"Geistlicher Missbrauch" – ein Warnsignal für die Kirche
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Am Montag ist das zweite Buch der ehemaligen Ordensschwester Doris Wagner erschienen. Bereits im Buchtitel, aber auch in diversen Interviews führt sie den Begriff "Spiritueller Missbrauch" ein. Die studierte Philosophin, die selbst in der geistlichen Gemeinschaft "Das Werk" Opfer sexuellen Missbrauchs wurde, beschreibt erschütternde Beispiele von jungen und älteren Menschen, die nach Monaten oder Jahren in geistlichen Gemeinschaften oder Orden depressiv, bis auf die Knochen abgemagert oder einfach "psychisch gebrochen" wieder in ihre Familie zurückkommen.
Was geschieht hier? Gibt es "gefährliche Seelenführer" nicht nur in Sekten und evangelikalen Freikirchen? Müssten sich unsere Weltanschauungsbeauftragten doch auch mit katholisch approbierten (!) geistlichen Gemeinschaften beschäftigen dürfen? Wird hier die Freiheit von Christenmenschen zugunsten eines unchristlichen Gehorsamsbegriff soweit beschränkt, ja ihr Wille gebrochen und manipuliert, dass sie nicht zu frohen Kindern Gottes, sondern zu seelischen Wracks werden?
Der Katholizismus beheimatet eine Vielfalt spiritueller (Ordens-)Kulturen, die – oft nach dem Vorbild großer Heiliger wie Franz von Assisi oder Ignatius – auch die persönliche Kasteiung, extremes Fasten oder das bewusste Erleiden körperlicher Schmerzen kennen. Aber schon der Begriff "Pastoralmacht", den der Historiker Michel Foucault bereits vor Jahrzehnten prägte, hatte darauf hingedeutet, dass die historische Einführung der Individualbeichte nicht nur unter Hinsicht des persönlichen Seelenheils, einer gesunden Selbstkritik und Bußfertigkeit der Gläubigen wertzuschätzen, sondern auch unter Hinsicht einer subtilen Machtausübung, die bis heute von Geistlichen auf Beichtiger ausgeübt werden kann, kritisch zu betrachten sei.
Die Erfahrungen, die Doris Wagner mitteilt – eine Metatheorie will sie bewusst nicht entwickeln - sollten auf jeden Fall von den Verantwortlichen in Orden, Gemeinschaften und Diözesen als lautes Warnsignal gehört werden.