219a-Kompromiss: Katholische Kirche äußert sich zurückhaltend
Der am Mittwochabend von der Bundesregierung vorgelegte Kompromissvorschlag für eine Lösung im Streit um das das geltende Werbeverbot für Abtreibung ist auf geteilte Reaktionen gestoßen. Die katholische Kirche äußerte sich zurückhaltend: "Die gestrige Erklärung der Partner der Großen Koalition ist sicher ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Lösung. Wir müssen nun erst einmal die genauen gesetzlichen Änderungsvorschläge abwarten", sagte der Leiter des Katholischen Büros, Prälat Karl Jüsten, auf Anfrage.
Die beiden Fraktionsvorsitzenden der SPD und der Union, Andrea Nahles und Ralph Brinkhaus, begrüßten dagegen den Vorschlag. Es sei gut, dass es einen Kompromissvorschlag der Bundesregierung gebe, so Nahles. "Wir werden jetzt den genauen Gesetzestext abwarten und sodann im Januar in unseren Fraktionen bewerten, beraten und darüber entscheiden." Brinkhaus meinte, der Vorschlag sei ein erster Schritt zur Klärung der anstehenden Fragen in der Koalition.
Mehr Informationen für Schwangere in Konfliktsituationen
Der Kompromiss sieht vor, dass künftig die Bundesärztekammer und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Schwangere in Konfliktsituationen mit Informationsmaterial versorgen sollen. Dieser Informationsauftrag soll gesetzlich verankert werden. Für Ärzte, die eine Abtreibung durchführen, solle zudem mehr Rechtssicherheit geschaffen werden. Deshalb solle rechtlich ausformuliert werden, dass Ärzte sowie Krankenhäuser über die Tatsache informieren können, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Ausdrücklich heißt es in der Erklärung der Regierung, dass es Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch auch in Zukunft nicht geben dürfe. Experten sollen zudem in einer wissenschaftlichen Studie Informationen zur Häufigkeit und Ausprägung seelischer Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen gewinnen.
Themenseite: Diskussion um Werbeverbot für Abtreibungen
In Deutschland ist Werbung für Abtreibungen verboten. Doch in der Politik mehren sich Stimmen für eine Abschaffung des entsprechenden Paragrafen. Dieses Vorhaben stößt bei der katholischen Kirche auf deutliche Kritik.CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt lobte den Kompromissvorschlag als positiv für die Koalition. "Der Vorschlag der beteiligten Bundesminister ist ein wichtiger Schritt zur Klärung einer grundlegenden Frage in der Koalition", sagte Dobrindt der Deutschen Presse-Agentur (dpa). "Er zielt auf eine Verbesserung der Informationen bei Schwangerschaftskonflikten – verbunden mit einer klaren Absage an eine Aufhebung des Werbeverbots."
Die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer erklärte auf Twitter: "Der Schutz des Lebens, ungeborenes und geborenes, hat für CDU überragende Bedeutung." Deshalb sei es gut, dass das Werbeverbot bleibe. Ihre Partei werde den Vorschlag der Bundesregierung bei der Klausur des CDU-Bundesvorstands am 11. und 12. Januar in Erfurt beraten.
Im Bundesrat dürfte das Werbeverbot schon früher Thema sein: Das Land Berlin beantragte, den Punkt für diesen Freitag auf die Tagesordnung zu setzen, wie Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) mitteilte. Berlin fordere gemeinsam mit vier anderen Bundesländern die komplette Streichung des Paragrafen. Der Kompromiss der Bundesregierung könne ein erster Schritt sein, erklärte Kolat. "Ich bleibe aber dabei, dass eine komplette Streichung des Paragrafen 219a der richtige Weg ist, um klare Haltung zu zeigen."
