Jesuit Hans Zollner über Fortschritte im Kampf gegen Missbrauch

"Ein weltweites Problem"

Veröffentlicht am 04.11.2012 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Missbrauchsskandal

Freising ‐ Bei einer internationalen Konferenz hat die katholische Kirche in der vergangenen Woche eine Zwischenbilanz in ihrem Kampf gegen sexuellen Missbrauch gezogen. Im Interview äußerte sich der Jesuit Hans Zollner zu ersten Erfolgen und anstehenden Aufgaben. Zollner ist Psychotherapeut und Vizerektor der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom.

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Frage: Pater Zollner, wie weit ist die katholische Kirche inzwischen vorangekommen bei der Eindämmung von sexuellem Missbrauch?

Zollner: Die Situation ist je nach Kontinent und Land anders. Weltweit haben inzwischen fast 80 Prozent der nationalen Bischofskonferenzen eigene Richtlinien zum Umgang mit diesem Problem erlassen, das ist sehr beachtlich. Einige Nachzügler gibt es in Osteuropa und auch in Afrika ist die Resonanz noch nicht zufriedenstellend.

Frage: Weil es erst einen Skandal geben muss, bevor etwas passiert?

Zollner: Das ist ein merkwürdiges Phänomen. Offenbar lernen Gesellschaften und auch die Kirche nur schwer von Ereignissen, die woanders stattfinden. Wobei sich die Abläufe gleichen. Was 2010 in Deutschland geschah, war vorher in den USA und in Irland passiert: großes Erstaunen darüber, dass es solche Fälle gibt, Schockstarre bei den Verantwortlichen, gesellschaftliche Entrüstung, Glaubwürdigkeitsverlust und Enttäuschung, auch in den eigenen Reihen.

Pater Hans Zollner ist Vizerektor der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom und dort Direktor des Instituts für Psychologie.
Bild: ©KNA

Pater Hans Zollner ist Vizerektor der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom und dort Direktor des Instituts für Psychologie.

Frage: Wie gehen Sie mit diesem Befund um?

Zollner: Wir wollen die schmerzhaften Erfahrungen, die die Kirche in Amerika und Westeuropa in den vergangenen Jahren gemacht hat, weitergeben, damit andere nicht jedes Mal bei Null anfangen müssen, wenn der öffentliche Druck einsetzt. Das erfordert Energie und Geduld, denn mit ihren 1,2 Milliarden Mitgliedern ist die katholische Kirche wie ein riesiger Tanker. Klar ist aber, dass sexueller Missbrauch ein weltweites Problem ist, nicht nur in der Kirche, viel mehr noch in Schulen, Sportvereinen und vor allem in den Familien. Auch wenn das für manche Ohren in Deutschland merkwürdig klingt: Die weltumspannende katholische Kirche kann vielerorts durchaus eine Vorreiterrolle einnehmen bei Prävention und Opferschutz.

Frage: Wo sehen Sie Ansätze dafür?

Zollner: Der Bischof von Malindi in Kenia hat ein Büro nur für Missbrauchsopfer eingerichtet. In seiner Gegend geht es weniger um Kirchenmitarbeiter als Täter, sondern um Sextouristen. In Afrika hängt Missbrauch oft mit Armut und Prostitution zusammen. Wenn ein elfjähriger Junge den Broterwerb für vier jüngere Geschwister sicherstellen muss, kann er auf die Idee kommen, zwei seiner Schwestern an zahlende Europäer zu verkaufen. Wie gehen wir damit um? Wir sind da erst am Anfang der Reflexion. Unsere Präventionsprogramme einfach in andere Sprachen zu übersetzen, reicht da nicht.

Frage: Was ist der wichtigste Ertrag Ihrer Tagung?

Zollner: Wir haben uns mit einigen der namhaftesten Experten aus Forschung und Therapie ausgetauscht und sie für eine dauerhafte Mitarbeit gewinnen können. Wir haben unser computergestütztes Schulungsprogramm, das derzeit vom Kinderschutzzentrum in München entwickelt und international erprobt wird, auf den Prüfstand gestellt. Ein Ergebnis: Wir müssen es einfacher machen und die Inhalte verständlicher aufbereiten, damit auch Personen ohne Studienabschluss davon profitieren. Wir sehen, dass wir Lernprozesse ausgelöst haben in Ländern, wo es noch keinen großen Skandal gab. Das ist ein Riesenfortschritt.

Frage: In Mitteleuropa haben sich die Medien inzwischen anderen Themen zugewendet. Macht das Ihre Arbeit leichter oder schwerer?

Zollner: In gewissem Sinne schwerer. Weil sich manche Türen dann nicht mehr öffnen und auch Geldgeber, die wir brauchen, nicht mehr so leicht zu gewinnen sind. Auf der anderen Seite geht es uns nicht um einen medialen Effekt, sondern um langfristige Ergebnisse. Aber wahr ist auch: Dass das Thema Missbrauch so gut wie völlig von der Bildfläche verschwunden scheint, hilft den Opfern überhaupt nicht, vor allem nicht den Menschen, die noch zu Opfern werden können.

Frage: Aus Opfergruppen ist bisweilen der Vorwurf zu hören, die Kirche beschäftige sich nicht genügend mit den strukturellen Ursachen von Missbrauch. Stimmt das?

Zollner: Vor allem im Kirchenrecht ist einiges geschehen. Die katholische Kirche hat ihre Verjährungsfristen verschärft und eine Anzeigepflicht für Bischöfe eingeführt, die jeden Fall in Rom melden müssen, wo sich ein Verdacht erhärtet. Bischöfe, die wie in Belgien oder Norwegen selbst Täter waren, wurden zum Rücktritt gezwungen. Es darf indes nicht erwartet werden, dass der offizielle Paradigmenwechsel hin zur Opferperspektive von heute auf morgen von jedem Verantwortlichen vollzogen wird. Wie in jeder anderen Institution gibt es auch in der Kirche Beharrungskräfte. Doch ich bin mir sicher, dass die Sensibilisierung und Schulung von kirchlichen Mitarbeitern, nicht nur Priestern, langfristig auch Strukturen ändert.

Von Christoph Renzikowski