"Unsere Waschräume sind besser als die im Vatikan"
"In der Innenstadt kocht der Beton. Viele haben die Schnauze voll davon und bleiben einfach in der Hitze liegen", sagt Dieter Puhl, der die Bahnhofsmission am Zoo in Berlin leitet. "Obdachlose können nicht in klimatisierte Räume ausweichen wie wir. Manche liegen daher stundenlang verletzt in der Sonne und faulen regelrecht vor sich hin", erklärt Puhl. Promille und pralle Sonne verkrafte aber kein Mensch. Mit einem Auto sorgt die Bahnhofsmission daher mehrmals die Woche für Linderung und fährt als mobile Ambulanz vor allem die Plätze an, die als Schlafstätten der Obdachlosen bekannt sind. "Bei unseren Touren verteilen unsere ehrenamtlichen Ärzte und Pfleger Wasser, versorgen Wunden, verteilen Verbandsmaterial und schauen, wer noch weitere Hilfen benötigt. Wir sind auch auf den Bahnhöfen unterwegs und sprechen Menschen an, die in Not sind", erzählt Ortrud Wohlwend von der Berliner Stadtmission. Den meisten Obdachlosen fehle der Zugang zu fließendem Wasser und Waschräumen. Daher ermuntern wir sie immer, in unser Hygienecenter am Bahnhof Zoo zu kommen, um zu duschen und kostenlos Wasser von unserem Wasserspender abzuzapfen, berichtet Wohlwend.
Zwar bieten in Berlin verschiedene soziale Einrichtungen kostenfrei Toiletten und Waschgelegenheiten, aber die reichen bei weitem nicht aus. Viele nutzen auch öffentliche Schwimmbäder oder Bibliotheken für ihre Körperpflege. Einige hunderte Obdachlose kommen daher täglich zum Bahnhof Zoo. Weil die Wände immer wieder vollgepinkelt waren, hat die Bahnhofsmission reagiert. "Es stank zum Himmel", so Wohlwend. Vor drei Jahren wurde umgebaut. Die Bahn stellte ehemalige Personalräume für Toiletten und Duschen zur Verfügung und finanzierte mit 350.000 Euro das Projekt. Solche Einrichtungen wie unsere gibt es in Europa nur zweimal, sagt Puhl stolz. Der Papst habe um ein halbes Jahr schneller gebaut als wir. Papst Franziskus ließ 2015 direkt neben dem Petersdom Waschräume für Obdachlose einrichten, als Ausdruck christlicher Nächstenliebe. "Doch unsere sind besser", meint Puhl, der vor einem Jahr selbst in Rom war, um sich die Sanitäreinrichtung im Vatikan anzuschauen. Es sei eine Freude für unsere Gäste, in die Duschen hineinzugehen. "Alles Edelstahl", so Puhl stolz.
Rund 80 Gäste duschen hier täglich für maximal 30 Minuten. Das Angebot ist kostenlos und täglich von 10 bis 18 Uhr zugänglich. Aber es gehe bei der Bahnhofsmission nicht nur ums Duschen und Pinkeln. "Hier wird jeder Einzelne als Mensch wahrgenommen", betont der Leiter der Bahnhofsmission. Wenn man sich pflegt, nimmt man sich wahr und fühlt sich auf Augenhöhe mit den anderen. Mit jedem Toilettengang und jeder Dusche kommt die Würde zurück. Damit das so bleibt, wird die Nasszelle nach jedem Duschgang professionell gereinigt und desinfiziert. Auch die Handtücher werden kostenlos verteilt und danach wieder frisch gewaschen.
Toilettenartikel wie Deos, Einwegrasierer, Seifen, Shampoos und Duschgels werden ausgegeben, es sind hauptsächlich Spenden von Hotels oder Privatpersonen. Barmherzigkeit fange bei jedem Einwegrasierer an, denn der sichere Menschenwürde, meint Puhl, der schon seit 25 Jahren bei der Berliner Stadtmission arbeitet, davon zehn Jahre am Bahnhof Zoo. Eine Parfümerie habe sogar Parfümfläschchen mit verschiedenen Duftnoten gespendet. "Da kann sich jeder seinen Lieblingsduft aussuchen, denn unsere Gäste lieben es, gut zu riechen", sagt Wohlwend. So etwas würde sich ein Obdachloser selbst nie kaufen, weiß sie.
