbach, der von 1963 bis 1993 Fundamentaltheologie in Münster lehrt und dort seinen Lebensabend verbringt, tritt für eine Spiritualität ein, die für Leid empfindsam ist. "Compassion" heißt der Schlüsselbegriff, der mit "Mitgefühl" und "Empfindsamkeit" nur ungenau übersetzt ist. Davon ausgehend will Metz Korrekturen.

Ratzinger und Metz unterhalten sich.
Bild: ©KNA

Große Theologen unter sich: Joseph Ratzinger, damals noch Präfekt der Glaubenskongregation, und Johann Baptist Metz am 27. Oktober 1998 in Ahaus.

Der Kirche etwa hält er vor, einseitig Sünde und Erlösung der Täter in den Mittelpunkt gerückt zu haben: "Schließlich galt Jesu erster Blick nicht der Sünde der anderen, sondern dem Leid der anderen." Die theologische Suche nach zeitlosen Wahrheiten hat Metz dagegen nie interessiert: "Wenn eine Theologie alle Fragen wirklich perfekt beantworten kann, ist sie schon falsch." Er will in erster Linie die Gottesfrage als "gefährliche Erinnerung" wach halten.

Eine Mystik "der schmerzlich geöffneten Augen" müsse nicht nur nahe Nächste, sondern auch "die fremden anderen" in den Blick nehmen. Damit erinnert Metz an Leidende der Dritten Welt, die in Europa in eine "antlitzlose Ferne gerückt" seien. Oder an die Muslime, denen nach dem 11. September 2001 mit Dialogbereitschaft und nicht mit "Profilängsten" zu begegnen sei.

Metz legt den Finger in kirchliche Wunden

Immer wieder legt der Berater der Würzburger Synode der Bistümer (1971-75) den Finger in kirchliche Wunden. Mit Blick auf die Religionsfreiheit fordert Metz, die historische Wahrheit nicht zu unterschlagen: Glaubens- und Gewissensfreiheit, die die Kirche heute für sich und andere reklamiere, seien gegen sie erstritten worden, vor allem von der Reformation und der politischen Aufklärung.

Bei aller Intellektualität ist Metz Priester und Seelsorger. Die "Kultur der Empfindsamkeit" ist für ihn keine wissenschaftliche Attitüde, sondern Realität seines Lebens. Er kritisiert "monströse Großraumpfarreien" und wirbt für Gemeinden, die "lernbereite Erzählgemeinschaften" bilden - und zwar "Jenseits bürgerlicher Religion", wie sein wohl wichtigstes Buch heißt.

Den Leitungsstil und die Grundanliegen des Papstes aus Argentinien sieht Metz grundsätzlich positiv. Aber Metz wäre nicht Metz, wenn er es bei einer Lobhudelei auf Franziskus beließe. Vielmehr sagt er: Die Rede von den Armen allein genüge nicht; sie könne erst universal gelten und auch Nicht-Glaubende verpflichten, wenn sie "auf die Leidenden ausgeweitet" werde.

Von Michael Jacquemain (KNA)

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