Im Zwergstaat ist ein Bischof Staatsoberhaupt

Abtreibungslegalisierung: Papst droht Andorra mit Abzug des Kofürsten

Veröffentlicht am 12.11.2018 um 12:08 Uhr – Lesedauer: 

Urgell/Vatikanstadt/Andorra la Vella ‐ Ein Bischof als Staatsoberhaupt: Das gibt es nur im Vatikan – und mitten in den Pyrenäen in Andorra. Doch dem kleinen Staat droht eine Verfassungskrise: Der Papst droht mit dem Rückzug des Bischofs, wenn sich Feministen im Streit um Abtreibung durchsetzen.

  • Teilen:

Der bischöfliche Kofürst von Andorra wird als Staatsoberhaupt des Pyrenäenstaates zurücktreten, wenn dort umfänglich Abtreibung legalisiert wird. Nach einem Bericht des französischen Radiosenders "France bleu" habe dies Papst Franziskus persönlich dem andorranischen Ministerpräsidenten Antoni Martí in einem Telefongespräch angekündigt. Die Kirche könne eine Liberalisierung der Abtreibungsgesetzgebung nicht mittragen, ein weiteres Wirken des Bischofs von Urgell als Kofürst sei dann nicht mehr möglich.

In Andorra ist Abtreibung bisher nur legal, wenn das Leben der schwangeren Frau durch die Schwangerschaft bedroht ist. Derzeit wird in dem Kleinstaat eine Reform der Abtreibungsgesetzgebung diskutiert. Mit dem Slogan "Kein Kofürst entscheidet über uns" machen sich feministische Gruppen für eine Freigabe der Abtreibung stark.

Laut "France bleu" hoffen andorranische Politiker auf eine Vermittlung durch den zweiten Kofürsten, den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Bereits in den 1990er Jahren hatte es einen Konflikt um die Freigabe der Ehescheidung gegeben. Damals enthielt sich der bischöfliche Kofürst der Stimme, das entsprechende Gesetz wurde vom französischen Präsidenten allein unterzeichnet. Im Fall der Abtreibung könne ein solcher Kompromiss von der Kirche aber nicht eingegangen werden: Abtreibung sei ein "Gift für das Fürstentum", zitiert "France bleu" den Bischof von Urgell.

Einmaliger völkerrechtlicher Status seit 1278

Seit 1278 stehen dem Zwergstaat zwischen Frankreich und Spanien zwei Kofürsten als Staatsoberhäupter vor. Mit diesem Kompromiss wurde ein Gebietsstreit zwischen dem Bischof von Urgell und dem Grafen von Foix gelöst. Das gesamte Staatsgebiet von Andorra gehört kirchenrechtlich zum Bistum Urgell, das seinen Sitz in Spanien hat. Heute werden die Ämter vom Bischof von Urgell, derzeit Joan Enric Vives i Sicília, und dem französischen Präsidenten als Rechtsnachfolger des Grafen von Foix wahrgenommen. Der Bischof von Urgell ist damit neben Papst Franziskus der einzige Bischof, der zugleich Staatsoberhaupt ist.

Diese besondere Konstellation gilt als ein Grund dafür, warum das 468 Quadratkilometer umfassende Andorra mit seinen gut 80.000 Einwohnern bis heute seine Eigenstaatlichkeit bewahren konnte und weder in Spanien noch in Frankreich aufgegangen ist. Inwiefern eine Abdankung des bischöflichen Kofürsten den völkerrechtlichen Status Andorras bedrohen würde, ist unklar.

Seit 1993 ist Andorra eine parlamentarische Monarchie, Gesetze bedürfen aber weiterhin der Unterschrift der Kofürsten. Seit 2011 wird der Kleinstaat von einer Alleinregierung der Mitte-Rechts-Partei "Demokraten für Andorra" unter dem Ministerpräsidenten Martí regiert. 90 Prozent der Andorraner sind Katholiken, die katholische Kirche ist trotz des bischöflichen Kofürsten allerdings gemäß der Verfassung keine Staatskirche. (fxn)