Pater Mertes über australisches Missbrauchs-Meldegesetz

Warum es vom Beichtgeheimnis keine Ausnahme geben darf

Veröffentlicht am 01.04.2019 um 00:15 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ In Australiens Hauptstadt Canberra sind Priester nun gesetzlich verpflichtet, Missbrauch an die Behörden zu melden – auch wenn sie in der Beichte davon erfahren haben. Pater Klaus Mertes kritisiert diese Maßnahme scharf. Was als Schritt im Kampf gegen den Missbrauch gedacht sei, begünstige ihn stattdessen indirekt.

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Bereits 2013 forderte die australische Missbrauchskommission die Aufhebung des Beichtgeheimnisses in Fällen von Kindesmissbrauch. Ab dem heutigen Montag nun sind, wie die Medien berichten, alle Einwohner des Australischen Hauptstadtterritoriums dazu verpflichtet, Missbrauchsanschuldigungen den staatlichen Behörden zu melden. Dazu gehören auch Priester, denen im Beichtstuhl ein derartiges Verbrechen gestanden beziehungsweise gemeldet wird. Bei Missachtung drohen bis zu zwei Jahre Gefängnis.

Absolution ist keine Pflicht

Hintergrund für diese Beschlusslage ist zunächst einmal die in der Tat unerträgliche Vorstellung, dass sich ein Täter nach einer Beichte subjektiv von seiner Schuld freigewaschen fühlt und dann mit Aussicht auf die nächste Absolution bei der nächsten Beichte seine Verbrechen an Kindern und Schutzbedürftigen fortsetzt. Doch es ist für Katholiken und in der kirchlichen Lehre klar: In solchen Fällen handelt es sich um den krassen Fall von Missbrauch der Beichte im Dienste der Vertuschung von Verbrechen bei gleichzeitigem Missverständnis der Beichte. Beichte setzt keinen Vergebungs-Automatismus in Gang. Ein Priester, der die Beichte, also das Schuldbekenntnis hört, ist nicht zur Absolution verpflichtet. Er hat selbstverständlich auch die Pflicht, das Beichtgeheimnis davor zu schützen, dass es zur Komplizenschaft mit Verbrechen führt. Der Missbrauch einer Institution wie der Beichte wird aber nicht dadurch verhindert, dass man die Institution abschafft.

Pater Klaus Mertes im Porträt
Bild: ©Julia Steinbrecht/KNA

Pater Klaus Mertes (SJ) ist Direktor des katholischen Kollegs Sankt Blasien.

2015 wurde nach dem Absturz einer Germanwings in den französischen Alpen gefordert, die ärztliche Schweigepflicht bei depressiven Piloten aufzuheben. Wäre man dieser Forderung gefolgt, so wäre die Institution der ärztlichen Schweigepflicht als Ganze beschädigt und letztlich abgeschafft worden. Und kein unter Depressionen leidender Pilot würde sich mehr einem Arzt öffnen. Dasselbe gälte für einen Ausnahmetatbestand "Kindesmissbrauch" beim Beichtgeheimnis. Defensives Täterschweigen würde weiter betoniert, Schweigekartelle würden noch enger zusammengeschweißt.

Geschützte Vertrauensräume gehören zur Grundlage einer humanen, nicht-totalitären Gesellschaft: ärztliche, seelsorgliche, pädagogische, journalistische, anwaltliche Schweigepflichten und Schweigerechte. Gerade wegen ihrer Bedeutung verursacht ihr Missbrauch besonders viel Schaden. Doch niemandem ist geholfen, wenn der Missbrauch auch noch die Macht über die Vertrauensräume erhält, indem er sie zerstört. Dann bleibt nämlich nur noch die totale Transparenz im Dienste totaler Kontrolle, und damit die unkontrollierte Macht der Kontrolleure. Warum man ausgerechnet denen dann vertrauen sollte, ist mir schleierhaft. 

