Der Maßstab des Genusses ist die Mäßigung: Christlich Whisky trinken
Für gewöhnlich kennen sich Priester mit (Mess-)Wein aus – doch Vikar Wolfgang F. Rothe hat es der Whisky angetan. Im Interview mit katholisch.de erklärt er, woher seine Begeisterung für das Getränk kommt, was Whisky mit der Kirche zu tun hat – und wieso sein neuestes Buch von Whisky-Witzen handelt.
Frage: Vikar Rothe, beginnen wir mit einer Glaubensfrage: Whisky mit Eis oder ohne?
Rothe: Auf jeden Fall ohne. Eis trinkt man nur mit amerikanischem Whiskey, damit man nicht so viel davon schmeckt.
Frage: Und wie trinkt man einen guten schottischen Whisky?
Rothe: Zunächst trinkt man Whisky eigentlich gar nicht. Whisky verkostet man allenfalls. Man beschränkt sich auf sehr kleine Mengen, lässt sich Zeit und folgt einem ganz bestimmten Ritual. Das Ganze hat beinahe den Charakter einer Meditationsübung. Das ist ein Vorgang, bei dem alle Sinne zum Einsatz kommen. Das beginnt mit den Ohren, wenn man die Flasche öffnet, der Korken ploppt, der Whisky ins Glas hineingluckert, geht weiter über das Sehen, wenn man sich anschaut, wie der Whisky das Licht reflektiert und seine schöne goldene Farbe entfaltet. Dann kommt das Riechen, wobei das der Höhepunkt ist. Da kann man sich eine halbe oder sogar ganze Stunde mit dem Whisky beschäftigen. Als nächstes kommt der Mund zum Einsatz, der auch den Tastsinn mit einbezieht. Die Zunge ist ja das sensibelste Tastorgan, das der Mensch vom lieben Gott geschenkt bekommen hat. Jeder Whisky hat eine andere Konsistenz. Man kann den Charakter eines Whiskys an seiner Konsistenz erspüren. Am Schluss, wenn man den Whisky schluckt, kommt im übertragenen Sinn auch das Herz zum Einsatz. Der Whisky gleitet nicht nur physisch nah am Herzen vorbei, es ist ein Erlebnis, das die ganze Kraft, die Dynamik, die Fülle eines Whiskys offenbart.
Frage: So wie Sie von Whisky reden, reden auch Weinfreunde von ihrem Getränk. Was ist das Besondere am Whisky?
Rothe: Was ich zur Spiritualität des Whiskys mache, ist weder der beste noch der einzige Weg. Es ist ein Versuch, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, denen der Zugang zum Glauben und der Kirche etwas verstellt ist. Mit Whisky funktioniert das deswegen so gut, weil er von Mönchen erfunden worden ist. Er ist ein ureigenes Produkt von Kirche und Kloster. Man weiß nicht genau, wann und wo er erfunden wurde, das kann in Irland gewesen sein, das kann in Schottland gewesen sein, irgendwann im frühen oder hohen Mittelalter. Geschichtlich gesehen ist der Ursprung aber auf jeden Fall die christliche Nächstenliebe. In irischen und schottischen Klöstern gab es nämlich immer eine Krankenstation, es existierte ja keine andere medizinische Infrastruktur. Um den Menschen den christlichen Glauben ganzheitlich spürbar zu machen, haben die Mönche sich nicht nur um das seelische Wohl gekümmert, sondern auch um das körperliche. In den klösterlichen Krankenstationen brauchte man hochprozentigen Alkohol zur Herstellung medizinischer Tinkturen. Anfangs hatte man aus Frankreich oder Spanien Wein importiert und destilliert. Das war aufwendig und teuer und ist auch nicht immer gelungen, weil der Wein oft verdorben war, wenn er dort oben ankam. Irgendwann ist dann ein findiger Mönch auf die Idee gekommen, dass das Ganze auch mit vergorener Getreidemaische geht. Getreide gab es dort aber in Hülle und Fülle, und so hatte man das Ausgangsprodukt für die Destillation vor der Haustür und konnte den kranken Menschen leichter helfen.
Frage: Heute ist Schottland weitgehend protestantisch. Wie hat die schottische Reformation den Whisky und die Whisky-Kultur verändert?
