USA – wo Religionsfreiheit bis in die Backstube reicht
Als Jack Phillips vor 25 Jahren in Lakewood bei Denver im US-Bundesstaat Colorado sein Geschäft eröffnete, konnte er nicht ahnen, welche Rechtsstreitigkeiten auf ihn zukommen würden. "Masterpiece Cakeshop" nannte er seine Konditorei, die seine beiden Leidenschaften verbinden sollte: Backen und Kunst. Das "Meisterwerk" im Namen habe er aber auch wegen seines christlichen Glaubens gewählt. In der Bergpredigt heiße es schließlich, man dürfe nicht zwei Herren ("masters") dienen, Gott und dem Mammon, zitiert das Onlineportal Crux Phillips. Die Betonung der Kunst an seinem Handwerk und der Verweis auf seinen Glauben waren entscheidend dafür, dass Phillips im Juni am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten Recht zugesprochen bekam. Und dennoch kommt er nicht zur Ruhe. Aber der Reihe nach:
Im Juli 2012 kam ein schwules Paar in den "Masterpiece Cakeshop" und wollte eine Hochzeitstorte für seine Hochzeitsfeier bestellen, die in einem nahegelegenen Restaurant stattfinden sollte. Phillips antwortete, dass er das aus religiösen Gründen nicht machen dürfe und bot den Männern an, eine andere Torte aus seinem Shop zu kaufen oder ihn für einen anderen Anlass zu engagieren. "Wenn ich einen Kuchen designen soll, der etwas feiert, was mit meinem Glauben in Konflikt steht, muss ich aus Gewissensgründen absagen", begründete er seine Absage im Nachhinein. Auch Halloween-Torten oder Kuchen mit "anti-amerikanischer" Botschaft mache er grundsätzlich nicht.
Diskriminierung von LGBT-Menschen ist in Colorado verboten
Aber die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung ist in Colorado – wie auch in 20 anderen US-Bundesstaaten – auch privatwirtschaftlichen Unternehmen gesetzlich verboten. Charlie Craig und David Mullins rügten Phillips' Verhalten bei der Bürgerrechtskommission des Staates, der Colorado Civil Rights Commission. Nach gescheiterten Versuchen einer gütlichen Einigung, verklagten sie den Bäcker und bekamen Recht. Der Staat trug Phillips zudem auf, seine Unternehmenspolitik zu ändern, die Mitarbeiter in Bezug auf Diskriminierung zu schulen und vierteljährlich Berichte vorzulegen, ob er potentielle Kunden abgewiesen habe. Dieser beschloss daraufhin, gar keine Hochzeitstorten mehr zu backen und ging in Berufung.
Wer nun denkt, dass das schwule Ehepaar und der Bäcker angesichts des jahrlangen Rechtsstreites verfeindet seien, liegt falsch: Beide Parteien betonten gegenseitig, dass es ihnen um die Sache und nicht um eine bestimmte Person gehe. Und sie führten den Rechtsstreit nicht alleine: Für die einen kämpfte die liberale Nichtregierungsorganisation "American Civil Liberties Union" (ACLU) wegen Diskriminierung, für den anderen die mächtige Interessengruppe "Alliance Defending Freedom" (ADF) um Religionsfreiheit. Die ADF beschreibt sich selbst als Organisation, die vor Gericht dafür kämpft, dass die Menschen ihren Glauben frei ausleben können – was im 1. Zusatzartikel zur US-Verfassung festgeschriebene ist. Auf der Homepage der 1994 hauptsächlich von Evangelikalen gegründeten Allianz wird schnell klar, dass sie nur für die Religionsfreiheit der Christen streiten, Lebensschutz sowie die dem Evangelium gemäße Ehe und Familie. Ob Jack Phillips in Colorado, Kameraleute in Minnesota oder Blumenhändler in Washington: Sie alle, die Dienstleistungen an gleichgeschlechtliche Paare verweigerten, werden von "Alliance Defending Freedom" vertreten. Man habe in den vergangenen sieben Jahren neunmal vor dem "Supreme Court" Siege erzielt, heißt es in der Selbstbeschreibung.