Nach der Dusche gibt es für jeden Duschgast saubere Wäsche aus der Kleiderkammer. Die Vorräte an Slips und Männerunterwäsche können die Nachfrage kaum decken. Im Sommer gehen die Spenden allerdings zurück.
Manche Obdachlose laufen bei hohen Temperaturen in ihren dicken Jacken herum, erklärt Wohlwend. Für manche ist das oft das Einzige, das sie besitzen. Daher bietet die Berliner Stadtmission auch Waschmaschinen und Trockner in verschiedenen Einrichtungen in der Innenstadt an. Dort können dann Schlafsack und Schmutzwäsche gewaschen werden. Was auch auffällt, dass manche Obdachlose das ganze Jahr in denselben Schuhen herumlaufen. "Wir verschenken im Sommer daher viele Sandalen und leichtes Schuhwerk. Damit sie endlich ihre Winterstiefel ausziehen können", erklärt Wohlwend. Weil die Füße der Gäste oft wund gelaufen und entzündet sind, bietet das Hygienecenter auch medizinische Fußpflege und eine Fußmassage an. Wer mag, kann sich im Hygienecenter sogar die Haare schneiden oder den Kopf massieren lassen. Im "Salon Franziska" werden alle Gäste ehrenamtlich bedient. Zusätzlich in den Sommermonaten werden Kopfbedeckungen, Sonnencremes, feuchte Waschlappen, Tücher und Fächer ausgegeben. "Das klingt alles nach wenig, aber für Leute, die auf der Straße leben, ist das viel," meint Puhl, der ausgebildeter evangelischer Diakon ist. Weil unsere Gäste auf diese Weise spüren, dass sie es wert sind, dass man sich um sie kümmert und das mache ihr Leben lebenswerter. "Gott gibt keinen Menschen auf, wir machen es auch nicht", betont er weiter.
Vor kurzem sei ein Obdachloser, der schwer am Bein verletzt war, im Pflegezimmer der Berliner Stadtmission aufgenommen worden. Eigentlich wollte er zuerst keine Hilfe annehmen, aber dann hat er sich dazu überreden lassen, erzählt Wohlwend, die auch die Öffentlichkeitsarbeit der Stadtmission Berlin leitet. "Wir haben herausgefunden, dass er noch einen Bruder hat, zu dem er aber viele Jahre keinen Kontakt hatte. Dieser ist fast in Ohnmacht gefallen, als wir ihn angerufen haben. Er ging davon aus, dass sein Bruder schon längst tot sei. Diese Familie haben wir durch unsere Arbeit wieder zusammengebracht. Uns hat das gezeigt, wie wichtig unser ambulanter Dienst ist und wie groß die Scham der Menschen sein kann, sich selbst Hilfe zu holen". Das habe für Wohlwend auch mit der Sommerhitze zu tun, weil viele Menschen, die psychische Probleme haben oder älter sind, sich einfach aufgeben.
Daher sei jeder aufgefordert, besonders bei den hohen Temperaturen, aufmerksam durch die Stadt zu gehen und zu schauen, ob ein obdachloser Mensch Hilfe benötigt. Man könnte auch mal einen Obdachlosen auf ein Eis oder ein Getränk einladen, so erfährt man vielleicht sogar seinen Namen. Er oder sie sind dann nicht mehr namenlos oder anonym. Es tut gut zu helfen und manchmal kann man so auch ein Leben retten. Der Leiter der Bahnhofsmission hat noch einen anderen Wunsch offen. Gerne würde er neben den 200 ehrenamtlichen Mitarbeitern auch eine katholische Ordensfrau in der Bahnhofsmission beschäftigen. "Die fehlt uns hier noch mit ihrer Herzenswärme." Er wünsche sich einfach noch mehr Kirche am Bahnhof Zoo. Und dann möchte er Papst Franziskus nach Berlin einladen. Er soll hier bei der Bahnhofsmission eine Messe für die Obdachlosen halten und die Bundeswehr könne danach Erbsensuppe für alle verteilen. Für ihn wäre das ein starkes Zeichen für die Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens zu Hause sind.