Bundespräsident diskutiert über Religion und Demokratie

Steinmeier: Deutsche Gesellschaft nicht areligiös

Veröffentlicht am 26.02.2019 um 12:35 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Gibt es in Deutschland eine "unaufhaltsam fortschreitende Säkularisierung"? Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sieht das nicht so. Er macht ganz andere Entwicklungen in der Bundesrepublik aus.

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die These von einer "unaufhaltsam fortschreitenden Säkularisierung" in Deutschland zurückgewiesen. "Die heutige deutsche Gesellschaft ist nicht areligiös, sondern pluri-religiös. Sie ist geprägt durch eine neue Vielfalt der Religionen und religiösen Ausdrucksformen", sagte Steinmeier am Dienstag im Schloss Bellevue in Berlin. Zwar verliere die verfasste Religion in ihrer traditionellen, volkskirchlichen Gestalt in der Bundesrepublik an Bedeutung. Auf der anderen Seite verstünden sich zwei Drittel der Menschen in Deutschland aber immer noch als religiös, und für viele spiele der Glaube sogar wieder eine besonders große Rolle.

Diskussion zum Verhältnis von Religion und Demokratie

Steinmeier äußerte sich zum Auftakt der Veranstaltung "Alles Glaubenssache?" in der Reihe "Forum Bellevue zur Zukunft der Demokratie". Bei einer anschließenden Gesprächsrunde diskutierte der Bundespräsident mit dem Soziologen und Sozialphilosophen Hans Joas, dem an der Universität Münster lehrenden islamischen Theologen Mouhanad Khorchide und der "Zeit"-Journalistin Evelyn Finger. Themen der Diskussion waren unter anderem das Verhältnis von Kirche und Staat, der Einfluss von Religion auf Politik, die Bedeutung des Glaubens für politische Akteure und die Rolle der Religionen für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft.

Steinmeier betonte, dass die zunehmende religiöse Vielfalt in Deutschland auch dazu führe, dass das Verhältnis von demokratischem Verfassungsstaat und Religionsgemeinschaften neue Brisanz erhalte. "'Kruzifix-Urteil' und 'Kopftuchstreit', die Beschneidung von Jungen, das kirchliche Arbeitsrecht, der Bau von Moscheen oder die Sterbehilfe – in den vergangenen Jahren haben wir in Deutschland immer wieder gestritten, wenn es um die Grenzen der Religionsfreiheit, um Rechtsansprüche einzelner Gemeinschaften oder um religiöse Symbole im öffentlichen Raum ging", betonte das Staatsoberhaupt. Die Religion sei als Thema in die öffentliche Auseinandersetzung zurückgekehrt, "und ich finde es wichtig, dass wir Konflikte nicht unter den Teppich kehren, sondern sie in der Gesellschaft austragen – offen, aber auch mit Respekt vor anderen Lebensentwürfen".

Angriffe auf Kopftuch, Kippa oder Kreuz nicht tolerieren

Die vom Grundgesetz garantierte Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses gelte "für alle, für Christen, Muslime, Juden – aber auch für Atheisten. In unserem Land soll niemand seinen Glauben verbergen, verleugnen oder verbiegen", betonte Steinmeier. Kein Mensch dürfe wegen seines Glaubens diskriminiert oder ausgegrenzt werden. "Und keinesfalls dürfen wir zulassen, dass Menschen beleidigt oder angegriffen werden, weil sie ein Kopftuch, eine Kippa oder ein Kreuz tragen. Dafür darf es in Deutschland keinen Platz geben. Und deshalb müssen wir uns dagegen mit aller Entschiedenheit zur Wehr setzen", so der Bundespräsident.

Steinmeier äußerte sich in diesem Zusammenhang auch zur Stellung des Islam in der Bundesrepublik. Hier laute die Frage nicht, ob der Islam zu Deutschland gehöre. Diese "schlichte Diskussion" sei angesichts von Millionen Muslimen in Deutschland längst beantwortet. "Die eigentlich Frage lautet: Welcher Islam gehört zu Deutschland", so das Staatsoberhaupt. Es müsse geklärt werden, wie eine islamische Lehre und Glaubenspraxis aussehe, die mit dem Leben in einer modernen, pluralistischen Gesellschaft im Einklang stehe. "Die Förderung von Kinderehen oder die Missachtung von Frauenrechten tun es sicher nicht", erklärte Steinmeier. (stz)