"Die Krippe stünde bei den Flüchtlingen"
Frage: Wie bereiten Sie sich in der Klostergemeinschaft auf Weihnachten vor?
Benediktinerpater Anselm Grün: Die Adventszeit ist bei uns im Kloster eine stille Zeit. Da gibt es keine Orgelmusik im Gottesdienst. Wir üben besonders das Schweigen ein. Dadurch haben wir im Konvent mehr Zeit für Meditation und zum bewussten Austausch. Am 24. Dezember feiern wir morgens die Vigil mit feierlichen Gesängen. Am Nachmittag wird dann die lateinische Vesper gefeiert. Dann gibt es wieder eine lange Vigil bis etwa zwei Uhr früh am ersten Weihnachtstag. Um 10 Uhr feiern wir das Weihnachtsamt. Dann gibt es das weihnachtliche Mittagessen. Im Konvent feiern wir anschließend, und beim Abendessen hält der Abt eine kleine Ansprache.
Frage: Gibt es ein besonderes Essen an Heiligabend im Kloster, und was wird an Weihnachten serviert?
Grün: An Heiligabend gibt es Brot, Käse, Salate, das Ganze ist etwas feierlicher als sonst, es gibt auch Rotwein. An Weihnachten gibt es immer eine Vorspeise, und die Küche strengt sich besonders an. Ein Traditionsgericht wie zum Beispiel Lamm an Ostern aber gibt es nicht.
Frage: Beschenken Sie sich im Kloster gegenseitig?
Grün: Eine Bescherung in diesem Sinne gibt es nicht. Jeder bekommt eine Tüte Plätzchen. Manchmal auch noch ein kleines Buch. Nicht mehr.
Frage: Welche Traditionen gibt es bei der Weihnachtsfeier im Konvent?
Grün: Traditionell beginnt dieser Abend mit dem Text aus dem Martyrologium: "759 Jahre nach der Gründung Roms kam Jesus zur Welt". Von 20 bis etwa 22.45 Uhr hat jeder Mönch dann Zeit für sich. Ich selbst zünde dann gerne ein paar Kerzen an und lausche einem Weihnachtsoratorium. Das Ganze ist eher meditativ.
Frage: Bauen die Mönche auch immer eine Krippe auf?
Grün: Wir haben zwei: eine im Speisesaal und eine in der Abteikirche. Die in der Kirche gestaltet meist Pater Meinrad Dufner, manchmal greift er auch auf eine ausländische Krippe zum Beispiel aus Peru zurück.
Frage: Wo wir bei der Krippe sind: Wo ist für Sie in diesem Jahr die Krippe? Also: Wo glauben Sie würde Jesus in diesem Jahr geboren werden?
Grün: Sicher bei den Flüchtlingen dieser Welt. Josef und Maria waren auch auf dem Weg, sie fanden kein Zuhause.
Frage: In diesem Jahr leben an Weihnachten erstmals Flüchtlinge mit den Mönchen unter einem Dach. Wie ändert das Ihren Blick auf das Fest und die anschließende Flucht der heiligen Familie nach Ägypten?
Grün: Die Flüchtlinge sind Moslems, aber durchaus offen für das, was wir feiern. Ihnen zu erklären, was sich hinter dem Fest verbirgt, wird neben den sprachlichen Barrieren die Herausforderung sein. Es passt in jedem Falle zu Weihnachten: Maria und Josef haben keine Herberge gefunden, da ist es durchaus eine Konkretisierung des Weihnachtsfests, dass wir hier im Kloster Flüchtlinge aufnehmen.
Frage: Wie verbringen Sie persönlich die Weihnachtstage?
Grün: Am ersten Feiertag rufe ich meine Geschwister an, ansonsten nutze ich die Zeit für mich, um zu lesen und Musik zu hören. Die Arbeit lasse ich in jedem Fall ruhen und schreibe auch keine Bücher.
Frage: Haben Sie Gelegenheit, um Weihnachten herum Ihre Verwandten zu sehen?
Grün: Nein, an Weihnachten nicht, und auch im neuen Jahr nicht gleich. Nach Neujahr beginnen die Konventstage. Da herrscht Anwesenheitspflicht und wir besprechen im Konvent, was uns wichtig ist. Zwischen den Jahren haben wir spezielle Angebote für die Jugend.
Frage: Wie haben Sie Weihnachten in Ihrer Kindheit in Lochham bei München verbracht?
Grün: Wir waren sieben Kinder, Weihnachten war immer etwas Besonderes. Der Vater ist mit uns draußen spazieren gegangen am Nachmittag, die Mutter hat das Zimmer gerichtet. Dann haben wir oben gewartet. Als das Glöckchen klingelte, sind wir nach unten gegangen. Das hatte immer etwas Geheimnisvolles. Der Vater hat dann das Weihnachtsevangelium vorgelesen, dann haben wir "Stille Nacht" gesungen. Und schließlich war Bescherung. Natürlich war das alles sehr einfach in den 1950er Jahren. Danach sind wir in die Kirche gegangen.
