Autor selbst weist auf Problem der kleinen Stichprobe hin

Missbrauch: Studie vermutet Dunkelfeld mit bis zu 114.000 Opfern

Veröffentlicht am 12.03.2019 um 17:30 Uhr – Lesedauer: 

Ulm ‐ Bereits die von den deutschen Bischöfen in Auftrag gegebene MHG-Studie vermutete eine hohe Dunkelziffer bei den Missbrauchsopfern durch Geistliche. Ulmer Wissenschaftler nennen nun konkrete Zahlen. Doch die sind problematisch.

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Eine Studie des Ulmer Kinderpsychiaters Jörg Fegert geht von einer großen Zahl bislang nicht bekannter Missbrauchsfälle im kirchlichen Raum aus. Das Dunkelfeld liege sowohl für die katholische als auch für die evangelische Kirche in Deutschland bei geschätzten 114.000 Missbrauchsopfern, wie die Universität am Dienstag auf Anfrage mitteilte. Zuerst hatte die Tageszeitung "Die Welt" über die Untersuchung berichtet, die demnächst in der Fachzeitschrift "Journal of Child Sexual Abuse" erscheinen soll.

Eine von den katholischen Bischöfen in Auftrag gegebene Untersuchung hatte aufgrund von Aktenstudien eine Zahl von 3.677 Betroffenen ermittelt. Demnach gab es zwischen 1946 und 2014 in Deutschland mindestens 1.670 Beschuldigte sexueller Übergriffe, darunter mehrheitlich Priester. Damit sind rund 4,4 Prozent aller deutschen Kleriker aus dem Untersuchungszeitraum des Missbrauchs beschuldigt. Dafür ausgewertet wurden rund 38.000 Akten. Zugleich war die Rede von einer vermutlich weitaus höheren Dunkelziffer.

Der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, sagte, die Konferenz kenne die Ergebnisse der Ulmer Studie nicht im Detail. Sie weise aber darauf hin, dass es eine "schwierige Datenbasis" sei, wenn aufgrund sehr geringer Fallzahlen Hochrechnungen angestellt würden.

Hochrechnung nach Befragungen

Für die Untersuchung hatten die Ulmer Wissenschaftler im Juni und Juli rund 2.500 Personen zu Missbrauchserfahrungen befragt. Demnach gaben je vier an, in einer katholischen oder einer evangelischen Einrichtungen missbraucht worden zu sein. 36 Personen sagten, im schulischen Bereich sexuell missbraucht worden zu sein. Von Missbrauch im Sportbereich durch einen Trainer sprachen 7 Personen.

Die Wissenschaftler rechneten den Anteil der Opfer aus ihrer nach eigenen Angaben repräsentativen Befragung auf die Gesamtbevölkerung hoch. Für die 4 Betroffenen in katholischen Einrichtungen bei 2.516 Befragten bedeutet dies demnach einen Anteil von 0,16 Prozent. Diese Quote auf 71,5 Millionen Einwohner der Bundesrepublik ab 15 Jahren führt dann zu der angenommenen Opferzahl von 114.000. Für den schulischen Kontext ergeben sich so geschätzte Opferzahlen von einer Million, für den Sportbereich etwa 200.000.

Die Autoren weisen selbst auf das Problem der relativ kleinen Stichprobe hin. Nach statistischen Verfahren könnte die Spannweite der Missbrauchsopfer durch katholische Geistliche mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit zwischen 28.000 und 280.000 Betroffenen liegen, so die Universität. Um präzisere Schätzungen zu erhalten, seien weitere Befragungen und Untersuchungen nötig. Auch ob aktuell ein Rückgang von sexuellem Missbrauch im kirchlichen Raum zu verzeichnen ist, lasse sich mit der Datenbasis nicht beantworten. (cph/KNA)