Papst: Die Geistlichen wurden zu Werkzeugen des Teufels
Papst Franziskus hat die Kirche zum kompromisslosen Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Minderjährigen aufgerufen. Zum Abschluss eines viertägigen Gipfeltreffens mit Kirchenoberen aus rund 130 Ländern sagte der Papst am Sonntag im Vatikan: "Kein Missbrauch darf jemals mehr vertuscht werden, wie dies in der Vergangenheit üblich war." Das Vertuschen fördere die Ausbreitung dieses Übels und schaffe eine neue Skandalebene, betonte der Papst. Er forderte die Bischöfe, Ordensoberen und vatikanischen Behördenchefs auf, neue Ansätze zur Vorbeugung gegen Missbrauch auf allen Ebenen der Kirche zu entwickeln.
Der Papst wiederholte seine Zusage, dass "die Kirche keine Mühen scheuen wird, alles zu tun, was notwendig ist, um jeden Missbrauchstäter der Justiz zu übergeben". Die Kirche brauche einen "Mentalitätswechsel". An die Stelle einer Haltung, der es um die Verteidigung der Institution gehe, müsse den Opfern Vorrang gegeben werden. In der Priesterausbildung müsse darauf geachtet werden, dass Menschen mit ungeeigneter Persönlichkeitsstruktur vom Priesteramt ausgeschlossen werden.
Im theologischen Teil seiner Ausführungen erklärte der Papst, Geistliche, die Kinder missbrauchten, machten sich zu Werkzeugen des Teufels. Er führte aus: "In den Missbräuchen sehen wir die Hand des Bösen, das nicht einmal die Unschuld der Kinder verschont." Weiter sagte er: "Dahinter und darin steckt dieser Geist des Bösen, der sich in seinem Stolz und seinem Hochmut als der Herr der Welt wähnt." Die Kirche sei berufen, das Übel des Missbrauchs zu bekämpfen, das "das Herzstück ihrer Mission berührt: das Evangelium den Kleinen zu verkünden und sie vor den reißenden Wölfen zu schützen."
"Das heilige Volk Gottes wird uns vom Übel des Klerikalismus befreien"
Mit Nachdruck betonte Franziskus den Zusammenhang zwischen sexuellem Missbrauch und Macht. Die Täter nützten die Unterlegenheit des wehrlosen Opfers aus und manipulierten dessen Gewissen und seine seelische und körperliche Zerbrechlichkeit. Mit Blick auf die Zukunft sagte der Papst: "Das heilige Volk Gottes wird uns vom Übel des Klerikalismus befreien, der den fruchtbaren Boden für diese Gräuel bildet." Und weiter: "Die wirksamste Entscheidung, die wir den Opfern, dem Volk der heiligen Mutter Kirche und der ganzen Welt bieten können, besteht im Bemühen um eine persönliche und gemeinschaftliche Bekehrung sowie in der Demut, zu lernen und den am meisten Verwundbaren zuzuhören, ihnen beizustehen und sie zu schützen."
Ausführlich ging der Papst auch auf Fälle sexuellen Missbrauchs in Familien, Sportvereinen sowie im Internet und im Sextourismus ein und erklärte: "Die weltweite Verbreitung dieses Übels bestätigt, wie schwerwiegend es für unsere Gesellschaften ist, sie schmälert aber nicht seine Abscheulichkeit innerhalb der Kirche." In der Kirche sei das Übel des Missbrauchs "schwerwiegender und skandalöser, weil es im Gegensatz zu ihrer moralischen Autorität und ihrer ethischen Glaubwürdigkeit steht".
Zuvor hatten die 190 Bischöfe und Ordensobere am Sonntagvormittag ihr viertägiges Treffen mit einer Messe im Vatikan beendet. In seiner Predigt nannte der australische Erzbischof Mark Coleridge die notwendige Bekehrung der Kirche eine "kopernikanische Wende". Für die Kirchenoberen bedeute dies "die Erkenntnis, dass jene, die missbraucht wurden, sich nicht um die Kirche drehen", sondern dass die Opfer im Mittelpunkt stehen und die Kirche sich um sie drehen müsse.
In der von Bildern mit Kampf- und Schlachtszenen geschmückten Sala Regia im Vatikan sprach Coleridge auch über den Missbrauch von Macht in den Händen der Kirchenoberen. "Macht ist gefährlich, weil sie zerstören kann", so der Vorsitzende der Australischen Bischofskonferenz. Bischöfe und Ordensobere hätten Macht erhalten, um zu dienen und etwas zu schaffen. "Eine Macht mit und für andere, aber nicht über sie", so der Erzbischof. Dies alles verlange eine echte Bekehrung und konsequente Erneuerung, damit die Kirche zu einem besseren und sicheren Ort für die Schwächsten werde. Denn in ihnen begegne man Christus, wie es Jesus selbst bestätigt habe. (tmg/KNA)
Die Rede von Papst Franziskus
"Liebe Brüder und Schwestern,
(...) Unsere Arbeit hat uns dazu geführt, einmal mehr anzuerkennen, dass das schwere Übel des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen leider in allen Kulturen und Gesellschaften ein geschichtlich verbreitetes Phänomen ist. (...)
Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Die weltweite Verbreitung dieses Übels bestätigt, wie schwerwiegend es für unsere Gesellschaften ist, schmälert aber nicht seine Abscheulichkeit innerhalb der Kirche.
Die Unmenschlichkeit dieses Phänomens auf weltweiter Ebene wird in der Kirche noch schwerwiegender und skandalöser, weil es im Gegensatz zu ihrer moralischen Autorität und ihrer ethischen Glaubwürdigkeit steht. Die gottgeweihte Person, die von Gott auserwählt wurde, um die Seelen zum Heil zu führen, lässt sich von ihrer menschlichen Schwäche oder ihrer Krankheit versklaven und wird so zu einem Werkzeug Satans.
(...)
Wenn in der Kirche auch nur ein Missbrauchsfall ausfindig gemacht worden wäre - was an sich schon eine Abscheulichkeit darstellt, - so würde dieser Fall mit der größten Ernsthaftigkeit angegangen. In der Tat erblickt die Kirche in der gerechtfertigten Wut der Menschen den Widerschein des Zornes Gottes, der von diesen schändlichen Gottgeweihten verraten und geohrfeigt wurde. (...)
Welches wäre also die existenzielle "Bedeutung" dieser kriminellen Erscheinung? Unter Berücksichtigung ihrer menschlichen Weite und Tiefe ist sie nichts anderes als der gegenwärtige Ausdruck des Geistes des Bösen. Wenn wir uns diese Dimension nicht vergegenwärtigen, werden wir der Wahrheit fern und ohne wahre Lösungen bleiben. (...)
Und so wie wir alle praktischen Maßnahmen ergreifen müssen, die der gesunde Menschenverstand, die Wissenschaften und die Gesellschaft uns bieten, so dürfen wir diese Wirklichkeit nicht aus dem Blick verlieren und müssen die geistlichen Maßnahmen treffen, die der Herr selbst uns lehrt: Demütigung, Selbstanklage, Gebet, Buße. Das ist die einzige Weise, um den Geist des Bösen zu besiegen. So hat ihn Jesus besiegt. (...)
Es ist daher die Stunde gekommen zusammenzuarbeiten, um diese Brutalität aus dem Leib unserer Menschheit herauszureißen, indem wir alle notwendigen Maßnahmen anwenden, die auf internationaler und kirchlicher Ebene schon in Kraft sind. Es ist die Stunde gekommen, das richtige Gleichgewicht aller Werte zu finden, die auf dem Spiel stehen, und einheitliche Richtlinien für die Kirche zu geben. (...)
In diesem Zusammenhang möchte ich 'Best Practices' erwähnen, die unter der Leitung der Weltgesundheitsorganisation von einer Gruppe von zehn internationalen Agenturen formuliert wurden (...)
Wenn sich die Kirche auf ihrem gesetzgeberischen Weg dieser Leitlinien bedient (...) , wird sie sich auf folgenden Dimensionen konzentrieren:
1. Kinderschutz: Das Hauptziel jeder Maßnahme besteht darin, Kinder zu schützen und zu verhindern, dass sie Opfer psychischer und physischer Gewalt gleich welcher Art werden. Daher ist ein Mentalitätswechsel erforderlich, um die Abwehrhaltung zum Schutz der Institution zu bekämpfen und so eine aufrichtige und entschlossene Suche nach dem Wohl der Gemeinschaft zu fördern. Hierbei ist den Opfern von Missbrauch in jeder Hinsicht Vorrang einzuräumen. (...)
2. Absolute Ernsthaftigkeit: Ich möchte hier wiederholen, dass "die Kirche keine Mühen scheuen wird, alles Notwendige zu tun, um jeden, der solche Verbrechen begangen hat, der Justiz zu unterstellen. Die Kirche wird nie versuchen, einen Fall zu vertuschen oder unterzubewerten". (...)
3. Wirkliche Reinigung: (...) Die Kirche bekräftigt daher den festen Willen, 'den Weg der Reinigung mit all ihrer Kraft fortzusetzen. Die Kirche wird sich, auch unter Hinzuziehung von Experten, darüber beraten, wie die Kinder zu schützen sind; wie solche Katastrophen vermieden werden können, auf welche Weise man sich der Opfer annehmen und sie reintegrieren kann; wie man die Ausbildung in den Seminaren verbessert.' (...)
