Mossul ist wie Köln nach dem Zweiten Weltkrieg
Wie Köln nach dem Zweiten Weltkrieg – so hat Nadim K. Ammann die Trümmer von Mossul erlebt. Bei seiner Reise durch die Ninive-Ebene traf er Christen, die zurückgekehrt sind, Häuser und Kirchen wiederaufbauen. Doch der Frieden im Irak ist deutlich brüchiger als der von Nachkriegsdeutschland, beobachtet der Referatsleiter der Diözesanstelle Weltkirche – Weltmission im Erzbistum Köln.
Frage: Herr Ammann, wie war Ihr Eindruck von der Reise durch die Ninive-Ebene?
Ammann: Wenn man durch die christlichen Städte fährt, ist das erst einmal unheimlich positiv. Schließlich waren die Christen vier Jahre lang fort und viel wurde zerstört. Jetzt fährt man in die Straßen und denkt: Mensch, das ist ja wie vorher. Es gibt viel Leben auf den Straßen, die Geschäfte sind wieder offen, Menschen sitzen in Cafés und Restaurants. Es gibt sogar kleine Staus, weil so viel Verkehr ist. Bei genauerem Hinsehen und einem Gang zu Fuß durch die Straßen sieht man aber auch: Hier ist ein Haus noch nicht bewohnt, da ist eines komplett ausgebrannt, dort ist eines kaputt. Es sind also noch lange nicht alle Menschen wieder in die Städte zurückgekehrt, bislang rund 41.000. Und es gibt noch eine ganze Menge zu tun.
Frage: Wie unterstützt das Erzbistum Köln den Wiederaufbau in der Region?
Ammann: Die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen ist eigentlich ganz gut aufgeteilt. Manche sorgen für den Wiederaufbau der Häuser, andere bieten Nothilfe für die Bevölkerung an. In den Städten Bahzani und Baschiqa haben wir bei der Renovierung von Kirchen und Pfarrsälen geholfen. Es ist ganz wichtig, dass auch Räume da sind, wo sich die Menschen wieder treffen können. Die Menschen brauchen einen Ort, wo sie heiraten können, Feste feiern können. Sie wollen ja wieder möglichst normal leben. Die syrisch-orthodoxe Kirche hat ebenfalls Hilfe bei uns beantragt, um in Dohuk eine Kirche zu bauen. Dort gab es keinen Krieg und keine Zerstörung. Es ist eine kurdische Stadt, die gut funktioniert. Von daher ist das ein Gebiet, wo man als Christ gut hinziehen kann, Arbeit suchen, Kinder zur Schule schicken. Dort kann man sich auch wohlfühlen.
Frage: Von wo aus kommen die christlichen Flüchtlinge zurück in die Ninive-Ebene?
Ammann: Die meisten Flüchtlinge, die in die Ninive-Ebene zurückgekehrt sind, kamen aus Erbil. Dort sind die Containerdörfer für Flüchtlinge aufgelöst. Einige Christen haben sich auch neu in anderen Orten angesiedelt. In Dohuk gab es zwar vorher Christen, es kamen aber Syrisch-Katholische und Syrisch-Orthodoxe hinzu. Sie hatten bisher keine eigenen Kirchen und bauen deshalb neue. Sie sind aus Mossul geflohen und werden auch nicht zurückkehren. Mossul war ja schon vor Erstarken des IS fundamentalistisch geprägt, unter anderem wurde ein chaldäischer Bischof umgebracht. Studenten aus der Ninive-Ebene gingen vielleicht tagsüber zum Studieren nach Mossul, aber abends hielt sich dort keiner auf. Viele der christlichen Einrichtungen sind von dort weggezogen, auch die Bischöfe und das Generalat der Dominikanerinnen. Das Leben war für Christen dort also schon vor dem IS schwierig. Deshalb sehen die Christen auch ohne IS in Mossul keine Zukunft. Abgesehen davon, dass Mossul komplett zerstört ist, wie Köln nach dem Zweiten Weltkrieg.
