Anbiederung an "Fridays for Future" sei gespenstisch

Religionssoziologe Joas kritisiert Idealisierung der Klimaproteste

Veröffentlicht am 20.04.2019 um 13:41 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Die "Fridays for Future"-Demonstrationen stoßen auf breite Unterstützung – auch in der katholischen Kirche. Der Religionsoziologe Hans Joas hält das für falsch. Es sei gespenstisch, wenn Politiker und alle Erwachsenen sich der Jugendbewegung anbiederten.

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Der Sozialphilosoph und Religionsoziologe Hans Joas kann die Begeisterung für die von Schülern getragene Umweltbewegung "Fridays for Future" nicht nachvollziehen. Man könne den kompromisslosen Idealismus, zu dem Jugendliche neigten, in Hinsicht auf die Motivationskraft begrüßen, sagte Joas dem Berliner "Tagesspiegel" (Samstag). "Man entkommt aber nicht der Frage, welche Kompromisse eingegangen werden müssen, damit die Forderungen friedlich und realistisch gelebt werden können."

Ihn störe es, wenn die Demonstranten die Arbeitsplatzinteressen etwa in der Lausitz nicht genügend ernst zu nehmen schienen, sagte der Honorarprofessor an der Theologischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität. Es liege in der Verantwortung von Politikern und allen Erwachsenen, den Jugendlichen das entgegenzuhalten. "Es ist gespenstisch, wenn das ausbleibt und man sich einfach anbiedert." Joas kritisiert auch die Rolle der Medien bei "Fridays for Future". Sie sollten diese Klimaproteste nicht so idealisieren, wie es derzeit geschehe.

Joas sieht Begeisterung für Greta Thunberg skeptisch

In der Begeistung für die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg sieht der Sozialphilosoph ein Charisma-Phänomen. Die 16-Jährige verkörpere mit ihrer Person "in einer unbedingten Weise eine Veränderungsnotwendigkeit". Ihm selbst erschließe sich allerdings die Verehrung von Greta Thunberg nicht. "Ich kann es begreifen, aber nicht nachempfinden. Das ist bei Charisma-Phänomenen ganz normal", sagte Joas.

Die weltweiten Schülerdemonstrationen würde er nicht voreilig zu einem neuen historischen Phänomen stilisieren, sagte der Religionssoziologe. Es gebe in allen Gesellschaften spontane Phänomene, in denen aus "Charisma-Hunger" einzelne Figuren zu Charismatikern werden. Oft sei das nur für kurze Zeit. Wenn eine Bewegung andauere, entgehe keine der Institutionalisierung, dem, was der 1920 gestorbene Soziologe Max Weber die Veralltäglichung des Charismas nenne, so Joas.

Bischöfe bekunden Sympathien für "Fridays for Future"

In den vergangenen Tagen hatten auch mehrere deutsche Bischöfe Sympathien für die Umweltbewegung "Fridays for Future" geäußert. Essens Bischof Franz-Josef Overbeck erklärte, er sei davon "beeindruckt, was bei den Schülern passiert – auch wenn es Pädagogen und Juristen ärgert". Die Schüler träten auf eine wirksame Weise für ein wichtiges Ziel ein. Der Hildesheimer Oberhirte Heiner Wilmer sagte bei einem Gottesdienst mit rund 2.500 Jugendlichen und jungen Erwachsenen, Greta Thunberg sei für ihn wie eine Prophetin. Die jungen Teilnehmer der "Fridays for Future"-Bewegung machten deutlich, was es heiße, an den dreieinigen Gott zu glauben: "Kreativ wie der Schöpfergott, geistreich wie der Heilige Geist und hellwach wie Jesus Christus", so Wilmer.

Scharfe Kritik zog vor allem der Berliner Erzbischof Heiner Koch auf sich. Er hatte am vergangenen Wochenende in einem Hörfunkbeitrag gesagt, die Schülerproteste erinnerten ihn "ein wenig an die biblische Szene vom Einzug Jesu in Jerusalem". Zugleich hatte er betont, dass es ihm nicht darum gehe, "die jugendliche Klimaschützerin Greta aus Schweden zu einem weiblichen Messias zu machen, indem ich sie mit Jesus von Nazareth vergleiche". Wenige Tage später berichtete Koch in einem Interview von "massiven Verurteilungen und Beschimpfungen", die ihn nach seinen Äußerungen zu "Fridays for Future" erreicht hätten. Vorwürfe, dass er Greta Thunberg mit der Bezeichnung "Prophetin" zu einer "Heilsfigur" erhoben habe, wies der Erzbischof zurück. (stz/epd/KNA)