Beten mitten in Europa

Veröffentlicht am 29.12.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Taize-Jugendtreffen

Prag ‐ Fondue, Brettspiele, Feuerwerk: The same procedure as every year - darauf hat Rebecca Rinas keine Lust. "Total öde" findet sie solche Silvesterabende. "Doch das ändert sich, mit diesem Jahr", sagt die 19-Jährige aus Mittenwalde in Brandenburg. "Ich bin so aufgeregt, ich freue mich so sehr und bin gleichzeitig so aufgewühlt", verrät Rebecca. Mit Tausenden Jugendlichen aus ganz Europa verbringt sie den Jahreswechsel beim 37. europäischen Taize-Jugendtreffen in Prag.

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An fünf Tagen feiern die Jugendlichen dort von heute an bis zum 2. Januar ein Fest der Nationen. Es gibt gemeinsame Abendgebete für den Frieden in der Welt, Aktivitäten in der Innenstadt und in kleinen Gruppen. Rebecca ist schon am Samstag allein angereist und ist in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht. Sie ist eine von rund 2.000 Jugendlichen, die für den Start letzte Vorbereitungen treffen.

Taize - der kleine Ort im französischen Burgund zählt zu den wichtigen Stätten der ökumenischen Bewegung. Dort ließ sich 1944 eine Bruderschaft nieder, die zum Treffpunkt für Jugendliche aus aller Welt wurde. Ihr gehören rund 100 Männer aus mehr als 25 Ländern an, die aus verschiedenen evangelischen und aus der katholischen Kirche stammen. Bekannt ist die Taize-Spiritualität für ihren einfachen Lebensstil und emotionale Musik.

Regelmäßige Jugendtreffen in allen Teilen der Welt

Geleitet wird die Bruderschaft von dem Katholiken Frere Alois Löser, einem Stuttgarter. Er folgte 2005 auf den charismatischen Gründer Frere Roger Schutz, den eine psychisch kranke Frau getötet hatte. Seit im August 1974 Zehntausende zu einem "Konzil der Jugend" nach Taize kamen, veranstalten die Brüder regelmäßig Jugendtreffen in allen Teilen der Welt, zuletzt in Straßburg, davor in Rom und Berlin.

Prag ist ein symbolträchtiger Ort. 1968 machten sich die Bürger des tschechoslowakischen Ostblock-Staates Hoffnung auf eine Öffnung im Prager Frühling, den sowjetische Truppen brutal niederschlugen. Im Wendejahr 1989 wurde die Stadt erneut zum wichtigen Schauplatz: Monate vor dem Mauerfall konnten Tausende geflohene DDR-Bürger von dort aus nach Westdeutschland ausreisen. In der Euphorie darüber, den Kalten Krieges überwunden zu haben, gab es dort 1990 erstmals ein Jugendtreffen.

Bild: ©KNA

Frere Roger im Gespräch mit einem Jugendlichen in Taize 1975.

Der Eiszeit entgegenwirken

Ein Vierteljahrhundert später herrscht eine neue Eiszeit zwischen Russland und der Ukraine. Die Taize-Gemeinschaft will der Spirale des Hasses entgegenwirken: "Mit Blick auf den Fall des Eisernen Vorhangs vor 25 Jahren wird die Versöhnung zwischen Ost und West eines der wichtigen Themen des Treffens sein", hieß es in einer Ankündigung. Die rund 2.400 angemeldeten Ukrainer, etwa 1.000 Weißrussen und einige Hundert Russen sollen sich im Zeichen des Friedens begegnen.

Insgesamt nehmen mehr als 30.000 junge Menschen, meist zwischen 17 und 35 Jahren, aus 65 Ländern teil. Neben den etwa 7.000 tschechischen Jugendlichen sind auch 6.100 Polen, 1.800 Deutsche und 1.700 Franzosen angemeldet. Sie übernachten überwiegend in Gastfamilien, aber auch in Kirchengemeinden, Schulen und Sporthallen. Zentrale Veranstaltungsorte sind 17 Innenstadtkirchen und das Messegelände Letnany.

Geistiges und kulturelles Zentrum mitten in Europa

Einer der Höhepunkte des Treffens ist das Abendgebet am Neujahrstag im Veitsdom. Beim vergangenen Jugendtreffen hatte der Erzbischof von Prag, Kardinal Dominik Duka, die Vorfreude auf die "Goldene Stadt" geweckt: "Diese Stadt liegt mitten in Europa und ist seit dem Anfang unserer Geschichte ein geistliches und kulturelles Zentrum, nicht nur unseres Landes, sondern von ganz Zentraleuropa."

Rebecca Rinas ist bereits sehr gespannt auf den Auftakt des Treffens. In Taize war sie zwar schon fünfmal, an einem der Jugendtreffen zum Jahreswechsel hat sie aber noch nicht teilgenommen. Die Erfahrung, so vermutet Rebecca, wird ähnlich sein: "Es trifft jedes Mal mein Herz, es ist rührend."

Von Michael Merten (KNA)

Stichwort: Taize

Taize gilt als ein Symbol der ökumenischen Bewegung. Der Ort im südlichen Burgund ist Sitz einer christlichen Gemeinschaft, die zum Treffpunkt für Jugendliche aus aller Welt wurde. Ihr gehören rund 100 Männer aus mehr als 25 Ländern an, die aus der evangelischen und katholischen Kirche stammen. Seit im August 1974 Zehntausende zu einem "Konzil der Jugend" zusammenkamen, veranstalten die Taize-Brüder regelmäßig Jugendtreffen in allen Teilen der Welt. Jährlich findet zudem über Silvester in einer europäischen Großstadt ein Taize-Treffen statt, zuletzt in Straßburg, in diesem Jahr in Prag. Geleitet wird die Bruderschaft von dem deutschen Katholiken Frere Alois (60). Er wurde 2005 Nachfolger des von einer psychisch kranken Frau getöteten Gründers Frere Roger (1915-2005). Der gebürtige Schweizer hatte 1944 in Taize die Gemeinschaft gegründet, die sich Aussöhnung zwischen den Konfessionen, eine europäische Verständigung und einen einfachen Lebenswandel zum Ziel setzte. 1949 legten sieben Männer Ordensgelübde ab. Sie versprachen Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam. Die Gemeinschaft, die bald Freunde in unterschiedlichen Kirchen und zahlreichen Ländern Europas hatte, weihte 1962 eine "Kirche der Versöhnung" ein, die seitdem der Mittelpunkt von Taize ist. Die Bruderschaft gründete Niederlassungen in mehreren Ländern und nahm 1969 erstmals katholische Brüder auf. Schwerpunkt der Arbeit ist neben der Ökumene die Solidarität mit den Armen und Rechtlosen in der Welt. (KNA)