Erste Caritas-Gründung in Bayern vor 100 Jahren in Eichstätt

"Flüchtlinge in Ausbildung abzuschieben, ist ein Unding"

Veröffentlicht am 03.09.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Soziales

Eichstätt  ‐ Vor genau 100 Jahren hat sich in Eichstätt der erste bayerische Caritas-Verband gegründet. Diözesandirektor Franz Mattes erklärt, warum ihm trotz des runden Geburtstags nicht nur nach Jubeln ist.

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Ausgerechnet im kleinen Eichstätt wurde vor 100 Jahren der erste Caritasverband in Bayern gegründet. Warum, das erklärt der heutige Diözesandirektor Franz Mattes im Interview. Außerdem spricht der 69-Jährige über die Aufgaben seiner Organisation im Wandel der Zeit, über Auswirkungen des Finanzskandals in seinem Bistum und darüber, was er Menschen sagt, die zu viel jammern.

Frage: Herr Mattes, Ihr Caritasverband hat zum Jubiläum eine eigene Internetseite freigeschaltet. Darauf findet sich eine Rubrik mit witzigen Sprüchen. Braucht, wer im Sozialen arbeitet, mehr Humor als andere?

Mattes: Ohne Humor geht es nicht. Denn natürlich wird man im sozialen Bereich immer wieder mit den Härten des Lebens konfrontiert. Auch deshalb kann man da nicht arbeiten ohne eine Kraft von innen. Humor zählt dazu, aber vor allem Liebe. Unser Jubiläumsjahr haben wir daher unter das Motto "Ohne Liebe ist alles nichts" gestellt.

Franz Mattes im Porträt
Bild: ©Christopher Beschnitt/KNA

Domkapitular Franz Mattes, Leiter der Hauptabteilung Caritas und Soziales im Bischöflichen Ordinariat in Eichstätt.

Frage: War dieser Leitsatz einst auch das Motiv zur Gründung Ihres Caritasverbandes?

Mattes: Letztlich schon. Es ging darum, dem Elend des Ersten Weltkriegs zu begegnen. Besonders auf dem Land mangelte es an medizinischer Versorgung. Die Kindersterblichkeit war hoch, Krankheiten verbreiteten sich rasch. Joseph Seitz, ein Pfarrer aus Wachenzell bei Eichstätt, forderte daher eine flächendeckende Landkrankenpflege. Dazu brauchte es übergeordnete Organisationsstrukturen. Nach dem Vorbild des 1897 gegründeten Deutschen Caritasverbands trieb Seitz den Aufbau einer Diözesangruppe voran. Dass am 3. September 1918 in Eichstätt der erste bayerische Caritasverband entstand, ist diesem Visionär zu verdanken.

Frage: Wie hat sich der Einsatz Ihrer Caritas seither verändert?

Mattes: Inzwischen gibt es ein intaktes Gesundheitswesen. Aber funktionierende Strukturen und Technik sind nicht alles, ein Hilfebedürftiger braucht auch menschliche Zuwendung. Dafür sind wir heute wie vor 100 Jahren da. Inhaltlich spüren wir bei vielen Personengruppen, die wir betreuen, die aktuelle Wohnungsnot. Existenzsicherung wird immer wichtiger oder der Ausbau von Angeboten für Menschen mit psychischen Problemen. Das Thema Zuwanderung ist nur in seinen Ausmaßen neu. Zu den größten Herausforderungen gehört der gesamte Pflegebereich, auch gesamtgesellschaftlich gesehen.

Frage: Finden Sie denn für alle Aufgaben genügend Mitarbeiter? Die Klage über den Fachkräftemangel ist ja allgegenwärtig.

Mattes: In der Pflege können auch wir ein Lied davon singen. Immer wieder einmal sind wir deswegen in einzelnen Heimen zu einem Aufnahmestopp gezwungen. Punktuelle Entlastung bringen uns Flüchtlinge, die in dem Bereich arbeiten. Es wäre wünschenswert, auf Bundesebene zu regeln, dass Pflegekräfte ein besseres Gehalt bekommen und der bürokratische Druck für sie weniger wird. Dann wäre der Beruf auch attraktiver.

Frage: Zum Thema Flüchtlinge: Was sagen Sie zu "Ankerzentren" und forcierten Abschiebungen?

Mattes: Dass unbescholtene Flüchtlinge aus einer Ausbildung heraus abgeschoben werden, ist ein Unding und gegenüber ehrenamtlichen Helfern ein fatales Signal. Dafür habe ich kein Verständnis. Ebenso wenig wie dafür, in "Ankerzentren" zig Menschen auf einem Fleck zu kasernieren. Das ist doch klar, dass solche Verhältnisse ungute Stimmungen und problematisches Verhalten befördern.

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Video: © Diözese Rottenburg-Stuttgart

Ein Caritas-Projekt hilft traumatisierten Geflüchteten zurück ins Leben

Frage: Apropos problematisches Verhalten: Kurz vor der Frühjahrssammlung der Caritas wurde bekannt, dass Ihr Bistum durch fragwürdige Kreditgeschäfte womöglich Geld im zweistelligen Millionenbereich verloren hat. Wie hat sich das auf Ihre Sammlung ausgewirkt?

Mattes: In vier, fünf Gemeinden ist die Sammlung deswegen ausgefallen. Mancherorts haben die Sammler gehört: "Na, von mir kriegst' diesmal nix!" Anderswo haben sie aber auch mehr als üblich erhalten, weil die Geber sich schon gedacht haben, dass es nach dem Finanzskandal schwierig für uns würde. Unterm Strich war die Spendensumme um 15 Prozent niedriger als im Vorjahr.

Frage: Blicken wir in die Zukunft: Stehen bei Ihnen große Projekte an?

Mattes: Solche können wir uns wohl kaum mehr leisten. Früher haben wir vom Bistum immer etwa ein Drittel unserer beantragten Mittel für einzelne Projekte bekommen. Nun erhalten wir nur noch einen gedeckelten Gesamtzuschuss. Das macht Investitionen schwierig.

Frage: Zuschussdeckelung, Spendenrückgang, Aufnahmestopps in Pflegeheimen - trotz Jubiläum ist bei Ihnen also längst nicht alles zum Jubeln.

Mattes: Wir jubeln nicht, feiern aber das Jubiläum. Wir sehen es als Akt der Dankbarkeit für 100 Jahre, in denen unzählige Menschen in Not Hilfe aus christlichem Geist erhalten haben. Man sollte nicht zu viel jammern und lieber auf das schauen, was man hat und kann, und dafür dankbar sein. Natürlich verschließen wir die Augen vor den aktuellen Problemen nicht. Aber wenn wir sie in der Haltung unserer Gründer angehen, ist mir auch für die Zukunft nicht bange.

Von Christopher Beschnitt (KNA)