Noch früher – nämlich bereits am heutigen Donnerstag – ist das Werbeverbot erneut Thema im Bundestag. Die FDP fordert in einem Antrag weiterhin die Streichung des Paragrafen 219a. Unsicher ist, wie sich die Abgeordneten der SPD dazu verhalten, die mehrheitlich eigentlich ebenfalls für eine Streichung des Werbeverbots sind. Es wird jedoch mit Blick auf den Frieden in der Großen Koalition erwartet, dass Union und SPD den Antrag zusammen in die Ausschüsse überweisen und so einer Abstimmung aus dem Weg gehen. SPD, Linke, Grüne und FDP hätten im Bundestag derzeit eine Mehrheit für die Abschaffung des Werbeverbots. In der SPD gibt es Forderungen, die Abstimmung einfach als eine Frage des Gewissens freizugeben, so dass SPD-Abgeordnete auch gegen die Koalitionspartner CDU und CSU stimmen könnten.
Hänel: Kompromiss ist "Null-Nummer"
Kritik an dem vorgelegten Kompromissvorschlag der Bundesregierung kam von den Grünen: Der Vorschlag sei unausgegoren, so die frauenpolitische Sprecherin, Ulle Schauws. Sie warf der Regierung vor, weiter auf Zeit zu spielen. Ärzten und Frauen werde weiter Misstrauen entgegengebracht.
Die Gießener Ärztin Kristina Hänel, die im vergangenen Jahr auf der Grundlage von Paragraf 219a wegen verbotener Werbung für Abtreibungen verurteilt worden war bezeichnete den Kompromiss als "Null-Nummer". "Der Paragraf 219a bleibt komplett bestehen inklusive seiner Strafandrohung von zwei Jahren Gefängnis. Die restlichen Vorschläge, die die Situation verbessern sollen, sind flankierende Maßnahmen, die bereits jetzt möglich sind", heißt es in einer Erklärung von Hänel und weiteren Ärzten. (stz/dpa/KNA)
Fragen und Antworten zur Debatte um Paragraf 219a
Im politischen Berlin ist es eine eher kleine Sachfrage, und doch stellt die Diskussion um die Zukunft von Paragraf 219a für die fragile Große Koalition seit Monaten eine echte Belastungsprobe dar. Seit die Gießener Ärztin Kristina Hänel im vergangenen Jahr auf der Grundlage des Paragrafen verurteilt worden war, ringt die Bundespolitik um das in dem Paragrafen formulierte Werbeverbot für Abtreibungen. Nach monatelangen Diskussionen hat die Bundesregierung nun am Mittwochabend einen Kompromiss für mehr Rechtssicherheit vorgelegt – doch ob der vor allem diejenigen SPD-Abgeordneten überzeugt, die den Paragrafen vollständig abschaffen wollenm, muss sich erst noch zeigen. Katholisch.de beantwortet wichtige Fragen zu der aktuellen Debatte:
Um was geht es im umstrittenen Paragrafen 219a?
Er verbietet im Strafgesetzbuch Werbung für Schwangerschaftsabbrüche – dabei fasst er den Begriff Werbung weiter als im Sprachgebrauch üblich. So macht man sich schon strafbar, wenn man etwa "seines Vermögensvorteils wegen" öffentlich Schwangerschaftsabbrüche anbietet. Dafür wurde auch die Ärztin aus Gießen verurteilt. Zuvor fristete der Paragraf 219a lange Zeit ein Schattendasein.
Nun gibt es einen Kompromiss: Wie sieht der aus?
Fünf Punkte umfasst die Lösung. "Frauen, die ungewollt schwanger werden, brauchen Hilfe und Unterstützung", heißt es darin – aber Kanzleramtsminister Helge Braun betont für die Union: "Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch darf es jedoch auch in Zukunft nicht geben." Aber man will die Information für betroffene Frauen rasch verbessern. "Deshalb werden wir rechtlich ausformulieren, dass und wie Ärztinnen und Ärzte sowie Krankenhäuser über die Tatsache informieren können, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen und (...) auf Informationen (...) hinweisen dürfen", heißt es im Kompromisspapier, an dem auch Innenminister Horst Seehofer (CSU), Justizministerin Katarina Barley (SPD) und Familienministerin Franziska Giffey (SPD) mitgewirkt haben.
