Wie Videospieler etwas über Jesus lernen
"Wir müssen die Menschen dort abholen, wo sie stehen": So lautet ein gängiges Motto zeitgenössischer Pastoral. Im Falle von Amin Josua müsste man den Spruch vermutlich etwas modifizieren. Er hat sich zum Ziel gesetzt, Menschen – gerade jüngere – da abzuholen, wo sie sitzen: nämlich ziemlich oft vor dem PC, vor Konsolen oder mit mobilen Geräten auf dem Sofa, um Videospiele zu "zocken".
Statistischen Erhebungen zufolge gibt es unter den Deutschen rund 34 Millionen mehr oder weniger aktive Gamer. Für Amin Josua, Doktorand der evangelischen Theologie an der Universität Heidelberg und selbst leidenschaftlicher Gamer, schlummert in diesen Zahlen ein gewaltiges Potenzial im Hinblick auf die christliche Verkündigung. Bestärkt wurde der 31-Jährige in dieser Ansicht durch den Kontakt zu Schülern im Rahmen seiner Dissertation. Das Thema: "Strukturen der Kommunikation des Evangeliums mit Jugendlichen". Dabei hätten ihm die jungen Leute erzählt, die einzige Möglichkeit, dass sie sich mit biblischen Themen auseinandersetzen, sei die, dass sie sie zocken könnten.
Eine "zockbare Version der Bibel"
"Insbesondere das Medium Game wird in der kirchlichen Verkündigung bislang fast gar nicht bespielt", hat Josua festgestellt. So kam er auf die Idee, ein Computergame zu entwickeln, bei der man die Story der Evangelien spielend entdecken kann – sozusagen eine "zockbare Version der Bibel", wie Josua das Projekt umreißt. Dazu ist er vergangenen Herbst in das Start-up-Business eingestiegen und hat eine Firma gegründet – mit Sitz in Stuttgart. Als sogenannter Seed-Investor hat die Evangelische Landeskirche in Württemberg eine Startfinanzierung bereitgestellt. Zusammen mit seinem Team, das aus vier Vollzeit- und mehreren Honorarkräften besteht, arbeitet er seitdem an der Entwicklung des Spiels. Inspiration und die ersten Partner bei der Entwicklung des Spiels hat er sich bei einem Besuch der "Christian Game Developers Conference" im US-amerikanischen Portland geholt. Josua ist zwar der Unternehmer und theologische Kopf des Projekts – die Detailarbeit überlässt er aber gerne seinen Experten. "Ich bin zwar ein computeraffiner Mensch, kann aber selber nicht programmieren. Dafür gibt es genug andere Fachleute", betont er.
"One of the 500" lautet der Titel des Spiels. Es handelt sich dabei um eine Anspielung auf eine Stelle im ersten Korintherbrief. Darin heißt es, Jesus sei nach seiner Auferstehung "mehr als 500 Brüdern auf einmal erschienen" (1 Kor 15,6). "Der Titel ist eigentlich ein halber Gag", erklärt Josua. "Wir haben mit unserem Hauptcharakter quasi eine Person kreiert, die irgendwo in der biblischen Geschichte auftaucht. Er wird zwar nicht genannt, aber man kann behaupten, er sei dabei gewesen." Die Kurzbeschreibung des Spiels, das als klassisches Abenteuer-Game konzipiert ist, lautet folgendermaßen: "Wir haben einen Charakter mit einer eigenen Geschichte innerhalb der Welt des Neuen Testaments. Seine Geschichte überschneidet sich mit Ereignissen aus den Evangelien. So kann man interaktiv die Story der Evangelien kennenlernen", erläutert Josua. Der Spieler entwickelt den Charakter des Avatars, sucht für ihn einen Platz in der damaligen Gesellschaft und erforscht die Umwelt des Neuen Testaments. "Dadurch sollen die Gamer ein besseres Verständnis für die biblischen Geschehnisse entwickeln."
Wie das geschieht? Das Spiel wird durch sogenannte "Quests" gesteuert: Der Spieler muss im Laufe der Story immer wieder bestimmte Aufgaben erfüllen. Innerhalb dieser Quests kommt der Spieler – meist über Mittelsmänner und -frauen – mit den Ereignissen aus den Evangelien in Berührung, vor allem mit den Worten und Taten Jesu. Ob man während des Spiels auch Jesus persönlich begegnen kann, ist laut Josua bislang noch nicht final entschieden. Die Tendenz gehe aber in Richtung Ja. "Die Aufgabe der Spieler ist es, sich in irgendeiner Weise – sei es zustimmend oder ablehnend – zu dem Erfahrenen zu positionieren", betont Josua.
