"Die Minderheitssituation ist für viele eine positive Provokation"
Rund eine Million Katholiken verteilt auf 900.000 Quadratkilometer: Das sind die Rahmenbedingungen, unter denen Bischof Paul Hinder (76) arbeitet. Seit 2003 ist der Schweizer Kapuziner auf der Arabischen Halbinsel tätig und versucht, das kirchliche Leben dort zu fördern – soweit das in einer durch und durch islamisch geprägten Umgebung möglich ist. So oft es geht, lässt sich Hinder bei den Gläubigen blicken, sei es in den Gemeinden oder bei größeren Treffen wie der Katholischen Jugendkonferenz Arabiens, die kürzlich stattfand.
Frage: Bischof Hinder, wie war die Begegnung mit den jungen Leuten auf der Jugendkonferenz?
Hinder: Das war eine sehr lebendige Angelegenheit mit sehr begeisterungsfähigen Jugendlichen. Etwa 1.500 junge Menschen aus verschiedenen Ländern der Arabischen Halbinsel haben teilgenommen. Ich war erstaunt von der Fröhlichkeit, die sie ausgestrahlt haben. Die beiden Tage standen unter dem Wort des Engels an Maria: "Fürchte dich nicht – du hast Gnade gefunden bei Gott." Einer der Zwecke des Treffens war, die jungen Menschen, die einer für Christen fremden Umwelt ausgesetzt sind, im Glauben zu bestärken und die Solidarität unter ihnen zu fördern. Sie sollten spüren, dass sie nicht allein sind, sondern gemeinsam Zeugen für den Herrn.
Frage: Zeitgleich zu der Konferenz ist in Rom die Jugendsynode zu Ende gegangen. Was bewegt junge Katholiken auf der Arabischen Halbinsel?
Hinder: Da spielen zunächst die täglichen Sorgen eine große Rolle. Für die einen steht, je nach Altersstufe, die Karriere im Vordergrund: zum Beispiel, wie es mit dem Studium weitergeht oder welche Universität sie besuchen sollen. Für die anderen ist eines der dringendsten Probleme die Arbeit: Kriegen wir einen Job? Können wir ihn behalten? Auf der arabischen Halbinsel ist die Fluktuation der Arbeitskräfte nämlich sehr stark.
Frage: Und abgesehen von den Problemen auf der alltäglichen Ebene?
Hinder: Der Missbrauchsskandal in der Weltkirche beschäftigt unsere jungen Leute genauso wie die Katholiken anderswo, auch wenn bei uns bislang keine Fälle öffentlich geworden sind. Aber sie lesen natürlich in den sozialen Netzwerken, was da vor sich geht. Wir haben auf der Jugendkonferenz eine Frage-Antwort-Sitzung veranstaltet, bei der dieses Thema zur Sprache gekommen ist. Da sind die Zweifel im Hintergrund schon spürbar. Was mich anbelangt: Ich versuche, ganz offen Rede und Antwort zu stehen in dieser Situation und darauf hinzuweisen, worum es in der Kirche eigentlich geht. Aber zugegeben: Solche Skandale trüben das Bild massiv.
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Frage: Die Vereinigten Arabischen Emirate, der Oman und der Jemen – die Staaten, die zu Ihrem Apostolischen Vikariat gehören – sind nicht gerade Länder, in denen man katholische Christen vermutet. Wo kommen diese Leute her?
Hinder: Das sind alles Migranten, die sich für eine bestimmte Zeit hier niedergelassen haben. Meistens gehen sie irgendwann wieder in ihr Heimatland zurück oder ziehen weiter. Aber es gibt auch solche, die jetzt schon in der zweiten Generation hier sind. Die Leute kommen vorwiegend aus dem asiatischen Raum, beispielsweise aus Indien oder von den Philippinen. Einige stammen aus dem Nahen Osten, etwa Arabisch sprechende Christen aus Syrien, dem Libanon oder Jordanien. Wir haben auch eine zunehmende Anzahl von Afrikanern sowie Nord- und Südamerikanern hier. Größtenteils sind das Leute aus der mittleren und niedrigen sozialen Schicht: Arbeiter oder Hausangestellte.
Frage: Gibt es unter den Katholiken auch größere soziale Unterschiede?
Hinder: Verglichen mit anderen Ländern ist es meines Erachtens relativ ausgeglichen. Aber man sieht den Leuten ihre Armut meistens nicht an. In den Vereinigten Arabischen Emiraten gibt es kein sichtbares Elend. Wir haben aber manchmal mit Leuten zu tun, die große finanzielle Probleme haben. Im Rahmen unserer Möglichkeiten versuchen wir dann, ihnen zu helfen. Manchmal besteht die Hilfe schlicht darin, den Menschen zu sagen, dass es das Beste für sie ist, in ihr Heimatland zurückzukehren. Das ist immer noch besser, als hierzubleiben, sich ständig weiter zu verschulden und eventuell sogar im Gefängnis zu landen.
Frage: Das Territorium, für das Sie verantwortlich sind, ist enorm groß. Abgesehen von solchen Treffen wie der Jugendkonferenz – wie zeigen Sie Präsenz unter den Gläubigen?
Hinder: Ich besuche die Gemeinden sehr oft. Neben dem jährlichen Pastoralbesuch, bei dem ich mindestens drei bis vier Tage in den Pfarreien bin – in großen Pfarreien mindestens eine Woche –, lasse ich mich zwischendurch bei besonderen Anlässen blicken. Die Firmungsgottesdienste halte ich auch selber. Dazu stehe ich natürlich ständig in Kontakt mit den katholischen Gruppen. Gerade in der Minderheitssituation ist es für die Gläubigen vor Ort essenziell, dass der Bischof für sie da ist, ihnen zuhört und keine Berührungsängste hat.