Also Werbung nein, dafür bessere Information?
Das ist der Leitgedanke. Frauen, die eine Abtreibung wollen, sollen schnell einen Arzt oder eine medizinische Einrichtung finden, in der sie den Eingriff vornehmen lassen können. "Deshalb wollen wir die Bundesärztekammer und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit der Aufgabe betrauen, für Betroffene entsprechende Kontaktinformationen zur Verfügung zu stellen." Dieser Informationsauftrag soll bis Januar gesetzlich verankern werden. Zudem sollen Ärzte, die Abtreibungen durchführen, besser qualifiziert werden und eine Studie soll seelische Folgen von Abtreibungen analysieren. Der Paragraf 219a soll ergänzt und Paragraf 13 des Schwangerschaftskonfliktgesetz geändert werden. Im Januar soll ein Gesetzentwurf vorliegen.
Wird die Lösung den Streit befrieden?
Das muss sich noch zeigen. Die SPD hat schon im Frühjahr einen Gesetzentwurf zur Aufhebung des Werbeverbots vorgelegt, auch Grüne, Linke und FDP wollen den Paragrafen am liebsten abschaffen. Ärzte müssten objektiv über einen in Deutschland straffreien Eingriff informieren dürfen, argumentieren sie. Die SPD hat ihren Antrag im März allerdings aus Rücksicht auf die Union zurückgezogen. Denn CDU und CSU wollen das Werbeverbot auf keinen Fall einschränken. SPD-Chefin Andrea Nahles versprach eine Lösung bis zum Herbst, der endet im Kalender am 21. Dezember. Entschieden werden soll nun im Januar – die Fraktionen von Union und SPD müssen dann im Bundestag Farbe bekennen.
Was passiert, wenn der Kompromiss durchfällt?
In der SPD rumort es heftig, der Vorsitzende der NRW-SPD, Sebastian Hartmann, ist wie Genossen in Niedersachsen für eine Freigabe der Entscheidung, als Frage des Gewissens. Das würde dann mit Linken, Grünen und FDP auf eine Abschaffung des 219a hinauslaufen. Aber es ist auch eine Machtfrage, Nahles wird intern kritisiert, ihr wird ein zu weicher Kurs gegenüber der Union vorgeworfen. Sie will verhindern, dass die SPD nicht zusammen mit der CDU/CSU abstimmt – denn das könnte die Koalition an den Abgrund führen. Aber beide Seiten könnten bei einer getrennten Abstimmung auch ihr jeweiliges Profil schärfen, statt windelweiche Kompromisse einzugehen. So wie die SPD mit der Opposition in der vergangenen Wahlperiode die "Ehe für alle", die Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare, ermöglichte. Wie damals droht der Union auch jetzt eine Pleite – nur die AfD ist an ihrer Seite.
Wie reagiert die Opposition auf den Streit in der großen Koalition?
FDP-Chef Christian Lindner will gerade die SPD vorführen, am späten Donnerstagabend (voraussichtlich ab 22.15 Uhr) stellt die FDP die Abschaffung des Werbeverbots im Bundestag zur Abstimmung. Die Koalitionsmehrheit kann den Antrag aber zunächst in die Ausschüsse verweisen. Zum Schwur kommt es wohl eher im Januar – nach dem Weihnachtsfrieden. Das Thema betrifft zwar viele Bürger nicht und spielt in den meisten Wahlkreisen keine Rolle, aber es geht hier gerade auch um das eigene Profil. So will die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer das konservative Profil der Union schärfen – und bei der SPD möchten viele einen kleinen Triumph über die Union, um mal wieder etwas Mut zu schöpfen. Daher ist das 219a-Thema so heikel. (stz/dpa)