Mystikerin wird "Doctor ecclesiae"
Bislang gibt es 33 Kirchenlehrer, nur zwei von ihnen sind Frauen. Die eine ist Katharina von Siena (1347-1380), die andere Therese von Lisieux (1873-1897). Erstere wurde 1970 von Paul VI. zur Kirchenlehrerin erhoben, letztere 1997 von Johannes Paul II. Von Sonntag an gibt es nun 35: Zusammen mit Hildegard von Bingen ernennt der Papst Johannes von Avila(1500-1569) zum Kirchenlehrer.
Papst Benedikt XVI. würdigte am Sonntag Hildegard als Frau mit einem "prophetischen Geist" und einer "ausgeprägten Liebe zur Schöpfung". Sie habe eine "leidenschaftliche Fähigkeit" besessen, die "Zeichen der Zeit zu unterscheiden", sagte der Papst in seiner Predigt. Die Heilige habe einen "wertvollen Beitrag zur Entwicklung der Kirche ihrer Zeit geleistet". Sie sei eine Frau von "lebhafter Intelligenz, tiefer Sensibilität" und "anerkannter geistlicher Autorität" gewesen, die immer eine "große und treue Liebe" zu Christus und seiner Kirche bewahrt habe.
Mit einer Feierstunde in der Deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl ist am Samstagabend bereits in Rom der heiligen Hildegard von Bingen gedacht worden. Bei der Begegnung mit Leben und Werk der "prophetissa teutonica" waren zahlreiche Ordensfrauen des Benediktinerinnenklosters St. Hildegard aus Eibingen anwesend, die Antiphone der Hildegard rezitierten und aus ihren Schriften Passagen vortrugen.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, würdigte den geistlichen Einsatz der Ordensfrauen aus Eibingen. Sie seien Sachwalterinnen des Erbes der heiligen Hildegard und würden die Erinnerung an diese Frau besonders lebendig halten. Zollitsch betonte, dass Hildegard von Bingen auch heute noch etwas zu sagen habe. "Sie stärkt mich in meiner Arbeit gerade auf dem Weg, den die Kirche in Deutschland derzeit geht. Mit den Worten der heiligen Hildegard sehe ich mich ermutigt, den eingeschlagenen Weg der Erneuerung der Kirche in Deutschland fortzusetzen", sagte Zollitsch.
Kriterien für eine Kirchenlehrerin
Wie wird man Kirchenlehrer? Zunächst einmal: Unterrichtserfahrung braucht man nicht, weder an einer Schule noch an einer Universität. Im Jahr 1741 legte Papst Benedikt XIV. vier Bedingungen fest, die bis heute für eine Verehrung als "Doctor ecclesiae" erfüllt sein müssen. Die erste ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit für Anwärter auf einen Titel, der das Wort "Kirche" schon im Namen trägt: Die Lehre der Person muss rechtgläubig sein. Sie muss also auf den Grundpfeilern der katholischen Lehre ruhen. Dass heißt nicht, dass ein Kirchenlehrer in der einen oder anderen Frage nicht auch einmal irren könnte. Hinzukommen muss die sogenannte "Heiligkeit des Lebens".
Mystische und spirituelle Erfahrungen berücksichtigt
Mit anderen Worten: Nur Heilige können auch Kirchenlehrer werden. Das, was einen Kirchenlehrer eigentlich ausmacht, ist schließlich die "herausragende Lehre", die "doctrina eminens". Es geht hier nicht nur um wissenschaftliche Meriten. Auch mystische und spirituelle Erfahrungen und Werke werden berücksichtigt. Für eine "herausragende Lehre" gibt es keine messbaren Kriterien. Klar ist aber, dass eine Nachwirkung über Jahrhunderte hinweg vorhanden sein muss.
Ein Kirchenlehrer muss schließlich vom Papst oder der vatikanischen Kongregation für die Heiligsprechungen offiziell ernannt werden. Diese Kurienbehörde ist für das Verfahren zuständig. Notwendig für seine Eröffnung ist ein Antrag, der etwa von Bistümern, aber auch von Privatpersonen gestellt werden kann. Wer im Fall der Hildegard von Bingen der Antragsteller war, ist bislang nicht bekannt. Für die Feststellung einer "herausragenden Lehre" ersucht die Heiligsprechungskongregation die Glaubenskongregation um ein Gutachten. Für dieses müssen die Schriften des Kandidaten sowie die über ihn erschienene wissenschaftliche Literatur gründlich studiert werden. Das letzte Wort hat dann der Papst.
In einem Jahr zur Heiligen und Kirchenlehrerin ernannt
Dass Benedikt XVI. Hildegard von Bingen sehr schätzt, ist schon seit längerem bekannt. Im September 2010 widmete er ihr zwei Ansprachen zu Generalaudienzen. Hildegard, sagte er damals, sei eine "große Frau und 'Prophetin', die mit großer Aktualität auch zu uns heute spricht". Er würdigte ihre "mutige Fähigkeit", die "Zeichen der Zeit" zu erkennen. Und er hob ihre Liebe zur Kirche hervor, "die auch damals durch die Sünden von Priestern und der Laien verwundet" gewesen sei.
Hildegard ist vermutlich die einzige Kirchenlehrerin, die im gleichen Jahr zur Heiligen und zur Kirchenlehrerin erklärt wurde. Allerdings handelte es sich nicht um die übliche Form der Heiligsprechung. Benedikt XVI. bediente sich im Mai einer sogenannten "gleichwertigen Kanonisierung". Weil Hildegard schon seit Jahrhunderte als Heilige verehrt wurde und dies von mehreren Päpsten zumindest regional schon bestätigt worden war, brauchte er ihre Verehrung nur noch offiziell für die Weltkirche zu bestätigen.
Zur Kirchenlehrerin wird Hildegard nun jedoch auf dem regulären Weg ernannt - und sogar vor einem besonders prominenten Publikum: Die Zeremonie fällt mit dem Gottesdienst zur Eröffnung der Bischofssynode über die Neuevangelisierung zusammen, zu der mehr als 250 Bischöfe und Kardinäle aus aller Welt angereist sind.
Von Thomas Jansen