Ein ungetauftes Kind empfängt die Eucharistie – und findet den Glauben

Wie eine unerlaubte Kommunion zu Jesus führte

Veröffentlicht am 08.08.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Eucharistie

Limburg ‐ Viktoria Spiegelberg-Kamens war neun Jahre alt, als sie das erste Mal die Eucharistie empfangen hat – da war sie noch nicht einmal getauft. Ob Zufall oder Fügung: Wegen dieser Kommunion ist sie Christin geworden.

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Seit Monaten verfolge ich den Eucharistie-Streit der katholischen Bischöfe. Seither vor allem mit beobachtendem Interesse und mit einiger Faszination für die Komplexität des Gegenstandes. In diesem Streit spiegelt sich alles, was die katholische Kirche zugleich ist: Eine Gemeinschaft des Glaubens, ein Ort des wissenschaftlichen Diskurses, eine Behörde, eine absolute Monarchie, ein demokratisches Gebilde. So kenne ich meine Kirche und ihre Diskussionen. Es ist alles immer komplex. Doch neulich im Schatten des Limburger Doms begegnete mir völlig unerwartet eine ganz einfache Perspektive auf die Eucharistie, die unsere Diskussion um eine weitere Facette bereichern kann. 

Die neue Facette lerne ich von einer Frau, die über die katholische Theologie gar nichts weiß und von den Regeln der Eucharistie auch nicht. Diese Frau heißt Viktoria Spiegelberg-Kamens, sie ist Gewerkschafterin, sie kandidiert in Limburg für die SPD für den Landtag - und sie ist Christin. Ich soll ein Portrait über sie schreiben und treffe sie daher zum Gespräch. Ihre Perspektive auf die heilige Kommunion verändert plötzlich meine.

Ich weiß, was die Eucharistie ist – ich empfinde es aber nicht

Ich gehöre zu den Katholiken, die ganz genau wissen, was wir glauben, wenn wir die Eucharistie empfangen. Ich weiß es, aber ich empfinde es nicht. Ich weiß, welche Verbindung, welches Geheimnis, welche Beziehung die Kommunion stiften soll, nur leider wird mein intellektuelles Verstehen des Konzeptes für mich in der Eucharistiefeier nicht zum Erlebnis. Deshalb bleibt auch mir wie so vielen anderen Katholiken, die sonntags nicht mehr in den Gottesdienst kommen, unsere Liturgie fremd.

Viktoria Spiegelberg-Kamens
Bild: ©privat

Heute ist Viktoria Spiegelberg-Kamens Christin – die Eucharistie in einer katholischen Messe hat sie zur Kirche gebracht.

Als ich beginne, mit Viktoria Spiegelberg-Kamens in ihrem Garten in Limburg zu sprechen geht es gar nicht um den Glauben. Das Thema unseres Gespräches ist ihre Biografie und die sich daraus entwickelnde politische Motivation für ihre Kandidatur für den hessischen Landtag. Deshalb erzählt sie mir davon, wie sie nach Deutschland kam.

Ihre Eltern sind Wolgadeutsche aus Kasachstan, die sich immer zum deutschen Volk zugehörig fühlten und nicht zum russischen. Deshalb ergriff die Familie 1992 die Chance und wanderte nach Deutschland als Spätaussiedler aus. Mit dem Flugzeug ging es nach Hannover und von dort mit dem Bus an die Ostsee in eine Erstaufnahmeeinrichtung.

Als Spätaussiedlerin zum ersten Mal in einer Messe

Dort angekommen wurde die Familie zusammen mit allen anderen von der Gemeinde in die katholische Kirche eingeladen. Die Familie von Spiegelberg-Kamens war nicht-religiös. Wie für die meisten Familien in der Sowjetunion spielte auch in ihrer Familie die Religion längst überhaupt gar keine Rolle mehr. Weil aber die Eltern wollten, dass die Familie schnell Anschluss an die anderen Deutschen findet, nahmen sie die Einladung gerne an.