„Gott ist herabgestiegen vom Himmel auf die Erde. Das ist ein menschenfreundliches Gottesbild: Gott ist uns nicht fern, sondern mitten unter uns.“
Frage: Gab es ein Geschenk, an das Sie sich besonders gerne erinnern?
Grün: Mit 14 habe ich ein Mikroskop bekommen, da ich ein leidenschaftlicher Biologe war.
Frage: Wie hat sich über die Jahre für Sie persönlich der Stellenwert von Weihnachten verändert?
Grün: Früher war es einfach ein Familienfest. Es war immer sehr schön, auch als Internatsschüler war es schön, zu diesem Termin daheim zu sein. In meinem ersten Klosterjahr war es für mich etwas nüchterner und ich hatte ein bisschen Heimweh. Heute wäre für mich das Familienfest nichts. Was heißt Weihnachten? Gott wird in mir geboren. Wenn ich in mich hineinhorche, auf was stoße ich dann? Weihnachten heißt: Der innerste Kern in uns ist Jesus Christus selber. Ich denke immer wieder darüber nach und kann es doch noch nicht wirklich verstehen und ganz erfassen, was das Geheimnis der Menschwerdung wirklich heißt. Das will immer wieder neu bedacht werden.
Frage: Viele Alleinstehende werden gerade am Familienfest Weihnachten an ihre Einsamkeit erinnert. Wie können sie trotzdem Hoffnung schöpfen?
Grün: Zunächst ist es wichtig, die Traurigkeit darüber zuzulassen. Wichtig ist, für sich selbst Weihnachten mit Weihnachtsbildern, einer Krippe zu gestalten. Darin wird deutlich: Ich bin nicht allein gelassen. Christus will in mir geboren werden. Wir schmücken die Häuser, um auszudrücken, dass Gott selbst unter uns wohnt. Daheim sein kann man nur, wo das Geheimnis wohnt. Wenn man zum Gedenken an Verstorbene eine Kerze entzündet und an der Krippe aufstellt, dann wird darin auch äußerlich deutlich, dass an Weihnachten Himmel und Erde ganz dicht in Berührung kommen.
Frage: Was denken Sie von Menschen, die nur aus Tradition an Weihnachten in die Kirche gehen?
Grün: Zunächst einmal ist festzuhalten: In diesen Menschen gibt es eine Sehnsucht, und deswegen gehen sie in den Gottesdienst. Wie kann ich als Seelsorger die Botschaft von Weihnachten so verkünden, dass auch diese Menschen sich angesprochen fühlen? Weihnachten heißt, einen Anfang zu feiern, nicht auf die Vergangenheit festgelegt zu sein. Weihnachten heißt: Gott will in mir geboren werden. Ich muss nichts beweisen, sondern kann einfach dem Geheimnis meines Seins nachspüren.
Frage: Wenn Sie einem völlig Kirchenfremden Weihnachten kurz und prägnant erklären müssten: Was wäre für Sie die zentrale Botschaft, die Sie vermitteln würden?
Grün: Gott ist herabgestiegen vom Himmel auf die Erde. Das ist ein menschenfreundliches Gottesbild: Gott ist uns nicht fern, sondern mitten unter uns. Was ist das Geheimnis des Menschseins, wenn Gott selber Mensch wird? Ich werde auch nur Mensch, wenn ich hinabsteige in die eigene Tiefe, wenn ich das Licht von Weihnachten auch in meine dunklen Seiten hineinleuchten lasse und darauf vertraue, dass auch die Dunkelheit erleuchtet werden kann.
Frage: Die Benediktiner sind nicht nur in Münsterschwarzach, sondern auch in den USA, auf den Philippinen, in Korea und Tansania aktiv. Unterscheidet sich das dortige Weihnachtsfest von dem hier in Würzburg?
Grün: In Asien und Afrika ist die Natur an Weihnachten ganz anders. Dort herrscht dann der Sommer, es ist warm. Die Verbindung von Weihnachten mit Schnee und Winter ist dort fremd. In Tansania ist ein Kind immer etwas Verheißungsvolles. In Korea ist die Kultur nicht christlich geprägt. Weihnachten wird dort traditionell erst am darauf folgenden Sonntag gefeiert. Bei uns in Deutschland ist das anders, auch wenn die Gesellschaft nicht unbedingt mehr christlich ist, die Kultur ist in jedem Fall noch christlich geprägt.
Frage: Was wünschen Sie sich zu Weihnachten und für das neue Jahr?
Grün: Mein Wunsch ist, dass die weihnachtliche Ahnung von Frieden sich in den Herzen der Menschen ausbreitet. Überall gibt es Streit und Krieg. Ich hoffe, dass wir Weihnachten nicht romantisch verklärt betrachten, sondern dass das Licht, das an Weihnachten aufgeht, die Menschen motiviert: Macht und Gewalt allein können nie eine Lösung sein.
Das Interview führte Markus Hauck