Frage: Wie sieht in dieser absoluten Diaspora-Situation das Gemeindeleben aus?
Hinder: Wir haben Pfarreizentren. In den Vereinigten Arabischen Emiraten haben wir im Moment acht Pfarreien, die neunte wird gerade in der westlichen Region von Abu Dhabi errichtet. Das sind zum Teil Großpfarreien, die Kathedralpfarrei von Abu Dhabi ist eine Riesengemeinde. Noch größer ist St. Mary's in Dubai: Zu ihr gehören 300.000 Katholiken. Es ist natürlich eine große Herausforderung, die Gottesdienste dort zu organisieren. Zusätzlich erteilen dort hunderte Ehrenamtliche rund 10.000 Kindern jede Woche die Katechese. Die Freiwilligen vollbringen wirklich logistische Glanzleistungen. Wir unterstützen sie dabei so gut wir können.
Frage: Wie leben diese Menschen ihren Glauben – gerade im Vergleich zu traditionell christlich geprägten Staaten?
Hinder: Dieses Ausgesetzt-Sein in einer anderen Kultur – mit einer anderen Mehrheitsreligion – hat sicherlich eine stimulierende Wirkung. Hilfspriester aus Indien oder von den Philippinen haben mir gesagt, dass ihre Landsleute hier ihren Glauben viel intensiver leben als in ihren Heimatländern. Die Minderheitssituation ist für viele eine positive Provokation, die sie dazu führt, ihren Glauben zu vertiefen. Die Leute sind auch motiviert, mitzuarbeiten. Unsere Kirchen sind normalerweise voll, manchmal sogar übervoll. Wenn man die Begeisterung der Leute sieht, ist es eine Freude, mit ihnen Gottesdienst zu feiern. Auch im Gespräch mit den Menschen spürt man deren Bemühen, in einer Beziehung mit Christus zu leben.
Frage: Die Staaten im Mittleren Osten gelten nicht gerade als Vorreiter in Sachen Religionsfreiheit. Wie gefährlich ist es, dort Christ zu sein?
Hinder: Das kommt auf das Land an. In den Vereinigten Arabischen Emiraten ist es überhaupt kein Problem. Da darf ich mich als Christ frei bewegen und äußern, nur darf ich nicht unter den Muslimen missionieren. Das ist strengstens verboten. Die religiösen Zeichen, soweit sie nicht provokativ anderen aufgedrängt werden, dürfen gezeigt werden. Viele Christen haben in ihrem Wagen am Rückspiegel den Rosenkranz hängen. Ich kann auch problemlos mit meinem Habit auf die Straße gehen. Das ist in anderen Ländern des Mittleren Ostens anders, meinetwegen in Saudi-Arabien.
Frage: Haben die Gläubigen Angst vor islamistischen Anschlägen?
Hinder: Hier in den Vereinigten Arabischen Emiraten sind wir vorläufig in der glücklichen Situation, dass die Sicherheitslage sehr gut ist. Ich fühle mich hier so sicher wie in der Schweiz, vielleicht sogar sicherer. Aber das heißt nicht, dass es in anderen Ländern genauso ist.
Frage: Für die USA und Europa sind die arabischen Staaten wichtige Wirtschafts- und Handelspartner. Diese werden allerdings größtenteils autokratisch regiert – was den westlichen Werten eigentlich widerspricht. Wie soll die westliche Welt mit den arabischen Staaten umgehen?
Hinder: Ich kann dazu keinen Rat geben. Ich bin nur manchmal etwas überrascht, wie schnell diese Staaten einknicken, wenn es um das Abwägen zwischen Wirtschaftsinteressen und grundsätzlichen Werten geht. Da frage ich mich schon, ob da nicht ein bisschen mehr Mut und Widerstandskraft angebracht wäre.
Frage: Der Jemen ist seit Jahren Kriegsschauplatz. Eine Koalition aus mehreren arabischen Staaten kämpft dort gegen die Huthi-Rebellen. An dem Militärbündnis sind auch die Vereinigten Arabischen Emirate beteiligt. Wie groß ist Ihre Hoffnung auf baldigen Waffenstillstand?
Hinder: Ich rechne nicht damit, dass der Krieg zu einem raschen Ende kommt, weil die Fronten verhärtet sind und keine Seite es sich leisten kann oder will, das Gesicht zu verlieren. Falls ein Kompromiss ausgearbeitet werden kann, bei dem jede Seite sich als Sieger fühlen kann, könnte es zu einem baldigen Waffenstillstand und später zum endgültigen Friedensschluss kommen. Die Leute im Jemen brauchen den Frieden, damit das zerstörte Land langsam wieder aufgebaut werden kann.
Frage: Vergangenes Jahr sind Sie 75 Jahre alt geworden. Damit haben Sie die Altersgrenze für Bischöfe erreicht. Wie lange bleiben Sie noch im Mittleren Osten?
Hinder: Ich habe zu meinem 75. Geburtstag mein Rücktrittsgesuch in Rom eingereicht. Ich weiß aber noch nicht, wie es weitergeht. Ich bin mir sicher, dass schon nach einem Nachfolger gesucht wird. Aber das braucht wohl noch etwas Zeit. Offensichtlich ist der Vatikan der Meinung, dass da keine allzu große Eile besteht. Aber wenn es soweit ist, werde ich in die Schweiz zurückkehren und in meiner Kapuzinerprovinz leben.