Bischofskonferenz und Trump-Administration schalten sich ein
Spätestens als Phillips und die ADF nach mehreren Niederlagen entschieden, vor das oberste rechtsprechende Staatsorgan der USA zu ziehen, wurde der Fall medial stark beachtet und auch über Amerika hinaus bekannt. Die US-Bischofskonferenz schaltete sich ein und forderte, die Religions- und Meinungsfreiheit des Bäckers zu respektieren. Auch Trumps Justizministerium meldete sich zu Wort – um Unterstützung für den Bäcker zu signalisieren.
Bei der mündlichen Verhandlung im Dezember 2017 argumentierte Phillips Anwältin, dass seine aufgrund spezieller Wünsche der Kunden gefertigten Torten Kunstwerke seien, die von der Meinungsfreiheit geschützt seien. Er wolle keine Homosexuellen diskriminieren, sondern aus religiöser Überzeugung nicht mit seinem Produkt an einer gleichgeschlechtlichen Hochzeit mitwirken. Der Vertreter von Colorados Bürgerrechtskommission wies hingegen darauf hin, dass ein Grundsatzurteil bedeuten könnte, dass es künftig keine Hochzeitstorten für gleichgeschlechtliche Paare in ländlichen Gegenden geben könnte. Auch andere Dienstleister könnten ihre Mitwirkung an Hochzeiten von Lesben und Schwulen ablehnen könnten, war seine Befürchtung.
Der Oberste Gerichtshof entschied am 4. Juni, der Bundesstaat Colorado habe die religiösen Überzeugungen des Bäckers nicht ausreichend berücksichtigt und ihm eine "neutrale" Anhörung verwehrt. Die Entscheidung des Supreme Court fiel mit 7 zu 2 Stimmen. Das Gericht ließ allerdings offen, inwieweit die Entscheidung ein Präzedenzfall mit Blick auf künftige Konflikte beim Aufeinandertreffen von Religion auf Bürgerrechte ist.
Ruhe hat Jack Phillips nach dem Sieg nicht. Bereits vor einem Jahr hatte er es abgelehnt, für die Anwältin Autumn Scardina einen Kuchen zu machen, der innen rosa und außen blau sein sollte. Sie wollte damit ihren Geburtstag und den siebten Jahrestag ihrer Geschlechtsumwandlung vom Mann zur Frau feiern. Phillips ist hingegen der Ansicht, dass das Geschlecht "von Gott gegeben ist, biologisch festgelegt ist, nicht von Wahrnehmungen oder Gefühlen bestimmt wird und nicht ausgesucht oder verändert werden kann".Nach einer Beschwerde Scardinas erklärte Colorados Bürgerrechtskommission im Juni, die Beweise reichten aus, um eine Diskriminierungsklage zu unterstützen. Zugleich forderten sie beide Seiten auf, sich gütlich zu einigen.
Phillips verklagt den Bundesstaat Colorado
Dazu wird es wohl nicht kommen: Der Inhaber der Konditorei Masterpiece Cakeshop in Denver verklagte am Mittwoch den Bundesstaat wegen Verletzung seines Rechts auf Meinungs- und Religionsfreiheit. Sein Anwalt wirft Colorado vor, einen "Kreuzzug, um den Kläger Jack Phillips zu zerquetschen" zu betreiben. Die "Alliance Defending Freedom" macht ihre Seite mit dem Fall Jack Phillips auf, stellt ihn mit großformatigen Bildern und einem Video vor und bittet um Spenden.
Allerdings ist nur eine Minderheit von 33 Prozent der US-Bürger der Ansicht, dass man aus religiösen Gründen Dienstleistungen für Homo-, Bi- und Transsexuelle ablehnen darf – und 60 Prozent dagegen. Laut einer Studie des "Public Religion Research Instituts" sind von allen Glaubensgemeinschaften des Landes allein Mormonen und "weiße evangelikale Protestanten" mit je 53 Prozent dafür, dass in ihrem Bundesstaat gläubige Ladenbesitzer solche Anfragen ablehnen können.