„Ich stand in den Trümmern von Mossul und habe mich gefragt: Wie lange wird es dauern, bis diese Stadt wieder ein normales Leben führen kann?“
Frage: Wie kommen die Christen in den kurdischen Gebieten zurecht?
Ammann: Das ist ganz unterschiedlich. Ich habe Familien besucht, die gerade ihr Haus renoviert haben. Sie haben das gefeiert. Sie sind froh, wieder zurück zu sein. Sie haben auch einen Job. Für sie ist klar, dass sie dableiben wollen. Ich habe eine Bekannte in Deutschland, deren Vater aus dem Irak kommt. Während sie ihre Heimat in Deutschland sieht, zieht es den Vater zurück. Meist wollen die Generationen über 50, die sich schwer tun, einen neuen Job und eine neue Sprache zu lernen, wieder zurück in die alte Heimat. Wenn sie eine Perspektive vor Ort haben, tun sie das auch. Auf der anderen Seite gibt es auch die Tagelöhner, die keinen Job haben, ihre Miete nicht bezahlen können, nicht wissen, wie sie über den Winter kommen. Eine Familie mag vielleicht schnell ein Haus finden, aber die Töchter müssen sich mit Jacken zudecken. Die Beschaffung von Wohnraum läuft meist schneller als die von Arbeit.
Frage: Was wäre denn eine mögliche Arbeit?
Ammann: Außerhalb von Karakosch gibt es große Ställe, die vorher Hühnerfarmen waren. Ein Drittel der Versorgung des ganzen Irak mit Hühnern und Eiern kam aus dieser Region. Das ist jetzt alles kaputt. Ich kann vielleicht in mein Haus zurückkehren, aber finde dort keine Arbeit mehr und kann meine Familie nicht ernähren. Das sind Probleme, vor denen viele Menschen zurzeit stehen. Bis diese Hühnerfarmen wieder aufgebaut sind, dauert es. Alternativ könnte man in der Zwischenzeit zum Beispiel mit weniger Aufwand ein Gewächshaus bauen, in dem man zum Beispiel Gurken anpflanzen kann. Mit so etwas könnte man schon drei Familien ernähren.
Frage: Wie optimistisch sind Sie denn, dass der Friede in der Region hält und die Menschen wirklich eine Perspektive dort haben?
Ammann: Die große Frage ist: Wie kann man in der Bevölkerung wieder Vertrauen schaffen? Es geht ja nicht nur um den materiellen Wiederaufbau, sondern um den Wiederaufbau eines Volkes, das lange Jahre zusammengelebt hat. Wie schafft man es, dass Christen, Jesiden, Schiiten, Sunniten, Kurden auf gleichem Gebiet zusammenleben können?
Ich war überrascht, den Irak insgesamt in einem noch schlechteren Zustand als bei meiner letzten Reise zu sehen. 2009 bin ich das erste Mal dorthin gereist und habe den Eindruck, dass es jedes Mal schlechter geworden ist. Dabei dachte ich: Es kann nicht mehr schlechter kommen. Ich stand in den Trümmern von Mossul und habe mich gefragt: Wie lange wird es dauern, bis diese Stadt wieder ein normales Leben führen kann?
Frage: Manche vergleichen die Situation im Irak mit der von Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.
Ammann: Dieser Vergleich kommt sehr oft, aber er hinkt. Im Gegensatz zu Deutschland wird der Irak weder vom Westen noch von den Regionalmächten unterstützt. Die arabischen Länder bekämpfen sich ja alle gegenseitig. Ein Christ, der nach Karakosch zurückkommt und ein Haus, ein Auto und Arbeit hat – welche Perspektiven kann er seinen Kindern für die nächsten 20 oder 30 Jahre geben? Die Gefahr, dass wieder ein Krieg ausbricht und er vertrieben wird, ist nach wie vor da. Und die Kirche im Irak hat dadurch, dass die Anzahl der Christen so stark abgenommen hat, auch nicht mehr den gleichen Stellenwert wie früher.