Missbrauch: Versagen eingestehen und Aufarbeitung angehen
Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki spricht von einer "Woche der bitteren Wahrheit". Die deutschen Bischöfe wollen am Dienstag bei ihrer Herbstvollversammlung die Ergebnisse einer bundesweiten Studie zu Missbrauch in der katholischen Kirche vorstellen. In vielen Gesprächen und Nachrichten, die ihn erreichten, sei der Tenor: "Es muss etwas passieren. So kann es nicht weitergehen. Und ich sage: Sie haben Recht! So kann es wirklich nicht weitergehen", erklärte Woelki am Wochenende im bistumseigenen domradio.de.
In dem Bischofswort kündigte der Kölner Erzbischof eine weitergehende und unabhängige Aufklärung des Umgangs mit sexuellem Missbrauch in seinem Bistum an. Weil die von der Bischofskonferenz in Auftrag gegebene bundesweite Studie "aufgrund des Umfangs der Akten nur stichprobenartig" gearbeitet habe, sollten nun unabhängige Fachleute die Akten für das Kölner Erzbistum "ungeschönt und ohne falsche Rücksichten" überprüfen.
„Hier haben wir als Kirche versagt, Verantwortliche wie Täter. Hier haben wir nichts einzufordern. Hier können wir nichts ungeschehen machen. Hier können wir nur selbst um Vergebung bitten und zwar in aller Demut und Bescheidenheit!“
Woelki rechnet dabei mit "sehr schmerzhaften" Ergebnissen. "Die Aufklärung, wie wir in Fällen sexualisierter Gewalt gehandelt haben und welche Fehler gemacht wurden, ist von höchster Bedeutung", so der Kölner Erzbischof. Deshalb müssten Fehlverhalten, Versäumnisse und auch institutionelles Versagen aufgeklärt werden. In dem Bischofswort betont er zugleich, dass die Präventionsarbeit zur Verhinderung künftiger Untaten in den vergangenen Jahren stark ausgebaut worden sei.
Erzbischof Burger: Kirche hat im Missbrauchsskandal versagt
In Freiburg gab Erzbischof Stephan Burger zu: Im Missbrauchsskandal habe die Kirche umfassend versagt. Dies gelte nicht nur für die Täter, sondern auch für Verantwortliche, sagte Burger am Sonntag. Die Kirche stehe gegenüber den Betroffenen in einer Schuld, die sie nicht leugnen oder abschütteln könne. Sie lasse sich nur aufarbeiten, "wenn die Betroffenen, die durch diese Taten verletzt, gedemütigt und zerbrochen wurden, dies auch wollen". Die Kirche könne dabei nur "in aller Demut und Bescheidenheit selbst um Vergebung bitten", so der Freiburger Erzbischof.
Weiter unterstrich Burger, vor dem Hintergrund des Missbrauchs müssten die Worte Jesu wie Hohn klingen: "Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt nicht nur mich auf, sondern den, der mich gesandt hat." Mitbrüder hätten diesen Satz Jesu "pervertiert" und damit dessen Botschaft in den Herzen vieler "verdunkelt, ja ruiniert". Angesichts solcher Verbrechen sei die Frage, was die Kirche noch mit der Botschaft Jesu zu tun habe, ebenso verständlich wie Fassungslosigkeit, Resignation, Wut und Enttäuschung. Die Kirche, so der Erzbischof, bestehe aber nicht nur aus dieser dunklen Seite. Es gebe immer noch Menschen, die das leben und umsetzen wollten, was wirklich der Botschaft Jesu entspreche. Er verwies vor allem auf die Caritas.
Erzbischof Schick: Bei Aufarbeitung kein Thema ausschließen
Nach den Worten des Bamberger Erzbischofs Ludwig Schick muss die Kirche alles zur Verhinderung jeden Missbrauchs tun. Kein Thema solle von vornherein ausgeschlossen werden, sondern alles müsse wissenschaftlich untersucht werden, sagte Schick am Wochenende in Bamberg. Transparenz, Aufklärung und Prävention seien überall zu fördern, so der Erzbischof bei der Weihe von drei Priesteramtskandidaten zu Diakonen. Alle, die Missbrauch begangen hätten, müssten die Opfer um Vergebung bitten und Wiedergutmachung leisten.
