Der endgültige Abschied von der klassischen Pfarrei
Die katholische Kirche verändert sich nicht wirklich, sagen Kritiker. Oder doch? Gerade im Bereich der Gemeinde-Strukturen bewegt sich derzeit innerhalb aller 27 deutschen Diözesen so viel wie lange nicht. Großpfarreien werden aus mehreren kleinen Kirchengemeinden gebildet und von den Bistümern "Pfarreien neuen Typs" oder auch "Pfarreien der Zukunft" genannt. Im Zuge dieses Konzentrationsprozesses, der mit den sinkenden Mitgliederzahlen, dem Priestermangel und einer Neuausrichtung der Seelsorge zu tun hat, steht der Abschied vom traditionellen Bild der Ortsgemeinde offenbar bevor.
Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf rief nun dazu auf, ganz grundsätzlich "Pfarrei neu zu denken". Die klassische, an einen festen Ort gebundene, territoriale Pfarrei entspreche in einer mobiler werdenden Welt immer weniger den Lebenswelten vieler Menschen, sagte Kohlgraf am Freitagabend in Mainz. Es sei niemandem gedient, "ein altes Ideal von Pfarrei aufrechtzuerhalten". Vielmehr müsse man sich die Frage stellen: "Bekommen die Menschen bei uns das, was sie brauchen? Und brauchen sie das, was sie bei uns bekommen?"
Ein Alarmsignal
Das hätten Pfarrer früherer Prägung, die oft jahrzehntelang eine Gemeinde leiteten, manchmal zu wenig gefragt. Die Gemeinde vor Ort war unbestritten eine "Pfarrfamilie" und die "stabile spirituelle Mitte", wie Kohlgraf auch mit Bezug zu seinen Kindheitserfahrungen in einer Kölner Pfarrei berichtete, die für ihn kirchliche "Heimat" war. Der Pfarrer habe damals sein kirchliches Angebot gemacht - und die Menschen kamen. "Aber so einfach ist das heute nicht mehr", sagte Kohlgraf bei der Tagung "Bistümer im epochalen Umbruch" im Mainzer Bildungszentrum Erbacher Hof.
Es sei doch ein "Alarmsignal", dass hierzulande etwa 90 Prozent der Katholiken zwar formal noch Mitglied der Kirche seien und Kirchensteuer zahlten, "aber das klassische kirchliche Angebot der Territorialgemeinde nicht brauchen". Kohlgraf fügte hinzu: "Da läuft irgendetwas schief. Worauf warten diese Menschen? Wohl nicht auf das Hochamt am Sonntagmorgen."
Und es sei "weltweit" der Trend zu beobachten, dass die klassische territoriale Pfarrei für viele Jugendliche nicht mehr der Ort sei, wo sie ihre Kirchen-Erfahrungen machten. Kirche könne in Zukunft deshalb "nicht ein gallisches Dorf, eine Insel der Seligen inmitten einer mobilen Welt" sein. Zwar gelte es, "nicht alles zu Disposition zu stellen". Gemeinden müssten sich jedoch verändern und stärker zu einer "missionarischen" Kraft werden. Sie müssten "neue Formen finden, um bei den Menschen zu sein", gerade bei Jugendlichen.
Philipp Müller, Professor für Pastoraltheologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, sagte, die katholische Kirche stehe vor "gewaltigen Veränderungsprozessen". Diese glichen "vielleicht einer neuen kopernikanischen Wende".
Kohlgraf: Leitung wird sich verändern
Kohlgraf verwies auch auf Papst Franziskus. Der hatte schon 2013 in seinem Apostolischen Schreiben über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute ("Evangelii gaudium") betont: "Die Seelsorge unter missionarischen Gesichtspunkten verlangt, das bequeme Kriterium des 'Es wurde immer so gemacht' aufzugeben. Ich lade alle ein, wagemutig und kreativ zu sein in dieser Aufgabe, die Ziele, die Strukturen, den Stil und die Evangelisierungs-Methoden der eigenen Gemeinden zu überdenken."
Für Bischof Kohlgraf ist auch klar: "Leitung wird sich verändern." Es müssten "zunehmend gemeinschaftliche Formen" der Gemeindeleitung entwickelt werden, sagte er. "Pfarrei neu denken" heiße auch, über neue Formen der Arbeit von Ehrenamtlichen nachzudenken, die vielleicht stärker in bestimmten Projekten organisiert sein könne. "Patentlösungen" habe auch er nicht anzubieten, räumte der Bischof ein. Da äußerte er sich ähnlich wie später der Trierer Pastoraltheologe Martin Lörsch, der sagte: "Zukunftsprozesse brauchen langen Atem und Mut - auch den Mut, Fehler zu machen."