Quo vadis, Ökumene?

Veröffentlicht am 30.10.2012 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Ein katholischer und ein evangelischer Geistlicher sitzen nebeneinander.
Bild: © KNA
Ökumene

Paderborn ‐ Wie kaum andere religiöse Bewegungen und Ereignisse haben der 1948 gegründete Ökumenische Rat der Kirchen, das Zweite Vatikanische Konzil und der seit dem geführte ökumenische Dialog das Leben der Kirchen nachhaltig bestimmt. Das zwanzigste Jahrhundert ist in der Tat ein Jahrhundert der Ökumene.

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Viel wurde erreicht: die untereinander gepflegten Kontakte, Gespräche und theologischen Dialoge, das Gebet für die Einheit der Christen, der gemeinsame Einsatz für die elementaren Fragen der Menschen und ihres Zusammenlebens in der Welt, die Charta Oecumenica für Europa, die gegenseitige Anerkennung der Taufe, die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre zwischen Lutherischem Weltbund und römisch-katholischer Kirche.

Hoffnung auf Einheit ist keine Illusion

Der ökumenische Dialog hat zu einer überwältigenden Fülle von Dokumenten wachsender Übereinstimmung geführt. Der Eindruck, dass die Spaltung der Christenheit nicht bis in die Wurzel des gemeinsamen christlichen Erbes gedrungen ist, scheint sich auch theologisch bestätigt zu haben. Die christlichen Kirchen und Gemeinschaften sind auf dem Weg zu einer sichtbaren Einheit im Glauben. Wenn auch niemand den Zeitpunkt kennt, an dem Christen weltweit wieder gemeinsam das Abendmahl und die Eucharistie miteinander teilen, die Hoffnung auf Wiederherstellung der sichtbaren Einheit unter den Christen hat sich offenbar nicht als illusionär erwiesen.

Zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts drängt sich jedoch eine ganz andere Einsicht auf. Die von Dialogkommissionen erstellten Konsensdokumente werden von den Kirchen nicht rezipiert. Die Ergebnisse dieser Dialoge werden von vielen als Kompromissformeln eingeschätzt. Überkommene konfessionelle Positionen prägen weiterhin das eigene Selbstverständnis. Die Kirchen können sich noch immer nicht gegenseitig anerkennen.

Diese Situation wird von vielen als widersprüchlich empfunden. Geopolitisch haben sich die Gewichte inzwischen verschoben; der interreligiöse Dialog, der mit den Muslimen vor allem, ist für viele Menschen lebensnotwendig und dringlicher geworden. Die Öko-Krise, die europäische Finanzkrise, die militärischen Konflikte im Nahen Osten lassen den Weltfrieden in weite Ferne rücken. Der ökumenische Impuls hat sich offenbar erschöpft. Die Frage nach der Einheit der Christen hat zu Beginn des 21. Jahrhunderts ganz an Brisanz verloren.

Gemeinsamkeiten bei Taufe und Eucharistie

Halten wir die Fakten nüchtern fest: Christen bekennen sich gemeinsam zu dem lebendigen Gott in Jesus Christus. Sie haben eine gemeinsame theologische Sprache wiedergefunden. Sie können ihren Glauben in gemeinsamen theologischen Überzeugungen ausdrücken. In vielen Fragen ist eine grundlegende Übereinstimmung erzielt worden, in Fragen des Glaubens, im Verständnis des Menschen, in der Praxis des Miteinanders.

„Christen haben eine Kultur des Miteinanders entwickelt, die sich sehen lassen kann.“

—  Zitat: Wolfgang Thönissen
Wolfgang Thönissen, Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik, Theologe, Ökumeniker
Bild: ©KNA

Wolfgang Thönissen, leitender Direktor des Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik in Paderborn.

Im Einzelnen lassen sich folgende Ergebnisse festhalten: In der zentralen Frage der Reformation, der Lehre von der Rechtfertigung, konnte ein Konsens in Grundwahrheiten erzielt werden. Allein aus Gnade (sola gratia) im Glauben an die Heilstat Jesu Christi (sola fide, solus Christus), nicht aufgrund seines Verdienstes, erlangt der Mensch das Heil in Christus. Bezüglich der Taufe hat eine Reihe von Kirchen in Deutschland untereinander eine Erklärung zur gegenseitigen Anerkennung unterzeichnet. Darin kommt zum Ausdruck, die Taufe ist als Sakrament ein gemeinsames Band in Christus und führt die Christen auch untereinander zusammen.

Bezüglich der Eucharistie konnten die alten theologischen Widersprüche und Differenzen, in der Frage der wirklichen und wesenhaften Gegenwart Jesu Christi in, mit und unter den Zeichen von Brot und Wein, in der Frage, ob die Eucharistie ein Opfer der Kirche ist, überwunden werden.

Die Christenheit braucht ein Amt der Einheit

Auch in der Amtsfrage ist die Kontroverse zwischen dem Priestertum aller Gläubigen und dem besonderen Priestertum des Dienstes überholt. Darüber hinaus lernt die Christenheit, dass sie ein Amt der Einheit braucht, das sie ständig an ihren Ursprung in Christus mahnt. Ob dieses Amt vom Bischof von Rom ausgeübt werden muss oder kann, ist zwar strittig, erscheint aber nicht als unmöglich. Die Überzeugung wächst, dass die Kirche Jesu Christi nur in dem Ineinander von Wort Gottes, Zeugnis des Glaubens und Institution des von Christus eingesetzten Amtes lebt und gedeiht.

Trotz aller gegenteiliger Beteuerung leben Christen längst in "Kirchen"-Gemeinschaft. Christen haben eine Kultur des Miteinanders entwickelt, die sich sehen lassen kann. Alte theologische Kontroversen dürfen als überwunden betrachtet werden. Der Streit des 16. Jahrhunderts ist beendet.

Doch das ist noch nicht das Ende ihres gemeinsamen Weges. Die christlichen Kirchen könnten noch viel vor sich haben; manches schmerzt noch gewaltig, aber sie sind miteinander verbunden in der Gemeinschaft untereinander und mit Christus. Mehr und mehr wird in einer oft als zerrissen empfundenen Gesellschaft wieder deutlich, wie sehr es darauf ankommt, gemeinsam den Glauben an Jesus Christus zu bezeugen. Die Grundüberzeugung der ökumenischen Bewegung, dass alle eins sein sollen, ist nicht verschwunden, sie trägt.

Von Wolfgang Thönissen

Zur Person

Wolfgang Thönissen (57) ist ein ausgewiesener Ökumene-Experte: Er ist leitender Direktor des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik in Paderborn und hat an der Theologischen Fakultät der Stadt eine Professur für ökumenische Theologie inne. Der Familienvater hat eine Vielzahl von Schriften zur Ökumene publiziert.

Hinweis:

Ein Einschätzung zum Stand der Ökumene aus protestantischer Sicht hat der "Zeit"-Journalist und evangelische Theologe Wolfgang Thielmann verfasst.