Wie gehe ich mit "Feinden" um?
Innerhalb der Geschichte wird der Charakter mit diversen anthropologischen Grundfragen konfrontiert – etwa, wie man mit seinen Feinden oder der Stigmatisierung gesellschaftlicher Gruppen umgehen soll. "Kontextuell spielen wir dann die relevanten biblischen Ereignisse und Bibelstellen ein – und zwar auf eine Weise, die nicht belehrend ist, sondern eine andere Deutungsperspektive eröffnet." Der Charakter könne sich auch für das "Falsche" entscheiden. Meistens kann man zwischen drei Optionen wählen.
Josua verdeutlicht das Ganze am Beispiel des Hauptmanns von Kafarnaum. "Die Zeloten suggerieren dem Spieler, dass der Hauptmann ein ganz böser Kerl sei, quasi der Kopf der römischen Okkupation." Dann kämen Zeugen zu Wort, denen die Römer Leid angetan hätten. Somit entstehe das Gefühl, dass der Hauptmann das Böse repräsentiere und seine gerechte Strafe bekommen müsse. Genau an diese Emotion wollen die Macher des Spiels anknüpfen. Als nächstes kommt eine weitere Figur ins Spiel – mit einer anderen Perspektive. "Sie hat die Bergpredigt gehört und hadert mit sich selbst. Ihr geht nicht mehr aus dem Kopf, wie die Welt aussähe, wenn alle ihre Feinde lieben würden." Diese Logik bricht mit der vorherigen. Der Charakter kann dann entscheiden, wie er mit der Situation umgeht – zum Beispiel, ob er dem Hauptmann etwas antut. Er kann ihn zwar nicht selbst töten, aber ihn zumindest in eine Falle locken. Er kann sich aber auch für etwas anderes entscheiden.
Ob man tatsächlich selber jemanden im Spiel töten kann, ist laut Josua noch nicht entschieden. Falls ja, würde das in einer sehr problematisierenden Art aufgearbeitet werden und "sicherlich nicht so, dass man die ganze Zeit irgendwelche Leute töten könnte. Aber im Prinzip haben wir ein Kampfsystem geplant, das auf Defensive ausgerichtet ist." Der Charakter im Spiel ist ungefähr 15 Jahre alt. "Es ist einfach nicht realistisch, dass er gegen ausgebildete Legionäre ankommt." Ohnehin legen die Entwickler großen Wert auf historische Korrektheit und Authentizität. Research-Teams von den Unis Heidelberg und Tübingen steuern Fakten zu der damaligen Zeit bei, etwa gesellschaftliche Gepflogenheiten, welche Kleider und Frisuren die Menschen trugen oder wie die Landschaft im Heiligen Land aussah.
Das Ende ist noch offen
Wann das Spiel zu Ende gespielt ist, haben die Macher bislang noch offen gelassen. Ohnehin sei der Schluss nicht das Wichtigste bei dem Game, findet Josua. Viel interessanter sei die Entwicklung des Charakters – und somit auch des Spielers. "In jeder Situation des Spiels geht es auch um das Jetzt." Dass man sich die ganze Zeit mit moralischen, ethischen, spirituellen und geistlichen Fragen auseinandersetzen müsse, habe auch einen Einfluss auf den, der vor dem PC sitzt.
Josua geht davon aus, dass es einen Markt für das Spiel geben wird. "Der Vergleich ist vielleicht unzulässig, aber der erfolgreichste Ü-18-Film war bis ins vergangene Jahr hinein 'Die Passion Christi'. Die Menschen interessieren sich also für biblische Themen." Man müsse das nur in einer Weise aufbereiten, die die Leute auch anspricht. "Und es spricht die Leute dann an, wenn man sie nicht verschreckt", sagt Josua. "Wenn es ein rein katechetisch-belehrendes Spiel wäre, würde es nicht funktionieren." Der Theologie-Doktorand und sein Team wollen das Spiel daher weitestgehend wertungsfrei gestalten – aber realistisch.
Ein erster Prototyp des Spiels soll im Februar veröffentlicht werden. "Wir wollen zeigen, wie dieses Spiel aussehen kann und wie es sich anfühlt, wenn man es spielt." Zusätzlich sollen weitere Investoren angelockt werden. Die Spielproduktion wird voraussichtlich noch bis Ende 2022 dauern – laut Amin Josua sind vier Jahre Entwicklungszeit bei Videogames in diesem Umfang die Faustregel.