Rothe: Whisky ist auch ein ökumenisches Produkt! Die Reformation hat einen wichtigen Beitrag zur Whiskykultur geleistet. Im Zuge der schottischen Reformation wurden ja alle Klöster aufgelöst. Die Mönche, die plötzlich auf der Straße standen, mussten sich dann umsehen, wie sie über die Runden kamen. Sie haben dann das gemacht, was sie vorher im Kloster gemacht haben. Einige haben destilliert. So wurde überhaupt erst das Angebot geschaffen, das eine entsprechende Nachfrage möglich machte.
„Der Maßstab des Genusses ist nicht die Menge, sondern die Mäßigung.“
Frage: Sie zitieren den schottischen Folksänger Robin Laing. Der singt: "Manche sagen, Whisky kann dich in den Abgrund führen, aber Whisky kann auch den Weg zur Erlösung erleuchten." Bei den Iren singt man "Whiskey, du bist der Teufel, du führst mich auf Abwege". Nur segensreich ist das Getränk also nicht …
Rothe: Mir ist es wichtig, darauf auch immer hinzuweisen. Whisky enthält einen hohen Prozentsatz an Alkohol. Damit sollte man entsprechend zurückhaltend umgehen, was aber gerade beim Whisky relativ leicht zu bewerkstelligen ist. Wenn man sich auf eine geringe Menge beschränkt, hat man nämlich einen viel größeren Genuss. Maßlosigkeit hingegen stumpft ab, macht am Ende sogar krank, der Genuss ist dann dahin. Im Gegenteil ist es so: Wenn man sich mäßigt, bewahrt man sich den Genuss. Der Maßstab des Genusses ist nicht die Menge, sondern die Mäßigung. Das habe ich auch in meinen Büchern immer betont.
Frage: Bei Priestern denkt man an Messwein – wie sind Sie zum Whisky gekommen?
Rothe: Das habe ich der wohl trockensten Sache zu verdanken, die es auf dieser Erde gibt: dem katholischen Kirchenrecht. Ich bin ja eigentlich Kirchenrechtler. Vor vielen Jahren war ich bei einer adeligen Familie zu einem kirchenrechtlichen Beratungsgespräch eingeladen, es ging um eine Ehenichtigkeitssache. Es herrschte eine etwas steife, förmliche Atmosphäre, es gab feines Porzellan, Silbertabletts, Kristall. Als nach dem Essen Whisky gereicht wurde, habe ich mich nicht getraut, das Glas abzulehnen – obwohl ich mir damals absolut nichts aus alkoholischen Getränken gemacht habe. Ich habe dann aber gemerkt: Was ich im Glas hatte, war etwas ganz besonderes, das kam einer Offenbarung gleich. Nach dem Gespräch habe ich dann angefangen, mich ein bisschen kundig zu machen, was das wohl war – ich weiß es allerdings bis heute nicht. Ich habe viel gelesen, Destillerien besucht, zunächst für mich selbst, aus Freude an der Sache.
Frage: Und wie wurde aus dem Whisky-Freund der Whisky-Seelsorger?
Rothe: Die Idee dazu ist mir irgendwann in einer schlaflosen Nacht gekommen. Ich war sehr überrascht: Die erste Veranstaltung zu dem Thema, die eigentlich als Experiment gedacht war, war innerhalb kürzester Zeit ausgebucht. Seither geht es immer so weiter. Einmal im Jahr mache ich einen ökumenischen Gottesdienst für meine "Whisky-Gemeinde". Das ist der bestbesuchte Gottesdienst des Jahres, da kommen mehr Leute als an Weihnachten. Ich habe vorher viele andere Versuche gemacht, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die mit dem Glauben oder der Kirche nichts mehr anfangen konnten, habe Veranstaltungen zu aktuellen Themen angeboten, mit reißerischen Titeln – aber nichts hat funktioniert. Es sind immer nur dieselben fünf älteren frommen Damen gekommen, aber weniger aus Interesse an der Sache als aus Mitleid mit mir. Mit dem Whisky ist das anders. Da kommen Menschen, für die ohne dieses "Lockmittel" die Hemmschwelle so hoch wäre, dass sie sie niemals überschreiten würden.
Frage: Versuche der Aktualisierung und Popularisierung des Glaubens gibt es viele – oft wirkt das bemüht, anbiedernd und peinlich. Ihnen scheint es zu gelingen. Warum?