Einige von denen, die bei der Weihe ein heiliges Leben gelobt hätten, hätten schwer dagegen gefehlt: "Jeder, der das tut, ist einer zu viel." Alle Gläubigen hätten daran mitzuwirken, dass die Schuldigen benannt und bestraft würden. Das schulde die Kirche zuerst den Opfern, aber auch den treuen Priestern und guten Seelsorgern, die nicht unter Generalverdacht gestellt werden dürften. "Mindestens 95 Prozent der Priester in Deutschland haben sich nichts zuschulden kommen lassen", so Schick mit Verweis auf die Missbrauchsstudie.
Bischof Ipolt kündigt Fasttag an
Auch der Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt hat sich in einer Stellungnahme, die am Sonntag in allen Gottesdiensten des Bistums verlesen wurde, zu den Ergebnissen der Studie geäußert. "Was wir durch die Studie erfahren, ist beschämend für unsere Kirche und darf weder entschuldigt noch beschönigt werden", schrieb Ipolt. Er bat die Opfer um Vergebung für das, was ihnen durch Mitarbeiter der Kirche widerfahren sei. Zugleich kündigte er an, am 5. Oktober eine Messe für die Heilung aller von Missbrauch Betroffenen, aber auch für die Täter zu feiern und durch einen Tag des Fastens seine Solidarität mit den Opfern ausdrücken zu wollen. "Dies soll ein Zeichen der Sühne für die Sünden der Mitarbeiter der Kirche sein", so der Bischof.
Ipolt kündigte weiter an, Fälle von sexuellem Missbrauch künftig konsequent entsprechend den staatlichen und kirchlichen Gesetzen zu ahnden. "In bin sehr dankbar, dass wir inzwischen im Bereich der Prävention von sexuellem Missbrauch in unserem Bistum viel unternommen haben und weiterhin unternehmen", schreibt er.
Rörig: Bei Umgang mit kirchlichem Missbrauch auch Staat gefragt
Vor der Veröffentlichung der Studie äußerte sich auch der Unabhängige Bundesbeauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs: In die Aufarbeitung kirchlicher Missbrauchsfälle muss sich der Staat nach Ansicht von Johannes-Wilhelm Rörig stärker einschalten. "Gerade weil Staat und Kirche Partner sind, ist hier auch der Staat gefragt", sagte Rörig der "Süddeutschen Zeitung" vom Montag. Er trage Verantwortung auch für die Kinder, "die sich in Obhut der Kirche befinden". Dazu forderte der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung entsprechende Verträge zwischen Bund, Ländern und Kirchen. Sie sollten ein Recht auf Akteneinsicht für Betroffene regeln, Ermittlungs- und Zugangsbefugnisse sowie Ansprüche auf Entschädigung.
Themenseite: Missbrauch
2010 wurde erstmals eine größere Zahl von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche in Deutschland bekannt. Seitdem bemüht sich die Kirche um eine Aufarbeitung der Geschehnisse. Bei ihrer Vollversammlung veröffentlichen die deutschen Bischöfe am 25. September 2018 eine Studie, die die Missbrauchsfälle im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz zwischen 1946 und 2014 dokumentiert.Dem Staat könne "nicht an einer Kirche gelegen sein, die jede Glaubwürdigkeit verliert", so Rörig. Viele Kirchenvertreter spürten, dass es so nicht weitergehe, sagte Rörig. "Es braucht einen weiteren, mutigen Schritt, um den Vertrauensverlust zu stoppen, um diese Schuld aufzuarbeiten." Da sei "auch der Staat gefragt, nach Wegen zu suchen, wie hier Gerechtigkeit hergestellt werden kann".
Frauenverband: Reformen sind unvermeidlich
Auch die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) betonte mit Blick auf die Studie, tiefgreifende Reformen seien unvermeidlich. Es müsse endlich deutlich werden, dass die katholische Kirche veränderungswillig sei, sagte die Bundesvorsitzende Mechthild Heil. Zentrale Schritte seien eine strukturelle Erneuerung, die deutlich mehr Frauen den Zugang zu Leitungsfunktionen ermögliche, und die Frage nach Diensten und Ämtern von Frauen in der Kirche. "Es ist längst fünf vor zwölf", so Heil.
Es gehe um einen glaubwürdigen Umgang mit der Schuld, da noch immer die vornehmlich männlichen Strukturen in der katholischen Kirche die Vertuschung von Übergriffen und Gewalt ermöglichten – auch gegen Frauen. Nicht zuletzt müsse die Bischofskonferenz vor dem Hintergrund der Missbrauchsfälle endlich Selbstkritik entwickeln und den konstruktiven Austausch zu Themen wie die Aus- und Weiterbildung von Priestern, Ämter für Frauen in der Kirche und eine zeitgemäße Sexualethik verstärken, so die Bundesvorsitzende der kfd. (mit Material von KNA)