Dogmatiker hat wenig Hoffnung auf Reformen

Theologe Seewald sieht Kirche als "problematische Sonderwelt"

Veröffentlicht am 12.02.2019 um 13:13 Uhr – Lesedauer: 
Theologe Seewald sieht Kirche als "problematische Sonderwelt"
Bild: © privat

Münster ‐ Die Kirche hat einen "Hang zur Selbstüberhöhung", ist Michael Seewald überzeugt. Der Münsteraner Dogmatiker wünscht sich mehr Reformbereitschaft von der Kirche und Konsequenzen aus dem Missbrauchsskandal. Doch er warnt auch davor, die Kirche nur negativ zu sehen.

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Der Münsteraner Dogmatiker Michael Seewald hat die Kirche als "eine problematische Sonderwelt" bezeichnet. Er attestierte ihr am Montag in einem Interview mit der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung einen "Hang zur Selbstüberhöhung". Deshalb falle es der Kirche nun schwer, mit dem Vertrauensverlust durch den Missbrauchsskandal zu leben, so der Theologieprofessor und Priester.

Lange habe die Kirche eine Sonderstellung gehabt, "die es möglich machte, dass der Missbrauch Minderjähriger systematisch vertuscht wurde", kritisierte der 31-Jährige. "Wie solche Verbrechen geschehen konnten und wie sie sich künftig verhindern lassen, muss nun geklärt werden." Gefragt nach grundlegenden Reformen in der Kirche gab Seewald an, "wenig Hoffnung" zu haben: "Im Moment ist der öffentliche Druck so groß, dass die meisten Bischöfe gar nicht anders können, als Reformbereitschaft zu signalisieren. Damit wird es auch bald wieder zu Ende sein."

In der Kirche müsse mehr "über Macht und Machtkontrolle gesprochen werden", so Seewald. Dabei gehe es "ans Eingemachte". In der Kirche sei etwa keine offene theologische Diskussion möglich: "Unbequeme Theologen werden überwacht und denunziert. Bei manchen wird sogar versucht, das Erscheinen von Büchern zu verhindern. Schriften werden zensiert." Wer offen redet, tue das nicht, weil die Institution ihn dazu ermutige, sondern weil er sich seine "Freiheit nicht nehmen lassen" will.

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Mit theologischen Argumenten ließen sich kaum Veränderungen der kirchlichen Lehre erzielen. "Gute Argumente interessieren eine auf Selbsterhaltung getrimmte Hierarchie nicht." Frauen sollte man daher keine Hoffnung auf eine baldige Zulassung zum Weihesakrament machen, glaubt Seewald. Dennoch warnte er davor, die Kirche nur negativ und von der Lebenswelt der Menschen entfernt zu sehen. Gerade in Gemeinden, Schulen, Krankenhäusern oder Kindergärten zeige "sich die Kirche oft nah an der Alltagswelt".

In den vergangenen Jahren hatte sich Seewald immer wieder zu strittigen Themen in der Kirche zu Wort gemeldet: So forderte er im Mai 2017 die Weihe für Frauen, sprach sich jedoch für den Pflichtzölibat der Priester aus. Ein Jahr später revidierte er seine Position und vertritt nun eine Abschaffung der verpflichtenden Ehelosigkeit. Zudem verteidigte er die Handreichung der deutschen Bischöfe, die evangelischen Ehepartnern von Katholiken die Kommunion unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, und kritisierte den Streit zwischen einigen Bischöfen zu diesem Thema. In der Causa Wucherpfennig appellierte Seewald an die Bischöfe, sich im Vatikan für die Freiheit der Theologie stark zu machen.

Seewald wurde 2016 zum Professor für Dogmatik in Münster berufen und war mit seinen damaligen 29 Jahren einer jüngsten Lehrstuhlinhaber Deutschlands. Seine Vorgänger auf dem Lehrstuhl waren etwa Joseph Ratzinger, Karl Rahner und Herbert Vorgrimler. (rom)