Scharfe Angriffe aus den eigenen Reihen vor EKD-Synode

Missbrauch: Frauen kritisieren Spitze der evangelischen Kirche

Veröffentlicht am 10.11.2018 um 11:53 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Ist die evangelische Kirche weniger anfällig für Missbrauch als die katholische? Dieser Auffassung widersprechen prominente Protestantinnen jetzt energisch. Dabei gibt es auch deutliche Kritik an der derzeitigen EKD-Führung.

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Die Vorsitzende der "Evangelischen Frauen in Deutschland" (EFiD), Susanne Kahl-Passoth, wirft der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) schwere Versäumnisse im Umgang mit dem Problem sexuellen Missbrauchs vor. "Wir tun in der EKD so, als ob Missbrauch bei uns nicht so vorgekommen wäre. Eine Auseinandersetzung mit Ursachen und begünstigenden Strukturen fehlt völlig", sagte Kahl-Passoth dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Samstag) vor der am Sonntag beginnenden EKD-Synode in Würzburg.

Einen Vergleich mit der katholischen Kirche und den Hinweis auf deren höhere Fallzahlen nannte die pensionierte Kirchenrätin und Ex-Chefin der Berliner Diakonie "zynisch" mit Blick auf die Betroffenen. "Es gibt immer noch Leute, den EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm eingeschlossen, die mit dem Thema Missbrauch am liebsten nichts zu tun hätten und sich nicht ein bisschen in die Situation der Opfer einfühlen." Deren Forderungen würden als unangenehm, lästig oder sogar unbillig abgetan - nach dem Motto, "was denken die sich eigentlich, und was wollen die von uns?"

Nach Einschätzung der früheren Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD) ist die evangelische Kirche anfällig für Missbrauch an Kindern und Jugendlichen. In einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) betonte sie, dass es auch in der evangelischen Kirche Vertuschungen gegeben habe.

Die ehemalige Familienministerin Christine Bergmann
Bild: ©Harald Oppitz/KNA

Christine Bergmann (SPD) war von 1998 bis 2002 Bundesfamilienministerin. Von 2010 bis 2011 war sie Unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung. Seit 2016 ist sie Mitglied der "Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs", die 2015 vom Deutschen Bundestag einberufen wurde.

Die Protestantin widerspricht damit dem ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, der die evangelische Kirche in einer grundsätzlich anderen Situation als die katholische sieht. Huber hatte in einem Interview erklärt, dass die evangelische Kirche weniger anfällig für Missbrauch sei als die katholische. Als Grund dafür hatte er unter anderem genannt, dass die evangelische Kirche den Zölibat nicht habe. Die Synode der evangelischen Kirche will sich am Dienstag in Würzburg mit dem Thema befassen.

Opfern nicht geglaubt, vertuscht, Täter versetzt

Bergmann, die die erste Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung war und derzeit in der Kommission für die Aufarbeitung von Kindesmissbrauch sitzt, betonte, auch im evangelischen Umfeld sei der Pfarrer vielerorts eine unangreifbare Autoritätsperson gewesen und sei es teilweise immer noch. Auch die Reaktionen der Menschen im Umfeld nach einem Missbrauch sei ähnlich gewesen wie in der katholischen Kirche. Den Betroffenen sei nicht geglaubt worden, auch in der evangelischen Kirche seien Taten vertuscht und Pfarrer versetzt worden.

Solange es keine umfassenden Untersuchungen gebe, sollte die evangelische Kirche sehr zurückhaltend sein, so die frühere Bundesfamilienministerin. Als erste Schritte forderte sie in den Interviews einen hochrangigen EKD-Missbrauchsbeauftragten, wie ihn die katholische Kirche mit dem Trierer Bischof Stephan Ackermann schon seit 2010 hat, eine zentrale Anlaufstelle für Betroffene und deren Beteiligung an allen Prozessen der Aufarbeitung. Zudem plädierte sie für eine Aufarbeitung durch eine wissenschaftliche Studie. Diese könne Angaben über den Umfang von Missbrauch in der evangelischen Kirche geben sowie Hinweise auf Strukturen, die Missbrauch begünstigen. Die Deutsche Bischofskonferenz hatte im September eine solche Studie vorgelegt.

Die EKD-Synode tagt vom 11. bis 14. November in Würzburg. EFiD ist ein Dachverband mit 39 Mitgliedsorganisationen und rund drei Millionen Mitgliedern. Der Verein sieht sich als Stimme evangelischer Frauen in Kirche und Gesellschaft. (tmg/KNA/dpa)