Ein fester Anker in stürmischer Zeit
Es ist nicht nur ein Ring am Finger. Das Versprechen, einen anderen Menschen "lieben, achten und ehren" zu wollen, "in Gesundheit und Krankheit", bedeutet viel – und Beispiele gescheiterter Ehen haben genug Menschen im Bekannten- oder Familienkreis. Und doch: Es wird wieder mehr geheiratet! Zuletzt haben jährlich über 400.000 Paare "Ja" gesagt – das sind gut 30.000 mehr als vor zehn Jahren, wird aus Zahlen des statistischen Bundesamts klar. Laut der Shell-Jugendstudie finden etwa 90 Prozent aller Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein gutes Familienleben wichtig. Damit ist den jungen Menschen von heute Ehe und Familie wichtiger als deren Elterngeneration. Trotz aller Unkenrufe prägen Ehe und Familie heute noch die deutsche Gesellschaft – und das hat Vorteile.
"Der Staat kann sich darauf verlassen, dass der Großteil der Sorge- und Pflegearbeiten im Bereich von Ehe und Familien geleistet wird", sagt Ulrich Hoffmann, Präsident des Familienbundes der Katholiken. "Wenn der Staat das alles bezahlen müsste, wäre er überfordert." Der gesellschaftliche Vorteil der Ehe hat also eine ganz messbare Komponente – doch darin erschöpft er sich nicht: Denn Menschen heiraten vor allem aus emotionalen Gründen. Die Partnerbörse Parship hat nach den wichtigsten Heiratsgründen gefragt: Vorne lagen eine stärkere Verbundenheit mit dem Partner (46 Prozent), dass die Hochzeit ein Liebesbeweis ist (34 Prozent) und man durch die Hochzeit zu einer echten Familie wird (30 Prozent). Auch diese emotionale Verbundenheit prägt die Gesellschaft, sagt der Familienbund-Präsident, "dass sich Menschen nicht nur organisatorisch einbinden, sondern auch Leidenschaft einbringen." Die starken Bande innerhalb der Familie setzen sich also in die Gesellschaft fort. "Die Solidarisierung mit der Gesellschaft insgesamt, dass wir eine solidarische und sorgende Gesellschaft werden, da tragen Ehe und Familie ganz wesentlich zu bei", sagt Ulrich Hoffmann, "und diese Entwicklung ist noch nicht am Ende."
Keine Sorgen um Zukunft der Ehe
Sorgen um die Ehe macht sich Hoffmann nicht: Er ist zuversichtlich, dass die Sehnsucht nach fester Bindung die jüngeren Generationen weiter prägen wird. Der Ruf gleichgeschlechtlicher Paare nach der Öffnung der Ehe zeigt in seinen Augen, dass die Ehe als Institution erstrebenswert bleibt. Den Grund sieht er in der Arbeitswelt: Die Menschen werden mobiler, müssen oft lange zu ihrer Arbeit pendeln. Arbeitsverträge sind immer häufiger nur befristet, die Bindung der Unternehmen an ihre Mitarbeiter sinkt. Immer häufiger sind Menschen auf sich allein gestellt. Die Ehe ist da ein Gegenmodell: Bei ihr geht es um "verlässliche Beziehungen, einen Heimathafen, dass man weiß, wo man hingehört, wo man auch emotional andocken kann". Deshalb wird es diese Institution auch in Zukunft geben, sagt er: "Gerade in einer globalisierten, schneller tickenden Welt braucht es diese Heimathäfen umso stärker, um dieser bunten Welt gut zurecht zu kommen."
Wer sich trauen lässt, scheint auch mehr als früher über diese Art der Beziehung nachzudenken, ist sich mehr über die Tragweite der Verbindung bewusst: Denn die Zahl der Scheidungen sinkt. "Ich denke, dass das Werben der Kirche und ihrer Stellen in wachsendem Maße angekommen ist, dass man für Ehe und Familie etwas tun muss, Leidenschaft und Zeit investieren muss. Dass es auch darum geht, Krisen durchzustehen und nicht so schnell die Flinte ins Korn zu werfen." Deshalb würden sich Paare nicht mehr so schnell trennen wie noch vor ein paar Jahren, so Hoffmann.
Wie in vielen anderen Lebensbereichen wird aber auch in Sachen Ehe sichtbar, dass Religion in wachsendem Maße an Bedeutung verliert. Dass sich Paare kirchlich trauen lassen, wird immer seltener. Trotzdem hat die Kirche weiter eine wichtige Rolle als Anwalt von Ehe und Familie, sagt Ulrich Hoffman, auch wenn Glaube und die Lehre der Kirche nicht mehr so großen Widerhall in der Gesellschaft finden wie noch vor einigen Jahrzehnten.
Nachholbedarf für Politik und Gesellschaft
Bedrohlich wird es für die Ehe aus einer anderen Richtung: Denn während sich in der Ehe Rollenbilder verändern, verändert sich die Gesellschaft nicht immer mit. So galt noch vor einigen Jahrzehnten die Hausfrau in Küche und Kinderzimmer als Normalfall, davon kann heute aber keine Rede mehr sein, sagt Ulrich Hoffmann: "Es ist eine gute und wichtige Entwicklung, dass Männer wie Frauen ihre beruflichen Perspektiven leben können wollen und damit auch Rollenbilder einem ständigen Wandel unterliegen. Da ist die Gesellschaft gefordert, diesen veränderten Bedingungen Rechnung zu tragen." Das heiße zum Beispiel, dass für Familien wichtige Organisationen lange genug geöffnet haben, es für Beschäftigte flexible Arbeitszeitmodelle, Betriebskindergärten oder die Möglichkeit gibt, von zu Hause aus zu arbeiten, um Beruf und Familie in Einklang zu bringen. Vor allem junge Familien stehen unter Druck, beobachtet Hoffmann, der hauptberuflich als Ehe- und Familienberater arbeitet. "Da bekomme ich schon mit, wie schwierig es ist, Kindererziehung, berufliche Karriere und womöglich auch noch Pflege unter einen Hut zu bekommen. Da zerreißt es manchmal auch Familien und Partnerschaften." Das zu ändern, sei eine gesellschaftliche, aber auch politische Aufgabe – und da hinkten Politik und Gesellschaft noch hinterher: "Die Gleichstellungsrhetorik ist schon ganz gut, die Gleichstellungspolitik ist hinter der Rhetorik noch weitgehend zurückgeblieben."
Das zeigt sich auch beim Blick auf andere europäische Länder: Während es in Frankreich schon seit längerem flexiblere Arbeitszeitmodelle gibt, sind vor allem südeuropäische Länder wie Spanien und Italien noch von traditionelleren Rollenbildern geprägt. Dort hinken Politik und Gesellschaft den jungen Paaren noch mehr hinterher als hierzulande, so Hoffmann. Viele junge Leute müssten sich entscheiden: Karriere oder Familie. "Deshalb ist die Geburtenrate niedrig", sagt er.
Trotz eines gewissen Nachholbedarfs bleibt die Ehe aber ein Erfolgsmodell. Zum Glück, denn eine Gesellschaft ohne Ehe und Familie sei nicht erstrebenswert, betont Hoffmann: "Es wäre eine kalte und traurige Welt, wo die Angst vor Bindungen und Beziehungen um sich greifen würde und die Sehnsucht nach verlässlichen Beziehungen weitgehend ungestillt bliebe."
Der Text wurde 2020 aktualisiert.