Warum der Mensch ohne Gott bloß Staub ist
"Bedenke Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehrst", spricht der Priester und zeichnet den Gläubigen am Anfang der Fastenzeit mit Asche ein Kreuz auf die Stirn. Diese Worte sind ein Echo aus dem Paradies, das zurückführt zu dem Moment kurz bevor die Menschen aus dem Garten Eden vertrieben wurden. In seinen Fluchworten nach dem sogenannten Sündenfall spricht Gott zum Mann: "Im Schweiße deines Angesichts wirst du dein Brot essen, bis du zum Erdboden zurückkehrst; denn von ihm bist du genommen, Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück" (Gen 3,19). In diesen Worten ist die Aussage über den menschlichen Tod nicht Teil der Strafe, sondern deren Ende: der Tod als Erlösung vom mühevollen Leben. Gott mindert die Lebensqualität der Menschheit dadurch, dass er einen Fluch auf den Erdboden legt, aus dem der Mensch geschaffen wurde und von dem er sich nun im Schweiße seines Angesichts ernähren muss.
Paradoxerweise ist der Mensch damit jedoch dort angekommen, wozu ihn Gott in seiner Schöpfung bestimmt hatte: Gemäß Genesis 2,5 wurde der Mensch geschaffen, um den Erdboden zu bearbeiten. Die enge Verbindung des Menschen zum Erdboden wird im hebräischen Text besonders deutlich. Der Mensch, auf Hebräisch אָדָם (gesprochen: adam), wird aus dem Erdboden, אֲדָמָה (gesprochen: adama), von Gott erschaffen: Der Mensch ist ein Erdling. Wörtlich heißt es in Genesis 2,7 "aus dem Staub des Erdbodens" – auf diese Aussage bezieht sich das Fluchwort Gottes, wenn es darauf hinweist, dass der Mensch aus dem Erdboden stammt und zu Staub zurückkehren wird.
Für Abraham wird der Staub-Vergleich zur Verheißung
Staub, עָפָר (gesprochen: afar), ist Teil des fruchtbaren Erdreichs, aus dem die Pflanzen emporwachsen. Der Begriff selbst ist weder positiv noch negativ. Gemeinhin ist das Allgegenwärtige wertlos, aber für Abraham wird der Vergleich seiner Nachkommenschaft mit Staub zu einer fruchtbaren, göttlichen Verheißung: "Ich mache deine Nachkommen zahlreich wie den Staub auf der Erde. Nur wer den Staub auf der Erde zählen kann, wird auch deine Nachkommen zählen können" (Gen 13,16). Zugleich ist Staub im Alten Testament aber auch ein Bild für Zerstörung, Tod und Wertlosigkeit. Gott wird den Menschen am Tag des Gerichts Angst einjagen: "Ihr Blut wird hingeschüttet wie Schutt [עָפָר, Staub] und ihr Lebenssaft wie Kot" (Zef 1,17). Als Zeichen der Trauer, Reue und Buße streuten sich die Israeliten Staub auf ihren Kopf, um symbolisch ihre eigene Existenz zu mindern und sich den Toten anzugleichen.
Die Redewendung "Asche auf mein Haupt", die im Deutschen auf ein Schuldbekenntnis verweist, bezieht sich nicht nur auf das Aschekreuz am Aschermittwoch, sondern beidem liegt diese israelitische Praxis zugrunde. So reagieren zum Beispiel Ijobs Freunde mit Trauer, wenn sie ihn sehen, nachdem der Teufel im Auftrag Gottes ihm alles genommen hatte: "Als sie von fern aufblickten, erkannten sie ihn nicht; sie schrien auf und weinten. Jeder zerriss sein Gewand; sie streuten Asche [עָפָר, Staub] über ihr Haupt gegen den Himmel" (Ijob 2,12). Wenn der Mensch sich erniedrigen will, macht er sich zu dem, was er ohne Gott ist: Staub.
"Er bedenkt, dass wir Staub sind"
Ohne Wasser kann der fruchtbarste Erdboden kein Leben hervorbringen. So ist für das Alte Testament selbstverständlich, dass der Mensch ohne die von Gott geschenkte Lebenskraft nur Staub ist. Der Beter in Psalm 103 betont die Angewiesenheit des Menschen auf die Barmherzigkeit Gottes mit den Worten: "Denn er weiß, was wir für Gebilde sind, er bedenkt, dass wir Staub sind." Sobald Gott dem Menschen, den im Paradies verliehenen Lebensodem entzieht, ist der Mensch nicht mehr – wie es der folgende Psalm verdeutlich: "Verbirgst du dein Angesicht, sind sie verstört, nimmst du ihnen den Atem, so schwinden sie hin und kehren zurück zum Staub" (Ps 104,29). Gott macht den Unterschied zwischen Staub und einem König, wie sich an seinen Worten an Jehu verdeutlicht: "Ich habe dich aus dem Staub emporgehoben und zum Fürsten meines Volkes Israel gemacht" (1 Kön 16,2).
Aus allen Plänen und Wünschen des Menschen, aus all seiner Macht wird am Ende Staub, heißt es in Psalm 146,4. Alles Leben auf Erden zerfällt am Ende zu Staub, sagt der Weisheitslehrer Kohelet und steigert damit noch das weltliche, fatale Schicksal (vgl. Koh 3,20). Die Asche, die am Anfang der Fastenzeit in der Form eines Kreuzes auf die Stirn des aus Staub geformten Menschen gezeichnet wird, ist so betrachtet ein Gebet: Möge am Ende das Kreuz obsiegen und nicht der Staub! Möge aus dem Staub des fruchtbaren Erdbodens ewiges Leben entstehen, dass mit den Psalmen gesprochen der Gott schenkt, der den Geringen aus dem Staub aufrichtet und den Armen aus dem Schmutz erhebt.