Der Sinn des Beichtgeheimnisses liegt darin, dem reuigen Sünder – säkular: dem reuigen Täter – das Aussprechen seiner Schuld zu ermöglichen. Ihm oder ihr wird zugesagt, dass gerade nicht das Gericht als letztes Wort auf das Schuldbekenntnis hin wartet, sondern Barmherzigkeit, grundlegendes Wohlwollen – nicht mit der Tat, aber mit der menschlichen Person, die die Tat gesteht. Die Zusage des schützenden Schweigens ist unverzichtbar, denn nur sie kann das steinerne Schweigen wirklich auflösen, das von der Angst vor der Strafe diktiert ist. Jeder Pädagoge kennt den zerstörerischen und selbstzerstörerischen Zusammenhang von Angst vor Strafe und defensivem Schweigen. Schweigekartelle aller Art werden von dieser Angst zusammengehalten. Eingestanden, noch öfter uneingestanden (die Schweigenden tun nach außen oft sehr stark und selbstbewusst) steht hinter der Angst die Resignation: Es gibt für meine Tat keine Vergebung, sondern nur Strafe und Pranger. Es stimmt ja: Die Gesellschaft denkt genauso. Das Evangelium allerdings nicht.

Die katholische Kirche nennt die Beichte ein "Sakrament". Damit drückt sie aus, dass der Vorgang des Schuldbekennens und der Vergebung im geschützten Vertrauensraum auch ein Vorgang zwischen Gott und Mensch ist, wenn er in diesem Glaubenszusammenhang vollzogen wird. Der Priester spricht mit dem Wort "Deine Sünden sind dir vergeben …" nicht sein eigenes Wort, sondern das Wort Christi aus. Damit ist keineswegs gesagt, dass dem Täter oder der Täterin Leistungen zur Aufarbeitung erspart bleiben, selbstverständlich auch nicht die notwendige strafrechtliche Aufarbeitung. Der kirchliche Begriff dafür heißt Buße. Zur Buße gehört die Bereitschaft zur strafrechtlichen Aufarbeitung. Ein reuiger Sünder, der nicht zur Buße bereit ist, ist kein reuiger Sünder. Gerade deswegen ist es eine Perversion der Beichte – und auch der Rede von der Barmherzigkeit –, wenn man sich auf sie beruft, um eine strafrechtliche Aufarbeitung zu umschiffen.

Linktipp: Erzbischof: Meine Priester werden Beichtgeheimnis nicht brechen

In Australiens Hauptstadt Canberra sind Priester künftig verpflichtet, Missbrauch den Behörden zu melden – selbst, wenn er in der Beichte gestanden wird. Doch Erzbischof Christopher Prowse lehnt das ab.

Wer immer unter seelsorglichen, anwaltlichen, ärztlichen oder anderen Schweigepflichten steht, kann nicht vermeiden, dass er in ethische Dilemma-Situationen hineingerät. Das gehört zum Berufsrisiko. Das wird auch nicht dadurch verhindert, dass man verallgemeinernde Ausnahmetatbestände schafft, die die Schweigepflicht durchlöchern. Um es für mich als Seelsorger und katholischen Priester zu sagen: Im Falle eines Missbrauchstäters, der bei mir beichtete, befände ich mich als Beichtvater in einer Entscheidungssituation, die mir niemand abnehmen kann. Ich weiß ziemlich genau, welche Optionen mir statt des Bruchs des Beichtgeheimnisses blieben: Aufforderung zur Selbstanzeige, Verweigerung der Absolution et cetera.

Schutz der Kinder hat immer Vorrang

Wie immer ich mich entscheiden würde: Entscheidungen in ethischen Dilemma-Situationen lassen keine verallgemeinerbaren Rückschlüsse zu, auch nicht auf verallgemeinerbare Ausnahmetatbestände. Schutz der Kinder hat grundsätzlich immer Vorrang vor dem Schutz der Institution, insbesondere dann, wenn Gefahr im Verzug ist. Die Verantwortungsposition mitten im ethischen Dilemma schließt dann auch meine Bereitschaft ein, die Verantwortung für die Konsequenzen meiner Entscheidung persönlich ganz auf mich zu nehmen, wie auch immer sie ausfallen mag. Keine Verrechtlichung von Vertrauensräumen nimmt mir diese Last ab. Sie macht zugleich die Würde meines Berufes aus. Deswegen stimme ich dem Erzbischof von Canberra ganz und gar zu, wenn er sich jetzt aus aktuellem Anlass schützend vor das Beichtgeheimnis stellt.

Von Pater Klaus Mertes