4. Ausbildung: Das heißt, die erforderliche Auswahl und Ausbildung der Priesteramtskandidaten nicht nur nach negativen Kriterien durchführen, die in erster Linie darauf abzielen, problematische Persönlichkeiten auszuschließen, sondern auch nach positiven Maßstäben: Den geeigneten Kandidaten muss ein ausgewogener Ausbildungsweg geboten werden, der auf Heiligkeit ausgerichtet ist und die Tugend der Keuschheit mit einschließt. (...)
5. Die Leitlinien der Bischofskonferenzen verstärken und verifizieren: Das heißt, die erforderliche Einheit der Bischöfe bei der Anwendung der Parameter, die als Normen und nicht bloß als Orientierungen gelten müssen, neu bekräftigen. Kein Missbrauch darf jemals vertuscht (so wie es in der Vergangenheit üblich war) oder unterbewertet werden, da die Vertuschung von Missbrauch die Verbreitung des Übels begünstigt und zusätzlich eine weitere Stufe des Skandals darstellt. Im Besonderen muss ein neuer wirksamer Ansatz zur Prävention in allen Einrichtungen und Bereichen kirchlicher Tätigkeit entwickelt werden.
6. Missbrauchte Personen begleiten: Das Übel, das ihnen widerfahren ist, lässt in ihnen unheilbare Wunden zurück, die sich auch in Form von Hass und selbstzerstörerischen Tendenzen zeigen. Die Kirche hat daher die Pflicht, ihnen jede notwendige Hilfe zukommen zu lassen und dabei auf Fachleute auf diesem Gebiet zurückzugreifen. (...)
7. Digitale Welt: (...) Seminaristen, Priester, Ordensmänner und -frauen, in der Pastoral Tätige und alle Menschen müssen sich bewusst sein, dass die digitale Welt und die Anwendung ihrer Instrumente oft viel mehr damit zu tun hat, als man denkt. Hier muss man die Länder und die Verantwortungsträger dazu ermutigen, alle notwendigen Maßnahmen zur Einschränkung von Webseiten anzuwenden, welche die Würde von Männern, Frauen und insbesondere von Minderjährigen gefährden: Eine Straftat kann kein Recht auf Freiheit beanspruchen. (...) Hierbei unterstreiche ich die neuen Normen über schwerwiegendere Straftaten, die im Jahr 2010 von Papst Benedikt XVI. approbiert wurden. Darin wurde als Delikt der "neue Tatbestand des Erwerbes, der Aufbewahrung und der Verbreitung pornografischer Bilder von Minderjährigen" durch einen Kleriker "in jedweder Form und mit jedwedem Mittel" hinzugefügt. Damals war von Minderjährigen "unter 14 Jahren" die Rede. Jetzt denken wir, dass diese Altersgrenze angehoben werden muss (...)
8. Sextourismus: (...) Bei der Bekämpfung von Sextourismus muss größerer rechtlicher Druck ausgeübt werden; es müssen aber auch den Opfern dieses verbrecherischen Phänomens Unterstützung und Projekte zur Wiedereingliederung angeboten werden. Die kirchlichen Gemeinschaften sind aufgerufen, die Seelsorge für die vom Sextourismus ausgebeuteten Menschen zu verstärken. (...)
Lasst mich allen Priestern und gottgeweihten Personen innigen Dank sagen, die dem Herrn vollkommen und treu dienen. Sie fühlen sich vom schändlichen Verhalten einiger ihrer Mitbrüder entehrt und in Misskredit gebracht. Alle - die Kirche, gottgeweihte Personen, das Volk Gottes und sogar Gott selbst - tragen wir die Folgen ihrer Untreue. (...)
Das beste Ergebnis und die wirksamste Resolution, die wir den Opfern, dem Volk der heiligen Mutter Kirche und der ganzen Welt bieten können, besteht im Bemühen um eine persönliche und gemeinschaftliche Bekehrung sowie in der Demut, zu lernen und den am meisten Verwundbaren zuzuhören, ihnen beizustehen und sie zu schützen.
Eindringlich appelliere ich an alle Verantwortungsträger und an die einzelnen Personen, in allen Bereichen gegen den Missbrauch von Minderjährigen zu kämpfen, im sexuellen wie in den anderen Bereichen, denn es handelt sich um abscheuliche Verbrechen, die auf dem Antlitz der Erde ausgemerzt werden müssen: Darum bitten viele verborgene Opfer in den Familien und in verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft."