Warum Whisky ursprünglich ein Heilmittel war
Die Zeitung "Daily Mail" berichtete neulich über den 112. Geburtstag der ältesten Britin. Grace Jones, Jahrgang 1906, ist schlanke 20 Jahre älter als Königin Elizabeth II., überlebte zwei Weltkriege, erlebte bislang 26 Premierminister, 5 Könige und 10 Päpste. Ihr Lebenselixier: Whisky. Sie vergesse niemals, vor dem Schlafengehen ein Glas zu trinken, verriet sie – und das seit über 60 Jahren: "Und ich habe nicht vor, diese Angewohnheit aufzugeben."
"Wasser des Lebens", Eau de Vie. Genau das ist überraschenderweise die Bedeutung der Bezeichnung "Whisky". Am 1. Juni 1494 verzeichnete ein Steuerbeamter des Königs im schottischen Dumfermline, dass der Benediktinermönch John Cor aus der rund 50 Kilometer entfernten Abtei Lindores in der Grafschaft Fife auf dem Getreidemarkt acht Bollen (rund 500 Kilo) Malz zur Herstellung von "Aquavite" gekauft habe – im Auftrag von König James IV.
Eine halbe Tonne Malz kaufte Mönch John
Dieser Eintrag in den sogenannten Exchequer Rolls, den Akten der königlich-schottischen Steuerbehörde, ist der älteste bekannte Nachweis der Herstellung von Whisky. Schon die pure Menge von einer halbe Tonne Malz kann beeindrucken – denn damit ließen sich nicht weniger als bis zu 300 Liter Whisky herstellen. Whisky? Oder Aquavit – oder Eau de Vie? Um das zu verstehen, müssen wir noch einige Jahrhunderte in die Geschichte zurückgehen, wie der Priester und Autor Wolfgang F. Rothe in seinen Büchern "Wasser des Lebens" und "Whisky-Wallfahrten" erläutert.
Hintergrund: Der Autor der Whisky-Wallfahrten
Wolfgang Rothe, geboren 1967 in Marburg, ist katholischer Priester und Kirchenrechtler. Aufgrund seiner Veranstaltungen und Publikationen zum Thema "Spiritualität des Whiskys" ist er auch als "Whisky-Vikar" bekannt. In Rom promovierte er 2002 im Kirchenrecht; Doktorvater war der heutige Papstsekretär Georg Gänswein. Nach einer Leitungsfunktion am Priesterseminar von Sankt Pölten arbeitet Rothe seit 2008 unter anderem als Seniorenseelsorger im Münchner Pfarrverband Perlach. In diesem Jahr erschien sein Buch "Whisky-Wallfahrten. Ein spiritueller Reiseführer durch Schottland" (EOS-Verlag, Sankt Ottilien, 19,95 Euro, ISBN 978-3830678755), bereits 2016 schrieb er "Wasser des Lebens - Einführung in die Spiritualität des Whiskys" (EOS-Verlag, Sankt Ottilien, 19,95 Euro, ISBN 978-3830677666).Vom 5. Jahrhundert an wurden Irland und Schottland von Wandermissionaren christianisiert. Sie brachten den Kelten viel Wissen und technisches Gerät aus dem römischen Kulturkreis mit, die in den Klöstern über die Jahrhunderte gepflegt und auch verfeinert wurden. Dazu gehörte auch die Destillation alkoholischer Flüssigkeiten. Auf dem Festland machte man das in der Regel mit Wein – den man aufwendig und teuer hätte auf die Insel importieren müssen. Also entwickelten die iro-schottischen Mönche stattdessen die billigere, aber ebenso geeignete Destillation aus vergorener Getreidemaische.
Zunächst dienten ihre Spirituosen wohl ausschließlich als Basis zum Aufsetzen medizinischer Tinkturen, zur Haltbarmachung verderblicher Heil- und Wirkstoffe wie Kräuter, Beeren und Wurzeln, zur Schmerzlinderung und Desinfektion. Mutmaßlich schmeckte da noch nichts nach jenem Whisky, für den heute eine wachsende Fan-Gemeinde Kurse und Degustationen besucht und sich damit ganze Aroma- und Geschmackslandschaften erschließt. Eher erinnerten die Tränke wohl an Kräuterbrände oder Liköre.
Von "aqua vitae" zu "Whisky"
Dennoch: Bis heute trinken viele Schotten bei drohender Grippe oder anderen Krankheiten erst mal einen ordentlichen Whisky, ehe sie tatsächlich zum Arzt gehen. Die klösterlichen Techniken verfeinerten, die Apparate vergrößerten sich. Und so ist weder verwunderlich, dass die Tränke den Menschen Ende des 15. Jahrhunderts "nicht nur gut taten, sondern auch gut schmeckten", wie Rothe schreibt; noch dass der Mönch John Cor an jenem 1. Juni 1494 eine solche Menge Malz brauchte. Es darf angenommen werden, dass die während der Reformation aus den Klöstern vertriebenen Mönche ihre Kunst nun auch in den weltlichen Bereich hineintrugen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Fortan brannten die Clans zum Eigenbedarf. Jedenfalls nahm die Zahl privater Whisky-Destillerien im 16. und 17. Jahrhundert derart zu, dass die genussfeindliche protestantische Strömung im schottischen Parlament 1644 beschloss, die Herstellung von Getreidebrand künftig zu besteuern. Damit begannen zwei Jahrhunderte der Schwarzbrennerei und des Schmuggels.
Fehlt noch der Link zwischen dem "aqua vitae" und dem "Whisky". Der heute gebräuchliche Begriff taucht erstmals im 18. Jahrhundert auf und geht auf das schottisch-gälische "usge beatha" zurück. Zwischenstufen waren "uschkiba", und "uiskie" - bis 1763 erstmals der "whisky" urkundlich überliefert ist. Und "usge beatha" bedeutet - nichts anderes als "aqua vitae": Wasser des Lebens.
Wohnt dem famosen Getreidebrand, der der Britin Grace Jones zumindest nach eigener Wahrnehmung zu ihrem 112. Geburtstag verholfen hat, auch bis heute noch etwas von jener christlich-mönchischen Spiritualität des Mittelalters inne? Vielleicht bietet der eine oder andere stürmische Herbstabend Gelegenheit, dem nachzuspüren.