"Gute Ware, schlecht verpackt"
Frage: Herr Vogelpohl, was gefällt Ihnen an der Sprache der Kirche nicht?
Vogelpohl: Die meisten Texte und Predigten heute sind am Schreibtisch entstanden und haben mit der Realität wenig zu tun. Die Kirche spricht heutzutage eine Sprache, die man als normaler Mensch nicht mehr verstehen kann. Wenn man Texte nicht erbetet und darüber meditiert, kommt dabei zu wenig heraus.
Frage: Können Sie Vorbilder nennen, die eine Sprache gesprochen haben oder sprechen, wie sie Ihnen als Ideal vorschwebt?
Vogelpohl: Im politischen Bereich wären das Leute wie Franz-Josef Strauß, Herbert Wehner oder Helmut Schmidt. Sie haben eine Sache vorher durchdacht, hinterher bei einer Ansprache die jeweiligen Personen gegenüber im Auge und sind in der Lage, wirklich in Kontakt mit ihnen zu treten. Im kirchlichen Bereich ist der Altbischof von Münster, Reinhard Lettmann, für mich ein gutes Beispiel. Er ist jemand, der alle Register ziehen und sowohl mit der Putzfrau wie mit dem Professor auf Augenhöhe und verständlich sprechen kann. Auch der Münchner Kardinal Reinhard Marx macht das beispielhaft vor und kommt auf Schützenfesten und in Bierzelten ebenso an wie bei akademischen Veranstaltungen.
Frage: Wo oder wie kann man lernen, was die richtige Sprache für die Kirche wäre?
Vogelpohl: Wer die Sprache des Volkes sprechen will, muss nah bei den Menschen sein. Er muss gut zuhören und zur rechten Zeit schweigen können. Er muss Nähe zulassen und Nähe geben können. Und er muss wissen, dass die Kirche eine Geh-hin-Kirche ist und keine Komm-zu-uns-Kirche. Es wird Sie erstaunen, wenn ich das sage, aber gute Handelsvertreter können so etwas. Wir müssen in der Kirche gute Vertreter sein.
„"Die Kundschaft wird falsch bedient.“
Frage: Sie würden also niemals die "U-Boot-Christen" kritisieren, über die manche Pfarrer sich aufregen, weil sie nur an Heiligabend in der Messe auftauchen?
Vogelpohl: Wenn Pfarrer sie als "U-Boot-Christen" bezeichnen, so halte ich das für unangemessen. Christus würde nie so reden. Der große Fehler ist: Alle, die Gottesdienste gestalten - Priester wie haupt- und ehrenamtlich engagierte Laien - tun so, als wenn die, die zu ihnen in die Messe kommen, jeden Sonntag kämen. Man darf aber nicht voraussetzen, dass die Gottesdienstbesucher in der Kirche aktiv sind und das entsprechende Wissen mitbringen. Da wird die "Kundschaft" ganz einfach falsch bedient.
Frage: Viele lassen sich vielleicht kirchlich trauen, schicken ihre Kinder zur Erstkommunion und lassen möglicherweise auch noch ihre Angehörigen kirchlich beerdigen, sind aber sonst nie in der Gemeinde zu sehen. Warum ist das so?
Vogelpohl: Da muss die Kirche sich stets die Frage stellen: Warum sieht man die sonst nicht? Der heilige Thomas von Aquin hat uns die richtige Frage vorgegeben, die wir uns als Seelsorger stellen müssen: Was braucht der? Was ist sein Anliegen? Was kann ich für ihn tun? Immer wieder höre ich von Bekannten, die der Kirche fernstehen: Die Kirche hat eine so gute Ware, aber sie verpackt und verkauft sie so schlecht. Daran muss sich etwas ändern. Wenn die Menschen nicht häufiger kommen, dann haben die "Vertreter" der Kirche sie vorher nicht richtig angesprochen.
Frage: Wir leben heute in einer Event-Kultur, auch in der Kirche. Nutzt es etwas, die Menschen mit Events anzusprechen?
Vogelpohl: Das halte ich für unangemessen. Das Wesentliche am Fest ist die Gemeinschaft, die dadurch geschaffen wird, nicht der Event-Charakter. Entscheidend ist für den Einzelnen, dass er sowohl bei einem Fest wie im Alltag so sein darf, wie er ist, und nicht von der Kirche verurteilt wird.
Frage: Hängt der Erfolg der Kirche davon ab, wie konservativ oder progressiv sie ist?
Vogelpohl: Das sind nur Schlagworte, die nichts aussagen. Der Andere kommt dann zu mir, wenn ich ehrlich bin und ihm das Wort Gottes verkünde. Ein afrikanisches Sprichwort sagt: "Der Mensch ist die beste Medizin für den Menschen". Nur wer mit ganzer Seele dabei ist, kann das Gute im Anderen entdecken und fördern. In einer kalten und gefühlsarmen Zeit brauchen wir gerade in der Kirche menschliche Menschen, die auf die anderen zugehen. Vor allem darf die Kirche die Fehler nicht immer bei den anderen, sondern sie muss sie bei sich selbst suchen.
Frage: Sollte man statt der biblischen Texte auch säkulare Geschichten und Gedichte als Lesung und Evangelium vortragen, wie es teilweise geschieht?
Vogelpohl: Es ist eine große Dummheit, den Menschen Antoine de Saint-Exuperys "Kleinen Prinzen" statt der Heiligen Schrift vorzusetzen. Ich lasse immer ganz bewusst das Wort Gottes stehen. Solch eine Neuerung bringt der Kirche nichts.
Frage: Wie müsste denn die kirchliche Sprache aussehen, die die Menschen erreicht? Etwa wie bei Pater Leppich?
Vogelpohl: Kurze Sätze, keine Fremdworte, anschaulich, bildhaft und verständlich. Vor allem aber muss der Seelsorger selbst an seine Worte glauben und zu seiner Wahrheit stehen, aber auch die anderen spüren lassen, dass er ehrlich ist und an seine Worte glaubt. Er muss die Menschen ernst nehmen und darf nicht versuchen, sie in die Kirche hineinzuziehen. Vor allem aber darf seine Sprache nicht zu sehr aus dem Kopf heraus, sondern sie muss aus dem Herzen, der Personmitte heraus kommen. Pater Leppich würde heute nicht mehr ankommen, weil er zu wenig differenziert wirken würde. Aber einen pfiffigen neuen Pater Leppich mit vielen guten Mitspielern könnten wir dringend brauchen. Wer auf diesem Gebiet heute Erfolg haben will, der muss bescheiden und vorsichtig anfangen, und die Geduld haben, auf die selbst wachsende Saat warten zu können.
Das Interview führte Gerd Felder (KNA)