Als sie mir von diesem Abend an der Ostsee in ihrem ersten und einzigen katholischen Gottesdienst berichtet, horche ich fasziniert auf. Damals war sie neun Jahre alt und erlebt folgendes:

„Ich habe in dem Moment eine Entscheidung getroffen, dass ich mit dem, der mir das gibt, eine Beziehung eingehen will. Es war nicht der Pfarrer, sondern Jesus.“

—  Zitat: Viktoria Spiegelberg-Kamens

"Wir waren alle in dieser Kirche. Es war Abend und das Licht war schummrig. Ich konnte damals noch kein Wort Deutsch. Ich war noch völlig fremd. Vor mir wurde in einer fremden Sprache gesprochen. Irgendwann gab man uns das Zeichen, an den Altar zu kommen. Wir stellten uns alle um diesen Altar herum. Meine Eltern und ich und all die Fremden. Dann ging der Pfarrer umher und gab jedem ein Stück Brot. Ich weiß noch, dass ich damals dachte, wie wunderbar das ist, dass ich jetzt von jemandem Fremden etwas zu essen bekomme. Ich habe in dem Moment eine Entscheidung getroffen, dass ich mit dem, der mir das gibt, eine Beziehung eingehen will. Es war nicht der Pfarrer, sondern Jesus. Es war, als wäre genau in diesem Moment eine Gemeinschaft entstanden, die nie wieder zerbricht. Eine, die über uns hinaus geht."

Eigentlich unerlaubt

Ich gebe gerne zu: Als jemand, der einige Semester katholische Theologie studiert hat, bin ich baff von dieser Erzählung. Ich frage mehrfach nach, ob sie das damals so empfunden hat oder ob sie das heute so sagt, weil sie jetzt seit Jahren katholisch ist. Aber sie ist gar nicht katholisch. Dieser eine Gottesdienst damals ist der einzige katholische Gottesdienst, den sie jemals besucht hat. Danach wird die Familie schnell nach Thüringen umgesiedelt. Dort gibt es fast nur evangelische Christen und so wird Spiegelberg-Kamens, die sich seit ihrer ersten Eucharistiefeier mit Christus verbunden fühlt, zur Protestantin.

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Video: © Mediaplus X und Bernward Medien

Ein Beitrag der Serie "Katholisch für Anfänger". Die Zeichentrickserie erklärt auf einfache und humorvolle Art zentrale Begriffe aus Kirche und Christentum. In dieser Folge geht es um die Eucharistie und ihre Bedeutung im christlichen Glauben.

"Weißt Du eigentlich, dass Du dieses Brot in der Nacht verbotenerweise erhalten hast?", frage ich sie. Sie verneint. Von katholischen Regeln, wer die Kommunion empfangen darf und wer nicht, hat sie noch nie gehört.

Wir glauben, dass es sich bei der Eucharistie um einen performativen Akt handelt. Sprich, dass in der Wandlung das Brot zum beziehungsstiftenden leibhaftigen Teil Christi wird. Wir glauben, dass die Hostie mehr ist als ein Symbol für das letzte Abendmahl. Wir glauben, dass dieses Stück Brot eine Verbindung über alle Zeiten hinweg erschafft und eine Gemeinschaft in Ewigkeit begründet. Genau das ist Viktoria Spiegelberg-Kamens passiert.

Ein Weg zu Christus

Und nun? – Was heißt das eigentlich für all unsere Regeln bezüglich der Kommunion? – Was bedeutet das, wenn der Leib Christi bei Menschen außerhalb der katholischen Kirche, ja sogar außerhalb des Christentums im richtigen Moment genau das leistet, was wir glauben, was er ist? Wenn man eben nicht das Symbol zuerst verstanden haben muss, wenn man nicht erst Teil der Gemeinschaft sein muss, sondern gerade erst durch das Empfangen des Leibes Christi Teil der Gemeinschaft in Christus wird. Wenn die performative Kraft des Leibes wirklich über die Institution Kirche und über das Jetzt hinausweist, muss das dann nicht auch bedeuten, dass sie im richtigen Moment ganz voraussetzungslos der Weg zu Christus ist? Ein Weg, bei dem ich neuerdings zweifle, ob es ein Recht gibt, ihn zu verstellen.

Viktoria Spiegelberg-Kamens hat alles erlebt, was ich weiß, aber nicht erlebe. Ich weiß alles, was Viktoria erlebt hat, ohne etwas darüber zu wissen. Liegt nicht genau in dieser Differenz die Gestaltungsaufgabe der Liturgie? Und es sei die Frage erlaubt, ob die heilige Kommunion nicht tatsächlich eine größere Beziehungsstifterin ist, wenn sie nicht zuerst unterrichtet und verstanden wird, bevor sie zum Erlebnis wird.

Von Erik Flügge