Rothe: Wahrscheinlich, weil ich selbst mit Begeisterung dabei bin. Ich spüre in der Whisky-Szene sehr viel Wohlwollen. In der Regel bin ich als Geistlicher erkennbar, und auf Whisky-Messen dauert es nicht lange, bis einer fragt: Sind Sie ein echter Priester? Und dann sind wir schon im Gespräch. Ich spüre oft, wie sehr Menschen sich freuen, wenn ein Priester einfach bei ihnen ist und an den gleichen Dingen Freude hat wie sie. Da muss ich gar keine Predigt halten. Ich bin ja in einem ganz normalen Pfarrverband als Seelsorger tätig. Das steht für mich immer an erster Stelle. Aber was in diesen großen Verbänden oft verloren geht, ist der Kontakt zu einzelnen Menschen. Dass sie merken: Das ist ein Mensch, der isst gerne, der trinkt gerne, der hat an normalen Dingen Freude. Als Kirche haben wir da die Aufgabe, Wege zu finden, wie wir wieder Kontakt zum ganz normalen Alltagsleben der Menschen bekommen. Nicht nur dann, wenn Religion ausdrücklich Thema ist, wie bei einer Taufe, bei einer Firmung, bei einem Begräbnis, sondern im Alltag. Da ist das mit dem Whisky eine Möglichkeit unter unendlich vielen anderen, vielleicht nicht die beste, sicher nicht die einzige, aber eine, mit der ich eine starke und wachsende Zielgruppe erreichen kann.
„Solange man über etwas lacht, ist es weit davon entfernt, in Moralismus abzugleiten.“
Frage: Jetzt haben Sie ein Whisky-Witzebuch geschrieben. Was ist ihr Lieblingswitz daraus?
Rothe: Der, der ganz am Anfang im Buch steht, quasi ein Witz zum Brexit: Als der liebe Gott die Welt geschaffen hat und stolz auf das herabschaut, was er da geschaffen hat, ruft er den Erzengel Michael herbei und sagt: Du, Michael, schau mal, da ist mir etwas ganz besonders gut gelungen – ich nenne es Schottland. Eine wunderschöne Landschaft, nette Menschen, wunderbare Musik und ein ganz tolles Getränk. Ich nenne es Whisky – willst du es mal probieren? Gerne, sagt er Erzengel Michael. Er nippt, ist ganz begeistert und sagt zum lieben Gott: Meinst du nicht, dass du es mit den Schotten ein wenig zu gut gemeint hast? Könnte es nicht sein, dass sie anfangen, stolz und übermütig zu werden, wenn du sie so reich beschenkst? Nein, nein, sagt da der liebe Gott, keine Sorge: Schau mal, was ich ihnen für Nachbarn gegeben habe!
Frage: Was macht einen guten Witz aus? Und warum erzählen Sie gerne Witze?
Rothe: Ein Witz muss eine Botschaft vermitteln. Ein guter Witz ist kein plumper Kalauer, sondern eine Anekdote, der irgendeine Unzulänglichkeit dieser Welt oder des eigenen Lebens aufgreift und ins Komische überführt und somit auch das Leben ein bisschen erträglicher macht. Ein guter Witz ist von sich aus spirituell. Sinn von Spiritualität ist, das Leben besser zu verwirklichen, so zu verwirklichen, wie sich Gott das von uns gedacht hat. Gerade, wenn man Witze aus dem Raum Schottland, Irland heranzieht, dann kommt da oft der Glaube und die Geistlichkeit vor – damit ist auch explizit eine geistliche Note von Anfang an mit dabei.
Frage: In ihren anderen Büchern schreiben sie von der Mäßigung – ihr Witzebuch dagegen ist voll von Trunkenbolden. Ist das Witzebuch dann doch eine Moralpredigt?
Rothe: Nein. Trunkenbolde sind einerseits immer Pechvögel, denen vieles schief geht. Es sind aber auch sympathische Kerle, bei denen man merken kann: Eigentlich haben sie das Herz am rechten Fleck, sie wollen das Gute, aber es gelingt nicht so ganz. Solange man über etwas lacht, ist es weit davon entfernt, in Moralismus abzugleiten.
Frage: Zum Schluss eine praktische Frage: Welchen Whisky empfehlen Sie Einsteigern?
Rothe: Es gibt eine immense Auswahl, und da tue ich mir schwer, genau einen zu empfehlen. Am besten geht man einfach mal in den Getränkemarkt, schaut, was es da gibt. Da gibt es auch sehr qualitätsvolle Sorten, die man ausprobieren kann. Auf was man achten sollte: Er sollte aus Schottland kommen, und es sollte sich um einen Single Malt Whisky handeln.